Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.kennt meine Schwäche und wollte Nichts als eine Pression auf die Mutter ausüben, sich des Sohnes zu erbarmen! Hätten sie doch die Kapsel behalten, haha! sie würden Unterhaltung gefunden haben! Ob wohl Martha den Schlüssel gegeben hat -? Dieser Gedanke trieb ihn dann wieder vom Lager auf. Der Act des Vertrauens war gegen Martha fast zu groß gewesen! Wolny beruhigte sich erst, als ihm ein inneres Wohlgefallen und die erlaubte Zufriedenheit, die der Mensch zuweilen mit sich selbst haben darf, sagte: Du hast Deine todtkranke Gattin, die Mutter dieses mißrathenen Sohnes geschont, Du hast den Bruder der lieblichen Ada, dann den Bruder Marthas geschont, einer Blume, die zerknickt wäre, wenn die That in voller Blöße, nackt und schimpflich, wie sie vom Zufall geäfft, durchkreuzt, verhöhnt wurde, offenbar worden wäre! Und doch ging er wieder im Zimmer auf und ab und stampfte mit dem Fuße auf. Selbst die Patronen mußte er ja dem Mahlo nachsehen, weil sie zu eng mit dem Familiendrama selbst zusammenhingen. Der Morgen graute. Auf leiser Schwinge war dem Uebermüdeten endlich denn doch eine leichte Befangenheit der Sinne gekommen. Nichts merkte er von dem Frühroth, das ihm in's Fenster schien, Nichts von dem beginnenden Tagwerk in der Fabrik. Im Hause zeigte sich reges Leben. Klingeln wurden gezogen. Tante Dora kennt meine Schwäche und wollte Nichts als eine Pression auf die Mutter ausüben, sich des Sohnes zu erbarmen! Hätten sie doch die Kapsel behalten, haha! sie würden Unterhaltung gefunden haben! Ob wohl Martha den Schlüssel gegeben hat –? Dieser Gedanke trieb ihn dann wieder vom Lager auf. Der Act des Vertrauens war gegen Martha fast zu groß gewesen! Wolny beruhigte sich erst, als ihm ein inneres Wohlgefallen und die erlaubte Zufriedenheit, die der Mensch zuweilen mit sich selbst haben darf, sagte: Du hast Deine todtkranke Gattin, die Mutter dieses mißrathenen Sohnes geschont, Du hast den Bruder der lieblichen Ada, dann den Bruder Marthas geschont, einer Blume, die zerknickt wäre, wenn die That in voller Blöße, nackt und schimpflich, wie sie vom Zufall geäfft, durchkreuzt, verhöhnt wurde, offenbar worden wäre! Und doch ging er wieder im Zimmer auf und ab und stampfte mit dem Fuße auf. Selbst die Patronen mußte er ja dem Mahlo nachsehen, weil sie zu eng mit dem Familiendrama selbst zusammenhingen. Der Morgen graute. Auf leiser Schwinge war dem Uebermüdeten endlich denn doch eine leichte Befangenheit der Sinne gekommen. Nichts merkte er von dem Frühroth, das ihm in’s Fenster schien, Nichts von dem beginnenden Tagwerk in der Fabrik. Im Hause zeigte sich reges Leben. Klingeln wurden gezogen. Tante Dora <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0020" n="14"/> kennt meine Schwäche und wollte Nichts als eine Pression auf die Mutter ausüben, sich des Sohnes zu erbarmen! Hätten sie doch die Kapsel behalten, haha! sie würden Unterhaltung gefunden haben! Ob wohl Martha den Schlüssel gegeben hat –? Dieser Gedanke trieb ihn dann wieder vom Lager auf. Der Act des Vertrauens war gegen Martha fast zu groß gewesen! Wolny beruhigte sich erst, als ihm ein inneres Wohlgefallen und die erlaubte Zufriedenheit, die der Mensch zuweilen mit sich selbst haben darf, sagte: Du hast Deine todtkranke Gattin, die Mutter dieses mißrathenen Sohnes geschont, Du hast den Bruder der lieblichen Ada, dann den Bruder Marthas geschont, einer Blume, die zerknickt wäre, wenn die That in voller Blöße, nackt und schimpflich, wie sie vom Zufall geäfft, durchkreuzt, verhöhnt wurde, offenbar worden wäre! Und doch ging er wieder im Zimmer auf und ab und stampfte mit dem Fuße auf. Selbst die Patronen mußte er ja dem Mahlo nachsehen, weil sie zu eng mit dem Familiendrama selbst zusammenhingen.</p> <p>Der Morgen graute. Auf leiser Schwinge war dem Uebermüdeten endlich denn doch eine leichte Befangenheit der Sinne gekommen. Nichts merkte er von dem Frühroth, das ihm in’s Fenster schien, Nichts von dem beginnenden Tagwerk in der Fabrik. Im Hause zeigte sich reges Leben. Klingeln wurden gezogen. Tante Dora </p> </div> </body> </text> </TEI> [14/0020]
kennt meine Schwäche und wollte Nichts als eine Pression auf die Mutter ausüben, sich des Sohnes zu erbarmen! Hätten sie doch die Kapsel behalten, haha! sie würden Unterhaltung gefunden haben! Ob wohl Martha den Schlüssel gegeben hat –? Dieser Gedanke trieb ihn dann wieder vom Lager auf. Der Act des Vertrauens war gegen Martha fast zu groß gewesen! Wolny beruhigte sich erst, als ihm ein inneres Wohlgefallen und die erlaubte Zufriedenheit, die der Mensch zuweilen mit sich selbst haben darf, sagte: Du hast Deine todtkranke Gattin, die Mutter dieses mißrathenen Sohnes geschont, Du hast den Bruder der lieblichen Ada, dann den Bruder Marthas geschont, einer Blume, die zerknickt wäre, wenn die That in voller Blöße, nackt und schimpflich, wie sie vom Zufall geäfft, durchkreuzt, verhöhnt wurde, offenbar worden wäre! Und doch ging er wieder im Zimmer auf und ab und stampfte mit dem Fuße auf. Selbst die Patronen mußte er ja dem Mahlo nachsehen, weil sie zu eng mit dem Familiendrama selbst zusammenhingen.
Der Morgen graute. Auf leiser Schwinge war dem Uebermüdeten endlich denn doch eine leichte Befangenheit der Sinne gekommen. Nichts merkte er von dem Frühroth, das ihm in’s Fenster schien, Nichts von dem beginnenden Tagwerk in der Fabrik. Im Hause zeigte sich reges Leben. Klingeln wurden gezogen. Tante Dora
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/20>, abgerufen am 23.07.2024. |