Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Sultan.
in Konstantinopel und die Gräuel auf den Inseln,
vergebens die Hartnäckigkeit gegen die fränkischen Ge¬
sandten und die Weigerung, sich auf dem Kongresse
von Verona über Griechenland beruhigen zu lassen;
die Janitscharen sahen in Khalet-Effendi, diesem nie¬
driggebornen Weintrinker, das Hinderniß ihres Glückes
und brachen im Jahr 1822 im wilden Aufruhr gegen
das Serail heran. Berber-baschi, der Normalbarbier
der ottomanischen Bartcivilisation, wurde verbannt,
nach ihm Khalet-Effendi und seine Kreaturen.

Khalet lachte, als er über den Hellespont setzte;
denn sein Freund Mahmud hatte ihn umarmt, und
hatte ihm eigenhändig einen Sicherheitspaß ausgestellt,
der ihn so lange schützen sollte, bis sich die Verhält¬
nisse zu seiner Rückberufung günstiger gestellt haben
würden. Aber die Empörer waren mit dieser Ro¬
mantik nicht zufrieden, sondern preßten dem Sultan
einen Todesbefehl ab, den er selbst über seinen Freund
schreiben mußte, wahrscheinlich mit derselben zierlichen
Hand, mit denselben Schnörkeln und Arabesken.
Khalet lächelte noch immer, und auch da noch, als
der Aga schon vor ihm stand und ihm eine seidene
Schnur präsentirte; er zog seine Kalligraphie aus dem
Brustlatz; aber indem er den neuen Hattischerif las,

Der Sultan.
in Konſtantinopel und die Graͤuel auf den Inſeln,
vergebens die Hartnaͤckigkeit gegen die fraͤnkiſchen Ge¬
ſandten und die Weigerung, ſich auf dem Kongreſſe
von Verona uͤber Griechenland beruhigen zu laſſen;
die Janitſcharen ſahen in Khalet-Effendi, dieſem nie¬
driggebornen Weintrinker, das Hinderniß ihres Gluͤckes
und brachen im Jahr 1822 im wilden Aufruhr gegen
das Serail heran. Berber-baſchi, der Normalbarbier
der ottomaniſchen Bartciviliſation, wurde verbannt,
nach ihm Khalet-Effendi und ſeine Kreaturen.

