[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.kommenden preußischen Neumittelalters ist er deshalb auch beim Antiquitäten- und Raritäten-Cabinet angestellt worden. Dieser bringt nun so einen Helden eines abgeschiedenen Jahrhunderts mitten in die Tage der Gegenwart. Er läßt jährlich in der Neujahrsnacht den großen Kurfürsten auf der langen Brücke in Berlin--die darum die lange heißt, weil sie nicht kürzer als die andern der Stadt ist--von den Todten auferstehen, und über die Dinge, die im verflossenen Jahr in der Spener-Spiekerischen Zeitung gestanden haben, recht altklug politisiren. Ich bewundere das Talent der Vivificirung, das sogar einen Berliner Witz Lügen straft, nämlich der eiserne Kurfürst drehe sich auf seinem Pferde um, wenn er des Nachts den Dom zwölf schlagen hört; aber was sprechen Sr. Kurfürstlichen Gnaden für sonderbares Zeug! Und wie schlägt sich das Organ selbst ins Gesicht. Das weißt Du gewiß so gut, als ich, daß die Könige in Preußen wenigstens bis auf diesen Augenblick keine persönliche Ahnen haben, sondern ihnen immer nur die dynamische Idee des Königthums voranging. Wo sollte sonst die Lehre von der garantirenden Persönlichkeit hin! Bei jedem Thronwechsel müßte für die Principien des Staatsrechts eine neue Stunde schlagen. Bis jetzt hat das Hohenzollern--das Wittelsbacherthum kommenden preußischen Neumittelalters ist er deshalb auch beim Antiquitäten- und Raritäten-Cabinet angestellt worden. Dieser bringt nun so einen Helden eines abgeschiedenen Jahrhunderts mitten in die Tage der Gegenwart. Er läßt jährlich in der Neujahrsnacht den großen Kurfürsten auf der langen Brücke in Berlin—die darum die lange heißt, weil sie nicht kürzer als die andern der Stadt ist—von den Todten auferstehen, und über die Dinge, die im verflossenen Jahr in der Spener-Spiekerischen Zeitung gestanden haben, recht altklug politisiren. Ich bewundere das Talent der Vivificirung, das sogar einen Berliner Witz Lügen straft, nämlich der eiserne Kurfürst drehe sich auf seinem Pferde um, wenn er des Nachts den Dom zwölf schlagen hört; aber was sprechen Sr. Kurfürstlichen Gnaden für sonderbares Zeug! Und wie schlägt sich das Organ selbst ins Gesicht. Das weißt Du gewiß so gut, als ich, daß die Könige in Preußen wenigstens bis auf diesen Augenblick keine persönliche Ahnen haben, sondern ihnen immer nur die dynamische Idee des Königthums voranging. Wo sollte sonst die Lehre von der garantirenden Persönlichkeit hin! Bei jedem Thronwechsel müßte für die Principien des Staatsrechts eine neue Stunde schlagen. Bis jetzt hat das Hohenzollern—das Wittelsbacherthum <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0070" n="57"/> kommenden preußischen Neumittelalters ist er deshalb auch beim Antiquitäten- und Raritäten-Cabinet angestellt worden. Dieser bringt nun so einen Helden eines abgeschiedenen Jahrhunderts mitten in die Tage der Gegenwart. Er läßt jährlich in der Neujahrsnacht den großen Kurfürsten auf der langen Brücke in Berlin—<ref xml:id="TEXTdiedarumBISderStadtist" target="BrN4E.htm#ERLdiedarumBISderStadtist">die darum die lange heißt, weil sie nicht kürzer als die andern der Stadt ist</ref>—von den Todten auferstehen, und über die Dinge, die im verflossenen Jahr <ref xml:id="TEXTinderSpenerSpiekerischenZeitung" target="BrN4E.htm#ERLinderSpenerSpiekerischenZeitung">in der Spener-Spiekerischen Zeitung</ref> gestanden haben, recht altklug politisiren. Ich bewundere das Talent der Vivificirung, das sogar einen Berliner Witz Lügen straft, nämlich der eiserne Kurfürst drehe sich auf seinem Pferde um, wenn er des Nachts den Dom zwölf schlagen hört; aber was sprechen Sr. Kurfürstlichen Gnaden für sonderbares Zeug! Und wie schlägt sich das Organ selbst ins Gesicht.</p> <p>Das weißt Du gewiß so gut, als ich, <ref xml:id="TEXTdassdieKoenigeBISvoranging" target="BrN4E.htm#ERLdassdieKoenigeBISvoranging">daß die Könige in Preußen wenigstens bis auf diesen Augenblick keine persönliche Ahnen haben, sondern ihnen immer nur die dynamische Idee des Königthums voranging</ref>. Wo sollte sonst die Lehre von der garantirenden Persönlichkeit hin! Bei jedem Thronwechsel müßte für die Principien des Staatsrechts eine neue Stunde schlagen. <ref xml:id="TEXTBisjetztBISnichtnachgeahmt" target="BrN4E.htm#ERLBisjetztBISnichtnachgeahmt">Bis jetzt hat das Hohenzollern—das Wittelsbacherthum </ref></p> </div> </body> </text> </TEI> [57/0070]
kommenden preußischen Neumittelalters ist er deshalb auch beim Antiquitäten- und Raritäten-Cabinet angestellt worden. Dieser bringt nun so einen Helden eines abgeschiedenen Jahrhunderts mitten in die Tage der Gegenwart. Er läßt jährlich in der Neujahrsnacht den großen Kurfürsten auf der langen Brücke in Berlin—die darum die lange heißt, weil sie nicht kürzer als die andern der Stadt ist—von den Todten auferstehen, und über die Dinge, die im verflossenen Jahr in der Spener-Spiekerischen Zeitung gestanden haben, recht altklug politisiren. Ich bewundere das Talent der Vivificirung, das sogar einen Berliner Witz Lügen straft, nämlich der eiserne Kurfürst drehe sich auf seinem Pferde um, wenn er des Nachts den Dom zwölf schlagen hört; aber was sprechen Sr. Kurfürstlichen Gnaden für sonderbares Zeug! Und wie schlägt sich das Organ selbst ins Gesicht.
Das weißt Du gewiß so gut, als ich, daß die Könige in Preußen wenigstens bis auf diesen Augenblick keine persönliche Ahnen haben, sondern ihnen immer nur die dynamische Idee des Königthums voranging. Wo sollte sonst die Lehre von der garantirenden Persönlichkeit hin! Bei jedem Thronwechsel müßte für die Principien des Staatsrechts eine neue Stunde schlagen. Bis jetzt hat das Hohenzollern—das Wittelsbacherthum
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Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/70>, abgerufen am 16.02.2025. |