Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Daniel O'Connell.
gogie eine Menge von Regeln vorhanden sind, welche
systematisch zu ordnen keine müßige Erfindung ist. Das
Betragen der Pisistratiden, des Perikles, der Antonius
und Octavius steht auf der einen Seite, und wird auf
der andern von Cleon, von den Gracchen, Catilina,
von Orleans und Mirabeau ergänzt. Hier ist nichts
ohne Plan und Methode, hier ist nicht Alles bloße
Willkühr und hingestellte Absicht, sondern die Dema¬
gogie hat so gut ihre Macchiavellismen, wie die Auto¬
rität, welche sich erhalten will.

O'Connell hat die Geschichte mit dieser Rücksicht
studirt, kann aber zu dem überlieferten Systeme so viel
Neues geben, daß wir einsehen, eine Agitation, wie
die seinige, ist noch nicht vorhanden gewesen. Das
Neue liegt bei ihm in seiner wunderbaren Stellung,
in dieser kron- und scepterlosen, aber darum nicht we¬
niger anerkannten Herrschaft über Millionen, in diesem
Vertrauen eines ganzen Volkes, das seinen Günstling
und Fürsprecher sogar aus eine Civilliste setzt, welche
ihm den Schein eines angestammten Herrschers gibt.

O'Connell ist den alten Demagogen schon darin
ungleich, daß er bei aller Genugthuung seines persönli¬
chen Ehrgeizes doch nicht darauf denken kann, für sich
ein positives Resultat, irgend eine Würde oder erbli¬

Daniel O'Connell.
gogie eine Menge von Regeln vorhanden ſind, welche
ſyſtematiſch zu ordnen keine muͤßige Erfindung iſt. Das
Betragen der Piſiſtratiden, des Perikles, der Antonius
und Octavius ſteht auf der einen Seite, und wird auf
der andern von Cleon, von den Gracchen, Catilina,
von Orleans und Mirabeau ergaͤnzt. Hier iſt nichts
ohne Plan und Methode, hier iſt nicht Alles bloße
Willkuͤhr und hingeſtellte Abſicht, ſondern die Dema¬
gogie hat ſo gut ihre Macchiavellismen, wie die Auto¬
ritaͤt, welche ſich erhalten will.

O'Connell hat die Geſchichte mit dieſer Ruͤckſicht
ſtudirt, kann aber zu dem uͤberlieferten Syſteme ſo viel
Neues geben, daß wir einſehen, eine Agitation, wie
die ſeinige, iſt noch nicht vorhanden geweſen. Das
Neue liegt bei ihm in ſeiner wunderbaren Stellung,
in dieſer kron- und ſcepterloſen, aber darum nicht we¬
niger anerkannten Herrſchaft uͤber Millionen, in dieſem
Vertrauen eines ganzen Volkes, das ſeinen Guͤnſtling
und Fuͤrſprecher ſogar aus eine Civilliſte ſetzt, welche
ihm den Schein eines angeſtammten Herrſchers gibt.

