Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

nachgiebig, sagen sich von denen los, die mit ihnen einerlei Meinung, aber mehr Muth, sie zu vertheidigen, haben. Es fehlt ihnen sogar nicht an Tadel, wenn sie in der Kirchengeschichte, ihrem Hauptfache, auf Märtyrer der Ueberzeugung stoßen. Man erkennt sie an ihrem Schiboleth: seid fromm wie die Tauben, aber klug wie die Schlangen!

Wir Beide wären nun wohl schon so thöricht, und setzten uns mit Marius auf die Trümmer Karthago's, und weineten blutige Thränen. Bietet man uns in Glaubenssachen nicht noch einen Trost an, den absoluten, die Bestrebungen der Speculation um die Wahrheit des Christenthums? Hast Du Knigge's Umgang mit den Menschen gelesen? Chesterfield's Briefe und Aehnliches? Gewiß, es gibt im Handeln eine Lüge, die den täuschenden Schein der Sittlichkeit annimmt. Dieselbe Verschlagenheit hat bei uns im Wissen fast immer gegolten. Die angedeutete neue, jetzt hirt-, aber nicht herdenlose Secte ist auf Kunststraßen zu Lehren gekommen, die sie um so leichter aufopfern wird, je weniger ihre einzelnen Glieder wissen mögen, wie sie zu den symbolischen Büchern, zum heiligen Augustinus, zur Erbsünde und zum Teufel gekommen sind. Der Schein der Ueberredung ist täuschend, aber der täuschendste der der logischen Wahrheit. Und wenn es wahr ist, daß

nachgiebig, sagen sich von denen los, die mit ihnen einerlei Meinung, aber mehr Muth, sie zu vertheidigen, haben. Es fehlt ihnen sogar nicht an Tadel, wenn sie in der Kirchengeschichte, ihrem Hauptfache, auf Märtyrer der Ueberzeugung stoßen. Man erkennt sie an ihrem Schiboleth: seid fromm wie die Tauben, aber klug wie die Schlangen!

Wir Beide wären nun wohl schon so thöricht, und setzten uns mit Marius auf die Trümmer Karthago’s, und weineten blutige Thränen. Bietet man uns in Glaubenssachen nicht noch einen Trost an, den absoluten, die Bestrebungen der Speculation um die Wahrheit des Christenthums? Hast Du Knigge’s Umgang mit den Menschen gelesen? Chesterfield’s Briefe und Aehnliches? Gewiß, es gibt im Handeln eine Lüge, die den täuschenden Schein der Sittlichkeit annimmt. Dieselbe Verschlagenheit hat bei uns im Wissen fast immer gegolten. Die angedeutete neue, jetzt hirt-, aber nicht herdenlose Secte ist auf Kunststraßen zu Lehren gekommen, die sie um so leichter aufopfern wird, je weniger ihre einzelnen Glieder wissen mögen, wie sie zu den symbolischen Büchern, zum heiligen Augustinus, zur Erbsünde und zum Teufel gekommen sind. Der Schein der Ueberredung ist täuschend, aber der täuschendste der der logischen Wahrheit. Und wenn es wahr ist, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0147" n="134"/>
nachgiebig, sagen sich von denen los, die mit ihnen einerlei Meinung, aber mehr Muth, sie zu vertheidigen, haben. Es fehlt ihnen sogar nicht an Tadel, wenn sie in der Kirchengeschichte, ihrem Hauptfache, auf Märtyrer der Ueberzeugung stoßen. Man erkennt sie an ihrem Schiboleth: seid fromm wie die Tauben, aber klug wie die Schlangen!</p>
        <p>Wir Beide wären nun wohl schon so thöricht, und setzten uns mit Marius auf die Trümmer Karthago&#x2019;s, und weineten blutige Thränen. Bietet man uns in Glaubenssachen nicht noch einen Trost an, den absoluten, die Bestrebungen der Speculation um die Wahrheit des Christenthums? Hast Du Knigge&#x2019;s Umgang mit den Menschen gelesen? Chesterfield&#x2019;s Briefe und Aehnliches? Gewiß, es gibt im Handeln eine Lüge, die den täuschenden Schein der Sittlichkeit annimmt. Dieselbe Verschlagenheit hat bei uns im Wissen fast immer gegolten. Die angedeutete neue, jetzt hirt-, aber nicht herdenlose Secte ist auf Kunststraßen zu Lehren gekommen, die sie um so leichter aufopfern wird, je weniger ihre einzelnen Glieder wissen mögen, wie sie zu den symbolischen Büchern, zum heiligen Augustinus, zur Erbsünde und zum Teufel gekommen sind. Der Schein der Ueberredung ist täuschend, aber der täuschendste der der logischen Wahrheit. Und wenn es wahr ist, daß
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0147] nachgiebig, sagen sich von denen los, die mit ihnen einerlei Meinung, aber mehr Muth, sie zu vertheidigen, haben. Es fehlt ihnen sogar nicht an Tadel, wenn sie in der Kirchengeschichte, ihrem Hauptfache, auf Märtyrer der Ueberzeugung stoßen. Man erkennt sie an ihrem Schiboleth: seid fromm wie die Tauben, aber klug wie die Schlangen! Wir Beide wären nun wohl schon so thöricht, und setzten uns mit Marius auf die Trümmer Karthago’s, und weineten blutige Thränen. Bietet man uns in Glaubenssachen nicht noch einen Trost an, den absoluten, die Bestrebungen der Speculation um die Wahrheit des Christenthums? Hast Du Knigge’s Umgang mit den Menschen gelesen? Chesterfield’s Briefe und Aehnliches? Gewiß, es gibt im Handeln eine Lüge, die den täuschenden Schein der Sittlichkeit annimmt. Dieselbe Verschlagenheit hat bei uns im Wissen fast immer gegolten. Die angedeutete neue, jetzt hirt-, aber nicht herdenlose Secte ist auf Kunststraßen zu Lehren gekommen, die sie um so leichter aufopfern wird, je weniger ihre einzelnen Glieder wissen mögen, wie sie zu den symbolischen Büchern, zum heiligen Augustinus, zur Erbsünde und zum Teufel gekommen sind. Der Schein der Ueberredung ist täuschend, aber der täuschendste der der logischen Wahrheit. Und wenn es wahr ist, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/147
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/147>, abgerufen am 22.11.2024.