Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.Ein: Ich morde sie - wurde fast gesprochen, wie wenn bei Aeschylos die Eumeniden ihre Fackeln schwingen. Er war auf's Aeußerste erschüttert und schien zugleich gerührt. Aspasia und Sokrates waren hier keine Fabel gewesen! Sie fällt zurück in die Schande! rief er jammernd. Der Graf hatte ein verwildertes Mädchen, sein eignes Kind erzogen und dies Werk nur halb vollendet! Was wird sie mit den 30,000 Thalern machen! Vor Schmerz konnte der Alte kaum Sprache gewinnen. Es kommt auf zwei Momente in meinem Leben an, fuhr er dann fort, als er seiner Bewegung Herr geworden war. Ich bin Geometer und habe als solcher die Welt gesehen. Um Eisenbahnen zu traciren bin ich bis in die Türkei gekommen! Aber ich war auch im Vaterlande viel beschäftigt, unter Anderem bei Hochlinden, nahe dem lieblichen Städtchen Weilheim, wo ich Aufträge für die Regierung landvermessender Art hatte und lange Zeit Posto faßte. Meine Frau blieb auf der Station Weilheim, während ich in der Provinz bald da, bald dort zu thun hatte. Zufällig besuchte sie das nahegelegene Schloß Hochlinden. Die Gräfin, eine vortreffliche gutmüthige Frau, sah die schlanke junge Blondine, begrüßte sie herablassend und nahm sie freundlich in ihr Schloß. Der Herr Graf kam hinzu und meine Gattin stand Ein: Ich morde sie – wurde fast gesprochen, wie wenn bei Aeschylos die Eumeniden ihre Fackeln schwingen. Er war auf’s Aeußerste erschüttert und schien zugleich gerührt. Aspasia und Sokrates waren hier keine Fabel gewesen! Sie fällt zurück in die Schande! rief er jammernd. Der Graf hatte ein verwildertes Mädchen, sein eignes Kind erzogen und dies Werk nur halb vollendet! Was wird sie mit den 30,000 Thalern machen! Vor Schmerz konnte der Alte kaum Sprache gewinnen. Es kommt auf zwei Momente in meinem Leben an, fuhr er dann fort, als er seiner Bewegung Herr geworden war. Ich bin Geometer und habe als solcher die Welt gesehen. Um Eisenbahnen zu traciren bin ich bis in die Türkei gekommen! Aber ich war auch im Vaterlande viel beschäftigt, unter Anderem bei Hochlinden, nahe dem lieblichen Städtchen Weilheim, wo ich Aufträge für die Regierung landvermessender Art hatte und lange Zeit Posto faßte. Meine Frau blieb auf der Station Weilheim, während ich in der Provinz bald da, bald dort zu thun hatte. Zufällig besuchte sie das nahegelegene Schloß Hochlinden. Die Gräfin, eine vortreffliche gutmüthige Frau, sah die schlanke junge Blondine, begrüßte sie herablassend und nahm sie freundlich in ihr Schloß. Der Herr Graf kam hinzu und meine Gattin stand <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0011" n="5"/> Ein: Ich morde sie – wurde fast gesprochen, <ref xml:id="TEXTwiewennBISschwingenwiewennBISschwingen" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERL">wie wenn bei Aeschylos die Eumeniden ihre Fackeln schwingen</ref>. Er war auf’s Aeußerste erschüttert und schien zugleich gerührt. <ref xml:id="TEXTAspasiaundSokrates" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLAspasiaundSokrates">Aspasia und Sokrates</ref> waren hier keine Fabel gewesen! Sie fällt zurück in die Schande! rief er jammernd. Der Graf hatte ein verwildertes Mädchen, sein eignes Kind erzogen und dies Werk nur halb vollendet! Was wird sie mit den 30,000 Thalern machen!</p> <p>Vor Schmerz konnte der Alte kaum Sprache gewinnen.</p> <p>Es kommt auf zwei Momente in meinem Leben an, fuhr er dann fort, als er seiner Bewegung Herr geworden war. Ich bin Geometer und habe als solcher die Welt gesehen. Um <ref xml:id="TEXTEisenbahnenBISTuerkei" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLEisenbahnenBISTuerkei">Eisenbahnen zu traciren bin ich bis in die Türkei</ref> gekommen! Aber ich war auch im Vaterlande viel beschäftigt, unter Anderem bei <ref xml:id="TEXTHochlindenBISWeilheim" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLHochlindenBISWeilheim">Hochlinden, nahe dem lieblichen Städtchen Weilheim</ref>, wo ich Aufträge für die Regierung landvermessender Art hatte und lange Zeit Posto faßte. Meine Frau blieb auf der Station Weilheim, während ich in der Provinz bald da, bald dort zu thun hatte. Zufällig besuchte sie das nahegelegene Schloß Hochlinden. Die Gräfin, eine vortreffliche gutmüthige Frau, sah die schlanke junge Blondine, begrüßte sie herablassend und nahm sie freundlich in ihr Schloß. Der Herr Graf kam hinzu und meine Gattin stand </p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0011]
Ein: Ich morde sie – wurde fast gesprochen, wie wenn bei Aeschylos die Eumeniden ihre Fackeln schwingen. Er war auf’s Aeußerste erschüttert und schien zugleich gerührt. Aspasia und Sokrates waren hier keine Fabel gewesen! Sie fällt zurück in die Schande! rief er jammernd. Der Graf hatte ein verwildertes Mädchen, sein eignes Kind erzogen und dies Werk nur halb vollendet! Was wird sie mit den 30,000 Thalern machen!
Vor Schmerz konnte der Alte kaum Sprache gewinnen.
Es kommt auf zwei Momente in meinem Leben an, fuhr er dann fort, als er seiner Bewegung Herr geworden war. Ich bin Geometer und habe als solcher die Welt gesehen. Um Eisenbahnen zu traciren bin ich bis in die Türkei gekommen! Aber ich war auch im Vaterlande viel beschäftigt, unter Anderem bei Hochlinden, nahe dem lieblichen Städtchen Weilheim, wo ich Aufträge für die Regierung landvermessender Art hatte und lange Zeit Posto faßte. Meine Frau blieb auf der Station Weilheim, während ich in der Provinz bald da, bald dort zu thun hatte. Zufällig besuchte sie das nahegelegene Schloß Hochlinden. Die Gräfin, eine vortreffliche gutmüthige Frau, sah die schlanke junge Blondine, begrüßte sie herablassend und nahm sie freundlich in ihr Schloß. Der Herr Graf kam hinzu und meine Gattin stand
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/11>, abgerufen am 23.07.2024. |