O'Connell iſt den alten Demagogen ſchon darin
ungleich, daß er bei aller Genugthuung ſeines perſoͤnli¬
chen Ehrgeizes doch nicht darauf denken kann, fuͤr ſich
ein poſitives Reſultat, irgend eine Wuͤrde oder erbli¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0189" n="171"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Daniel O'Connell</hi>.<lb/></fw>gogie eine Menge von Regeln vorhanden &#x017F;ind, welche<lb/>
&#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;ch zu ordnen keine mu&#x0364;ßige Erfindung i&#x017F;t. Das<lb/>
Betragen der Pi&#x017F;i&#x017F;tratiden, des Perikles, der Antonius<lb/>
und Octavius &#x017F;teht auf der einen Seite, und wird auf<lb/>
der andern von Cleon, von den Gracchen, Catilina,<lb/>
von Orleans und Mirabeau erga&#x0364;nzt. Hier i&#x017F;t nichts<lb/>
ohne Plan und Methode, hier i&#x017F;t nicht Alles bloße<lb/>
Willku&#x0364;hr und hinge&#x017F;tellte Ab&#x017F;icht, &#x017F;ondern die Dema¬<lb/>
gogie hat &#x017F;o gut ihre Macchiavellismen, wie die Auto¬<lb/>
rita&#x0364;t, welche &#x017F;ich erhalten will.</p><lb/>
        <p>O'Connell hat die Ge&#x017F;chichte mit die&#x017F;er Ru&#x0364;ck&#x017F;icht<lb/>
&#x017F;tudirt, kann aber zu dem u&#x0364;berlieferten Sy&#x017F;teme &#x017F;o viel<lb/>
Neues geben, daß wir ein&#x017F;ehen, eine Agitation, wie<lb/>
die &#x017F;einige, i&#x017F;t noch nicht vorhanden gewe&#x017F;en. Das<lb/>
Neue liegt bei ihm in &#x017F;einer wunderbaren Stellung,<lb/>
in die&#x017F;er kron- und &#x017F;cepterlo&#x017F;en, aber darum nicht we¬<lb/>
niger anerkannten Herr&#x017F;chaft u&#x0364;ber Millionen, in die&#x017F;em<lb/>
Vertrauen eines ganzen Volkes, das &#x017F;einen Gu&#x0364;n&#x017F;tling<lb/>
und Fu&#x0364;r&#x017F;precher &#x017F;ogar aus eine Civilli&#x017F;te &#x017F;etzt, welche<lb/>
ihm den Schein eines ange&#x017F;tammten Herr&#x017F;chers gibt.</p><lb/>
        <p>O'Connell i&#x017F;t den alten Demagogen &#x017F;chon darin<lb/>
ungleich, daß er bei aller Genugthuung &#x017F;eines per&#x017F;o&#x0364;nli¬<lb/>
chen Ehrgeizes doch nicht darauf denken kann, fu&#x0364;r &#x017F;ich<lb/>
ein po&#x017F;itives Re&#x017F;ultat, irgend eine Wu&#x0364;rde oder erbli¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0189] Daniel O'Connell. gogie eine Menge von Regeln vorhanden ſind, welche ſyſtematiſch zu ordnen keine muͤßige Erfindung iſt. Das Betragen der Piſiſtratiden, des Perikles, der Antonius und Octavius ſteht auf der einen Seite, und wird auf der andern von Cleon, von den Gracchen, Catilina, von Orleans und Mirabeau ergaͤnzt. Hier iſt nichts ohne Plan und Methode, hier iſt nicht Alles bloße Willkuͤhr und hingeſtellte Abſicht, ſondern die Dema¬ gogie hat ſo gut ihre Macchiavellismen, wie die Auto¬ ritaͤt, welche ſich erhalten will. O'Connell hat die Geſchichte mit dieſer Ruͤckſicht ſtudirt, kann aber zu dem uͤberlieferten Syſteme ſo viel Neues geben, daß wir einſehen, eine Agitation, wie die ſeinige, iſt noch nicht vorhanden geweſen. Das Neue liegt bei ihm in ſeiner wunderbaren Stellung, in dieſer kron- und ſcepterloſen, aber darum nicht we¬ niger anerkannten Herrſchaft uͤber Millionen, in dieſem Vertrauen eines ganzen Volkes, das ſeinen Guͤnſtling und Fuͤrſprecher ſogar aus eine Civilliſte ſetzt, welche ihm den Schein eines angeſtammten Herrſchers gibt. O'Connell iſt den alten Demagogen ſchon darin ungleich, daß er bei aller Genugthuung ſeines perſoͤnli¬ chen Ehrgeizes doch nicht darauf denken kann, fuͤr ſich ein poſitives Reſultat, irgend eine Wuͤrde oder erbli¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/189
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/189>, abgerufen am 22.11.2024.