Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

Martha empfahl sich freundlich. Raimund begleitete das schöne Wesen mit dem Bedienten bis an den Wagen. Statt aber dann in die Fabrik zu gehen, wo man von 12-2 gefeiert hatte (die zweite Stunde war bereits angebrochen) stürmte er zu Martha zurück, die ihn mit vollem Lachen empfing: Hast Du endlich Deine Meisterin gefunden! Die hat Dich stumm gemacht! Du standest da wie ein Laternenpfahl -! Das that ihm jetzt Nichts. Er war gradezu außer sich. Er vergaß Alles. Er vergaß, daß sein Fach die Theorie der Wärme, des Luftdrucks, die Toricelli'sche Röhre war. Er vergaß, daß die Trigonometrie und Stereometrie mit wahrer Virtuosität von ihm behandelt werden konnten. Er vergaß jede Rancüne gegen seine Schwester. Er war ganz nur der "kleine Hans" in Goethes Gedicht. Herr Gott, rief er aus, welch ein Weib! Dabei rannte er im Zimmer auf und ab. Das ist ja zum Rasendwerden! Ich wohnte mit ihr in einem Hause! Eine alte Spittelfrau im Hinterhofe, sagte man, wäre ihre Großmutter! Ihr Vater war ein Feldmesser, aber in Wahrheit soll's ein Graf sein, ein Erzbischof, ein ungarischer -

Wage Dich nicht in ihre Nähe! spottete Martha. Sie ist sehr gelehrt! Die Mythologie ist nicht Dein Fach!

Glaubst Du, daß ich das nicht wußte von Ariadne -? polterte Raimund in Marthas Lachen hinein. Du und

Martha empfahl sich freundlich. Raimund begleitete das schöne Wesen mit dem Bedienten bis an den Wagen. Statt aber dann in die Fabrik zu gehen, wo man von 12-2 gefeiert hatte (die zweite Stunde war bereits angebrochen) stürmte er zu Martha zurück, die ihn mit vollem Lachen empfing: Hast Du endlich Deine Meisterin gefunden! Die hat Dich stumm gemacht! Du standest da wie ein Laternenpfahl –! Das that ihm jetzt Nichts. Er war gradezu außer sich. Er vergaß Alles. Er vergaß, daß sein Fach die Theorie der Wärme, des Luftdrucks, die Toricelli’sche Röhre war. Er vergaß, daß die Trigonometrie und Stereometrie mit wahrer Virtuosität von ihm behandelt werden konnten. Er vergaß jede Rancüne gegen seine Schwester. Er war ganz nur der „kleine Hans“ in Goethes Gedicht. Herr Gott, rief er aus, welch ein Weib! Dabei rannte er im Zimmer auf und ab. Das ist ja zum Rasendwerden! Ich wohnte mit ihr in einem Hause! Eine alte Spittelfrau im Hinterhofe, sagte man, wäre ihre Großmutter! Ihr Vater war ein Feldmesser, aber in Wahrheit soll’s ein Graf sein, ein Erzbischof, ein ungarischer –

Wage Dich nicht in ihre Nähe! spottete Martha. Sie ist sehr gelehrt! Die Mythologie ist nicht Dein Fach!

Glaubst Du, daß ich das nicht wußte von Ariadne –? polterte Raimund in Marthas Lachen hinein. Du und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0150" n="144"/>
        <p> Martha empfahl sich freundlich. Raimund begleitete das schöne Wesen mit dem Bedienten bis an den Wagen. Statt aber dann in die Fabrik zu gehen, wo man von 12-2 gefeiert hatte (die zweite Stunde war bereits angebrochen) stürmte er zu Martha zurück, die ihn mit vollem Lachen empfing: Hast Du endlich Deine Meisterin gefunden! Die hat Dich stumm gemacht! Du standest da wie ein Laternenpfahl &#x2013;! Das that ihm jetzt Nichts. Er war gradezu außer sich. Er vergaß Alles. Er vergaß, daß sein Fach die Theorie der Wärme, des Luftdrucks, die <ref xml:id="TEXTTorricelischeRoehre" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLTorricelischeRoehre">Toricelli&#x2019;sche Röhre</ref> war. Er vergaß, daß die Trigonometrie und Stereometrie mit wahrer Virtuosität von ihm behandelt werden konnten. Er vergaß jede <ref xml:id="TEXTRancuene" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLRancuene">Rancüne</ref> gegen seine Schwester. Er war ganz nur <ref xml:id="TEXTderkleineHansBISGedicht" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLderkleineHansBISGedicht">der &#x201E;kleine Hans&#x201C; in Goethes Gedicht</ref>. Herr Gott, rief er aus, welch ein Weib! Dabei rannte er im Zimmer auf und ab. Das ist ja zum Rasendwerden! Ich wohnte mit ihr in einem Hause! Eine alte <ref xml:id="TEXTSpittelfrau" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLSpittelfrau">Spittelfrau</ref> im Hinterhofe, sagte man, wäre ihre Großmutter! Ihr Vater war ein Feldmesser, aber in Wahrheit soll&#x2019;s ein Graf sein, ein Erzbischof, ein ungarischer &#x2013;</p>
        <p>Wage Dich nicht in ihre Nähe! spottete Martha. Sie ist sehr gelehrt! Die Mythologie ist nicht Dein Fach! </p>
        <p>Glaubst Du, daß ich das nicht wußte von Ariadne &#x2013;? polterte Raimund in Marthas Lachen hinein. Du und
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0150] Martha empfahl sich freundlich. Raimund begleitete das schöne Wesen mit dem Bedienten bis an den Wagen. Statt aber dann in die Fabrik zu gehen, wo man von 12-2 gefeiert hatte (die zweite Stunde war bereits angebrochen) stürmte er zu Martha zurück, die ihn mit vollem Lachen empfing: Hast Du endlich Deine Meisterin gefunden! Die hat Dich stumm gemacht! Du standest da wie ein Laternenpfahl –! Das that ihm jetzt Nichts. Er war gradezu außer sich. Er vergaß Alles. Er vergaß, daß sein Fach die Theorie der Wärme, des Luftdrucks, die Toricelli’sche Röhre war. Er vergaß, daß die Trigonometrie und Stereometrie mit wahrer Virtuosität von ihm behandelt werden konnten. Er vergaß jede Rancüne gegen seine Schwester. Er war ganz nur der „kleine Hans“ in Goethes Gedicht. Herr Gott, rief er aus, welch ein Weib! Dabei rannte er im Zimmer auf und ab. Das ist ja zum Rasendwerden! Ich wohnte mit ihr in einem Hause! Eine alte Spittelfrau im Hinterhofe, sagte man, wäre ihre Großmutter! Ihr Vater war ein Feldmesser, aber in Wahrheit soll’s ein Graf sein, ein Erzbischof, ein ungarischer – Wage Dich nicht in ihre Nähe! spottete Martha. Sie ist sehr gelehrt! Die Mythologie ist nicht Dein Fach! Glaubst Du, daß ich das nicht wußte von Ariadne –? polterte Raimund in Marthas Lachen hinein. Du und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-02-19T12:40:43Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-02-19T12:40:43Z)
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Yx 17781-2<a>) (2014-02-19T12:40:43Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet
  • Druckfehler: dokumentiert
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet
  • Kustoden: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/150
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/150>, abgerufen am 22.11.2024.