wie sie selbst in höhern Kreisen herrschte. Ancillon war einst bei dem Prinzen Louis und traf den preußischen Historiographen Johannes von Müller, welcher kleine Mann damals eine große Rolle spielte, und den Grafen d'Antraigues zugegen.
Der Graf, ein Emigre, haßte die neue Ordnung in Frankreich und war von Dresden nach Berlin, wo man ihn ungern sahe, gekommen, um die preußische Politik zum Kriege gegen Frankreich zu bewegen. Hier sahe Ancillon, wie weit schon der Krebs des Verfalls am Vaterlande gefressen hatte.
Ancillon sah von dieser Zeit an wohl ein, daß alle diejenigen, welche sich anheischig mach¬ ten, den Staat zu retten, nur entweder für ihre Leidenschaften einen glänzenden Vorwand suchten oder in den andern Sphären von einer hohlen, im Räsonniren begriffenen, Verbesserungsmanie getrie¬ ben wurden. Er wählte den richtigsten Weg und schloß sich mit der Achtung, welche man dem Unglück schuldig ist und der Loyalität, welche an die Schicksale des Königs das Loos des Vaterlandes knüpfte, an die Familie des Herrschers an, welche sich der Ergebenheit der alten Provinzen anvertraute. Ancillon wurde
Ancillon.
wie ſie ſelbſt in hoͤhern Kreiſen herrſchte. Ancillon war einſt bei dem Prinzen Louis und traf den preußiſchen Hiſtoriographen Johannes von Muͤller, welcher kleine Mann damals eine große Rolle ſpielte, und den Grafen d'Antraigues zugegen.
Der Graf, ein Emigré, haßte die neue Ordnung in Frankreich und war von Dresden nach Berlin, wo man ihn ungern ſahe, gekommen, um die preußiſche Politik zum Kriege gegen Frankreich zu bewegen. Hier ſahe Ancillon, wie weit ſchon der Krebs des Verfalls am Vaterlande gefreſſen hatte.
Ancillon ſah von dieſer Zeit an wohl ein, daß alle diejenigen, welche ſich anheiſchig mach¬ ten, den Staat zu retten, nur entweder fuͤr ihre Leidenſchaften einen glaͤnzenden Vorwand ſuchten oder in den andern Sphaͤren von einer hohlen, im Raͤſonniren begriffenen, Verbeſſerungsmanie getrie¬ ben wurden. Er waͤhlte den richtigſten Weg und ſchloß ſich mit der Achtung, welche man dem Ungluͤck ſchuldig iſt und der Loyalitaͤt, welche an die Schickſale des Koͤnigs das Loos des Vaterlandes knuͤpfte, an die Familie des Herrſchers an, welche ſich der Ergebenheit der alten Provinzen anvertraute. Ancillon wurde
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Ancillon.
wie ſie ſelbſt in hoͤhern Kreiſen herrſchte. Ancillon
war einſt bei dem Prinzen Louis und traf den
preußiſchen Hiſtoriographen Johannes von Muͤller,
welcher kleine Mann damals eine große Rolle ſpielte,
und den Grafen d'Antraigues zugegen.
Der Graf, ein Emigré, haßte die neue Ordnung
in Frankreich und war von Dresden nach Berlin, wo
man ihn ungern ſahe, gekommen, um die preußiſche
Politik zum Kriege gegen Frankreich zu bewegen. Hier
ſahe Ancillon, wie weit ſchon der Krebs des Verfalls
am Vaterlande gefreſſen hatte.
Ancillon ſah von dieſer Zeit an wohl ein,
daß alle diejenigen, welche ſich anheiſchig mach¬
ten, den Staat zu retten, nur entweder fuͤr ihre
Leidenſchaften einen glaͤnzenden Vorwand ſuchten
oder in den andern Sphaͤren von einer hohlen,
im Raͤſonniren begriffenen, Verbeſſerungsmanie getrie¬
ben wurden. Er waͤhlte den richtigſten Weg und
ſchloß ſich mit der Achtung, welche man dem Ungluͤck
ſchuldig iſt und der Loyalitaͤt, welche an die Schickſale
des Koͤnigs das Loos des Vaterlandes knuͤpfte, an die
Familie des Herrſchers an, welche ſich der Ergebenheit
der alten Provinzen anvertraute. Ancillon wurde
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/278>, abgerufen am 23.07.2024.
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