Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie badete sich mein krankes Herz in dem Dufte der Violen! Unter einer Blumenhecke legt' ich mich nieder, und schwamm in den duftigen Seufzern der Rose. Der schlummernden Unschuld der Lilie ward ich zum süßen Traum. Aus ihrem Kelche tauchte ein holder Engel auf, und neigte sein Blumenantlitz auf mich träumenden, traumerregenden Endymion nieder. Der Mond war es aber, der sich in gnadenreicher Herablassung auf mein liebestrahlend Auge senkte. Ich lächelte ihm freundlich; denn ich wußte wohl, daß zur selben Stunde an der mir abgekehrten Seite der Scheibe Deine Blicke hingen. Denke Dir, wenn wir einmal die Scheibe mit unsern Augenpfeilen durch und durch sähen! Wenn wir uns durch das so entstandene Loch küssen könnten! Welch ein Adoniskuß!

Ist es Dir bekannt, daß der Mond nicht das Symbol der Liebe, sondern nur der Ehe ist? und zwar der ewig schmollenden? Der Mann im Monde, nicht der Pseudo-Claurensche, der auf keine Nerve mehr wirkt, sondern jener, den ich täglich sehen kann, wenn ich an meiner Rosenhecke die Nacht abwarte, lebt in zwistigen Verhältnissen mit der Frau im Monde, die Du von Deiner Wohnung aus sehen kannst. Der Streit soll daher kommen, daß der Mann nur sein Gesicht in

Wie badete sich mein krankes Herz in dem Dufte der Violen! Unter einer Blumenhecke legt’ ich mich nieder, und schwamm in den duftigen Seufzern der Rose. Der schlummernden Unschuld der Lilie ward ich zum süßen Traum. Aus ihrem Kelche tauchte ein holder Engel auf, und neigte sein Blumenantlitz auf mich träumenden, traumerregenden Endymion nieder. Der Mond war es aber, der sich in gnadenreicher Herablassung auf mein liebestrahlend Auge senkte. Ich lächelte ihm freundlich; denn ich wußte wohl, daß zur selben Stunde an der mir abgekehrten Seite der Scheibe Deine Blicke hingen. Denke Dir, wenn wir einmal die Scheibe mit unsern Augenpfeilen durch und durch sähen! Wenn wir uns durch das so entstandene Loch küssen könnten! Welch ein Adoniskuß!

Ist es Dir bekannt, daß der Mond nicht das Symbol der Liebe, sondern nur der Ehe ist? und zwar der ewig schmollenden? Der Mann im Monde, nicht der Pseudo-Claurensche, der auf keine Nerve mehr wirkt, sondern jener, den ich täglich sehen kann, wenn ich an meiner Rosenhecke die Nacht abwarte, lebt in zwistigen Verhältnissen mit der Frau im Monde, die Du von Deiner Wohnung aus sehen kannst. Der Streit soll daher kommen, daß der Mann nur sein Gesicht in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0078" n="65"/>
        <p> Wie badete sich mein krankes Herz in dem Dufte der Violen! Unter einer Blumenhecke legt&#x2019; ich mich nieder, und schwamm in den duftigen Seufzern der Rose. Der schlummernden Unschuld der Lilie ward ich zum süßen Traum. Aus ihrem Kelche tauchte ein holder Engel auf, und neigte sein Blumenantlitz auf mich träumenden, traumerregenden <ref xml:id="TEXTEndymion" target="BrN4E.htm#ERLEndymion">Endymion</ref> nieder. Der Mond war es aber, der sich in gnadenreicher Herablassung auf mein liebestrahlend Auge senkte. Ich lächelte ihm freundlich; denn ich wußte wohl, daß zur selben Stunde an der mir abgekehrten Seite der Scheibe Deine Blicke hingen. Denke Dir, wenn wir einmal die Scheibe mit unsern Augenpfeilen durch und durch sähen! Wenn wir uns durch das so entstandene Loch küssen könnten! Welch ein <ref xml:id="TEXTAdoniskuss" target="BrN4E.htm#ERLAdoniskuss">Adoniskuß</ref>!</p>
        <p>Ist es Dir bekannt, daß der Mond nicht das Symbol der Liebe, sondern nur der Ehe ist? und zwar der ewig schmollenden? <ref xml:id="TEXTDerMannBISClaurensche" target="BrN4E.htm#ERLDerMannBISClaurensche">Der Mann im Monde, nicht der Pseudo-Claurensche</ref>, der auf keine Nerve mehr wirkt, sondern jener, den ich täglich sehen kann, wenn ich an meiner Rosenhecke die Nacht abwarte, lebt in zwistigen Verhältnissen mit der Frau im Monde, die Du von Deiner Wohnung aus sehen kannst. Der Streit soll daher kommen, daß der Mann nur sein Gesicht in
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0078] Wie badete sich mein krankes Herz in dem Dufte der Violen! Unter einer Blumenhecke legt’ ich mich nieder, und schwamm in den duftigen Seufzern der Rose. Der schlummernden Unschuld der Lilie ward ich zum süßen Traum. Aus ihrem Kelche tauchte ein holder Engel auf, und neigte sein Blumenantlitz auf mich träumenden, traumerregenden Endymion nieder. Der Mond war es aber, der sich in gnadenreicher Herablassung auf mein liebestrahlend Auge senkte. Ich lächelte ihm freundlich; denn ich wußte wohl, daß zur selben Stunde an der mir abgekehrten Seite der Scheibe Deine Blicke hingen. Denke Dir, wenn wir einmal die Scheibe mit unsern Augenpfeilen durch und durch sähen! Wenn wir uns durch das so entstandene Loch küssen könnten! Welch ein Adoniskuß! Ist es Dir bekannt, daß der Mond nicht das Symbol der Liebe, sondern nur der Ehe ist? und zwar der ewig schmollenden? Der Mann im Monde, nicht der Pseudo-Claurensche, der auf keine Nerve mehr wirkt, sondern jener, den ich täglich sehen kann, wenn ich an meiner Rosenhecke die Nacht abwarte, lebt in zwistigen Verhältnissen mit der Frau im Monde, die Du von Deiner Wohnung aus sehen kannst. Der Streit soll daher kommen, daß der Mann nur sein Gesicht in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/78
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/78>, abgerufen am 17.05.2024.