[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.aller Charitinnen ausgesprochen, der sich immer zu Gunsten der Schönheit und Anmuth endet. Die ewige Unruhe des Beines, die leichte Hebung des Armes, die gesenkte Lage des Kopfes, aus solchen Exponenten ließe sich nicht die erhabenste Größe bilden? Mit Recht hat man den Tanz eine Musik fürs Auge genannt; warum wir Beide nur zögern, sie vollstimmig zu machen! Der endlose Mechanismus unseres Lebens hat die neuern Völker verführt, bei der Vollendung der Künste da inne zu halten, wo man den Uebergang vom Schönen zum Nützlichen nicht entdecken konnte. Man hat sich gewöhnt, den Nutzen nur immer gleich im ersten Resultate einer Bemühung zu finden, für entferntere Beziehungen war unser Auge nie scharfsichtig genug. Die Gewöhnung an eingewurzelte Irrthümer hat aus vielen Dingen ihr Gegentheil gemacht. Die Philosophie ist unter unsern Händen und Büchern eine Wissenschaft geworden, die nur Sätze aufstellt über ihre eigne Nichtigkeit. Die Religion ist in Dinge gesetzt, deren Zusammenhang mit Gott man selten, den Zusammenhang mit dem menschlichen Herzen man nie einsehen wird. Die Wände unserer Kirchen sind mit weißem Kalk übertüncht, und kein Bild in ihnen, als das ein zärtlicher Liebhaber von seiner Schönen vielleicht auf der Brust tragen mag, da- aller Charitinnen ausgesprochen, der sich immer zu Gunsten der Schönheit und Anmuth endet. Die ewige Unruhe des Beines, die leichte Hebung des Armes, die gesenkte Lage des Kopfes, aus solchen Exponenten ließe sich nicht die erhabenste Größe bilden? Mit Recht hat man den Tanz eine Musik fürs Auge genannt; warum wir Beide nur zögern, sie vollstimmig zu machen! Der endlose Mechanismus unseres Lebens hat die neuern Völker verführt, bei der Vollendung der Künste da inne zu halten, wo man den Uebergang vom Schönen zum Nützlichen nicht entdecken konnte. Man hat sich gewöhnt, den Nutzen nur immer gleich im ersten Resultate einer Bemühung zu finden, für entferntere Beziehungen war unser Auge nie scharfsichtig genug. Die Gewöhnung an eingewurzelte Irrthümer hat aus vielen Dingen ihr Gegentheil gemacht. Die Philosophie ist unter unsern Händen und Büchern eine Wissenschaft geworden, die nur Sätze aufstellt über ihre eigne Nichtigkeit. Die Religion ist in Dinge gesetzt, deren Zusammenhang mit Gott man selten, den Zusammenhang mit dem menschlichen Herzen man nie einsehen wird. Die Wände unserer Kirchen sind mit weißem Kalk übertüncht, und kein Bild in ihnen, als das ein zärtlicher Liebhaber von seiner Schönen vielleicht auf der Brust tragen mag, da- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0260" n="247"/> aller Charitinnen ausgesprochen, der sich immer zu Gunsten der Schönheit und Anmuth endet. Die ewige Unruhe des Beines, die leichte Hebung des Armes, die gesenkte Lage des Kopfes, aus solchen Exponenten ließe sich nicht die erhabenste Größe bilden? Mit Recht hat man den Tanz eine Musik fürs Auge genannt; warum wir Beide nur zögern, sie vollstimmig zu machen!</p> <p>Der endlose Mechanismus unseres Lebens hat die neuern Völker verführt, bei der Vollendung der Künste da inne zu halten, wo man den Uebergang vom Schönen zum Nützlichen nicht entdecken konnte. Man hat sich gewöhnt, den Nutzen nur immer gleich im ersten Resultate einer Bemühung zu finden, für entferntere Beziehungen war unser Auge nie scharfsichtig genug. Die Gewöhnung an eingewurzelte Irrthümer hat aus vielen Dingen ihr Gegentheil gemacht. Die Philosophie ist unter unsern Händen und Büchern eine Wissenschaft geworden, die nur Sätze aufstellt über ihre eigne Nichtigkeit. Die Religion ist in Dinge gesetzt, deren Zusammenhang mit Gott man selten, den Zusammenhang mit dem menschlichen Herzen man nie einsehen wird. Die Wände unserer Kirchen sind mit weißem Kalk übertüncht, und kein Bild in ihnen, als das ein zärtlicher Liebhaber von seiner Schönen vielleicht auf der Brust tragen mag, da- </p> </div> </body> </text> </TEI> [247/0260]
aller Charitinnen ausgesprochen, der sich immer zu Gunsten der Schönheit und Anmuth endet. Die ewige Unruhe des Beines, die leichte Hebung des Armes, die gesenkte Lage des Kopfes, aus solchen Exponenten ließe sich nicht die erhabenste Größe bilden? Mit Recht hat man den Tanz eine Musik fürs Auge genannt; warum wir Beide nur zögern, sie vollstimmig zu machen!
Der endlose Mechanismus unseres Lebens hat die neuern Völker verführt, bei der Vollendung der Künste da inne zu halten, wo man den Uebergang vom Schönen zum Nützlichen nicht entdecken konnte. Man hat sich gewöhnt, den Nutzen nur immer gleich im ersten Resultate einer Bemühung zu finden, für entferntere Beziehungen war unser Auge nie scharfsichtig genug. Die Gewöhnung an eingewurzelte Irrthümer hat aus vielen Dingen ihr Gegentheil gemacht. Die Philosophie ist unter unsern Händen und Büchern eine Wissenschaft geworden, die nur Sätze aufstellt über ihre eigne Nichtigkeit. Die Religion ist in Dinge gesetzt, deren Zusammenhang mit Gott man selten, den Zusammenhang mit dem menschlichen Herzen man nie einsehen wird. Die Wände unserer Kirchen sind mit weißem Kalk übertüncht, und kein Bild in ihnen, als das ein zärtlicher Liebhaber von seiner Schönen vielleicht auf der Brust tragen mag, da-
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Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/260>, abgerufen am 16.02.2025. |