Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.wollte noch eine Weile bei der kaum noch athmenden Schwester bleiben. Der anwesende Arzt hatte Brausepulver verordnet und war schon wieder bei dem reichen Tisch. Zur Sprache war Nichts gekommen; denn hier war die Nähe des Todes. Alles schwieg und deutete auf die Lippen der Kranken, weil diese einige laute Worte gesprochen. Mit Schaudern und kaum seiner noch mächtig, kehrte Wolny, der so großmüthig die drei Verbrecher geschont hatte, auf die hellerleuchtete, jetzt stille Treppe zurück, die in's obere Stockwerk führte. Die Bewirthung hatte das Leben und die Bewegung in einen andern Flügel des Hauses, wo die Küche näher war, verlegt. Auf der halben Stiege stand unter einem hellen kunstvoll aus Bronze getriebenen Gasarm und unter Blattpflanzen Martha fast gespenstisch. Sie streckte ihm die Arme wie zum Gebet entgegen und sprach mit unterdrückter Stimme und mit Thränen: Wo finde ich Worte, um meine Brust vor'm Zerspringenwollen zu retten! Mäßigen Sie sich, sagte Wolny sich umdrehend. So ist Alles gut! Ach, ich weiß nicht, fuhr Martha mit Thränen fort, soll ich der Verzweiflung nachgeben über die erlebte Schande oder dem Dank über Ihre Seelengröße, Ihre Güte ohne Beispiel -! wollte noch eine Weile bei der kaum noch athmenden Schwester bleiben. Der anwesende Arzt hatte Brausepulver verordnet und war schon wieder bei dem reichen Tisch. Zur Sprache war Nichts gekommen; denn hier war die Nähe des Todes. Alles schwieg und deutete auf die Lippen der Kranken, weil diese einige laute Worte gesprochen. Mit Schaudern und kaum seiner noch mächtig, kehrte Wolny, der so großmüthig die drei Verbrecher geschont hatte, auf die hellerleuchtete, jetzt stille Treppe zurück, die in’s obere Stockwerk führte. Die Bewirthung hatte das Leben und die Bewegung in einen andern Flügel des Hauses, wo die Küche näher war, verlegt. Auf der halben Stiege stand unter einem hellen kunstvoll aus Bronze getriebenen Gasarm und unter Blattpflanzen Martha fast gespenstisch. Sie streckte ihm die Arme wie zum Gebet entgegen und sprach mit unterdrückter Stimme und mit Thränen: Wo finde ich Worte, um meine Brust vor’m Zerspringenwollen zu retten! Mäßigen Sie sich, sagte Wolny sich umdrehend. So ist Alles gut! Ach, ich weiß nicht, fuhr Martha mit Thränen fort, soll ich der Verzweiflung nachgeben über die erlebte Schande oder dem Dank über Ihre Seelengröße, Ihre Güte ohne Beispiel –! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0263" n="257"/> wollte noch eine Weile bei der kaum noch athmenden Schwester bleiben. Der anwesende Arzt hatte Brausepulver verordnet und war schon wieder bei dem reichen Tisch. Zur Sprache war Nichts gekommen; denn hier war die Nähe des Todes. Alles schwieg und deutete auf die Lippen der Kranken, weil diese einige laute Worte gesprochen. Mit Schaudern und kaum seiner noch mächtig, kehrte Wolny, der so großmüthig die drei Verbrecher geschont hatte, auf die hellerleuchtete, jetzt stille Treppe zurück, die in’s obere Stockwerk führte. Die Bewirthung hatte das Leben und die Bewegung in einen andern Flügel des Hauses, wo die Küche näher war, verlegt. </p> <p>Auf der halben Stiege stand unter einem hellen kunstvoll aus Bronze getriebenen Gasarm und unter Blattpflanzen Martha fast gespenstisch. </p> <p>Sie streckte ihm die Arme wie zum Gebet entgegen und sprach mit unterdrückter Stimme und mit Thränen: Wo finde ich Worte, um meine Brust vor’m Zerspringenwollen zu retten! </p> <p>Mäßigen Sie sich, sagte Wolny sich umdrehend. So ist Alles gut! </p> <p>Ach, ich weiß nicht, fuhr Martha mit Thränen fort, soll ich der Verzweiflung nachgeben über die erlebte Schande oder dem Dank über Ihre Seelengröße, Ihre Güte ohne Beispiel –! </p> <p> </p> </div> </body> </text> </TEI> [257/0263]
wollte noch eine Weile bei der kaum noch athmenden Schwester bleiben. Der anwesende Arzt hatte Brausepulver verordnet und war schon wieder bei dem reichen Tisch. Zur Sprache war Nichts gekommen; denn hier war die Nähe des Todes. Alles schwieg und deutete auf die Lippen der Kranken, weil diese einige laute Worte gesprochen. Mit Schaudern und kaum seiner noch mächtig, kehrte Wolny, der so großmüthig die drei Verbrecher geschont hatte, auf die hellerleuchtete, jetzt stille Treppe zurück, die in’s obere Stockwerk führte. Die Bewirthung hatte das Leben und die Bewegung in einen andern Flügel des Hauses, wo die Küche näher war, verlegt.
Auf der halben Stiege stand unter einem hellen kunstvoll aus Bronze getriebenen Gasarm und unter Blattpflanzen Martha fast gespenstisch.
Sie streckte ihm die Arme wie zum Gebet entgegen und sprach mit unterdrückter Stimme und mit Thränen: Wo finde ich Worte, um meine Brust vor’m Zerspringenwollen zu retten!
Mäßigen Sie sich, sagte Wolny sich umdrehend. So ist Alles gut!
Ach, ich weiß nicht, fuhr Martha mit Thränen fort, soll ich der Verzweiflung nachgeben über die erlebte Schande oder dem Dank über Ihre Seelengröße, Ihre Güte ohne Beispiel –!
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/263>, abgerufen am 17.07.2024. |