Khalet lachte, als er uͤber den Hellespont ſetzte;
denn ſein Freund Mahmud hatte ihn umarmt, und
hatte ihm eigenhaͤndig einen Sicherheitspaß ausgeſtellt,
der ihn ſo lange ſchuͤtzen ſollte, bis ſich die Verhaͤlt¬
niſſe zu ſeiner Ruͤckberufung guͤnſtiger geſtellt haben
wuͤrden. Aber die Empoͤrer waren mit dieſer Ro¬
mantik nicht zufrieden, ſondern preßten dem Sultan
einen Todesbefehl ab, den er ſelbſt uͤber ſeinen Freund
ſchreiben mußte, wahrſcheinlich mit derſelben zierlichen
Hand, mit denſelben Schnoͤrkeln und Arabesken.
Khalet laͤchelte noch immer, und auch da noch, als
der Aga ſchon vor ihm ſtand und ihm eine ſeidene
Schnur praͤſentirte; er zog ſeine Kalligraphie aus dem
Bruſtlatz; aber indem er den neuen Hattiſcherif las,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0340" n="322"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Sultan</hi>.<lb/></fw>in Kon&#x017F;tantinopel und die Gra&#x0364;uel auf den In&#x017F;eln,<lb/>
vergebens die Hartna&#x0364;ckigkeit gegen die fra&#x0364;nki&#x017F;chen Ge¬<lb/>
&#x017F;andten und die Weigerung, &#x017F;ich auf dem Kongre&#x017F;&#x017F;e<lb/>
von Verona u&#x0364;ber Griechenland beruhigen zu la&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
die Janit&#x017F;charen &#x017F;ahen in Khalet-Effendi, die&#x017F;em nie¬<lb/>
driggebornen Weintrinker, das Hinderniß ihres Glu&#x0364;ckes<lb/>
und brachen im Jahr 1822 im wilden Aufruhr gegen<lb/>
das Serail heran. Berber-ba&#x017F;chi, der Normalbarbier<lb/>
der ottomani&#x017F;chen Bartcivili&#x017F;ation, wurde verbannt,<lb/>
nach ihm Khalet-Effendi und &#x017F;eine Kreaturen.</p><lb/>
        <p>Khalet lachte, als er u&#x0364;ber den Hellespont &#x017F;etzte;<lb/>
denn &#x017F;ein Freund Mahmud hatte ihn umarmt, und<lb/>
hatte ihm eigenha&#x0364;ndig einen Sicherheitspaß ausge&#x017F;tellt,<lb/>
der ihn &#x017F;o lange &#x017F;chu&#x0364;tzen &#x017F;ollte, bis &#x017F;ich die Verha&#x0364;lt¬<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e zu &#x017F;einer Ru&#x0364;ckberufung gu&#x0364;n&#x017F;tiger ge&#x017F;tellt haben<lb/>
wu&#x0364;rden. Aber die Empo&#x0364;rer waren mit die&#x017F;er Ro¬<lb/>
mantik nicht zufrieden, &#x017F;ondern preßten dem Sultan<lb/>
einen Todesbefehl ab, den er &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;ber &#x017F;einen Freund<lb/>
&#x017F;chreiben mußte, wahr&#x017F;cheinlich mit der&#x017F;elben zierlichen<lb/>
Hand, mit den&#x017F;elben Schno&#x0364;rkeln und Arabesken.<lb/>
Khalet la&#x0364;chelte noch immer, und auch da noch, als<lb/>
der Aga &#x017F;chon vor ihm &#x017F;tand und ihm eine &#x017F;eidene<lb/>
Schnur pra&#x0364;&#x017F;entirte; er zog &#x017F;eine Kalligraphie aus dem<lb/>
Bru&#x017F;tlatz; aber indem er den neuen Hatti&#x017F;cherif las,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0340] Der Sultan. in Konſtantinopel und die Graͤuel auf den Inſeln, vergebens die Hartnaͤckigkeit gegen die fraͤnkiſchen Ge¬ ſandten und die Weigerung, ſich auf dem Kongreſſe von Verona uͤber Griechenland beruhigen zu laſſen; die Janitſcharen ſahen in Khalet-Effendi, dieſem nie¬ driggebornen Weintrinker, das Hinderniß ihres Gluͤckes und brachen im Jahr 1822 im wilden Aufruhr gegen das Serail heran. Berber-baſchi, der Normalbarbier der ottomaniſchen Bartciviliſation, wurde verbannt, nach ihm Khalet-Effendi und ſeine Kreaturen. Khalet lachte, als er uͤber den Hellespont ſetzte; denn ſein Freund Mahmud hatte ihn umarmt, und hatte ihm eigenhaͤndig einen Sicherheitspaß ausgeſtellt, der ihn ſo lange ſchuͤtzen ſollte, bis ſich die Verhaͤlt¬ niſſe zu ſeiner Ruͤckberufung guͤnſtiger geſtellt haben wuͤrden. Aber die Empoͤrer waren mit dieſer Ro¬ mantik nicht zufrieden, ſondern preßten dem Sultan einen Todesbefehl ab, den er ſelbſt uͤber ſeinen Freund ſchreiben mußte, wahrſcheinlich mit derſelben zierlichen Hand, mit denſelben Schnoͤrkeln und Arabesken. Khalet laͤchelte noch immer, und auch da noch, als der Aga ſchon vor ihm ſtand und ihm eine ſeidene Schnur praͤſentirte; er zog ſeine Kalligraphie aus dem Bruſtlatz; aber indem er den neuen Hattiſcherif las,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/340
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/340>, abgerufen am 22.11.2024.