Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Napoleoniden.
die Söhne Mürats, dieses Paris unter den Napoleo¬
niden, gingen über an die Demokratie, und predigen,
als Enkel eines ehrlichen Bürgers und Gastwirths in
Frankreich, die allgemeine Nivellirung, den Contrat
social
, und die wohlfeile, bequeme und freie Staats¬
verfassung Nordamerika's. Dies bürgerliche Element
hat die ganze Familie auseinandergesprengt, so daß ein
Glied derselben in einem Staate proscribirt seyn kann,
wo das andere um die Hand einer Königstochter freien
darf. Eine Reaktion dieses verzweigten Stammes ist
undenkbar, weil sein Einverständniß gestört ist. Sie
sind sich Alle fremd geworden.

Der Graf Survilliers hat in neuerer Zeit noch ein¬
mal gegen die Geschichte des Tages protestirt. Er kam
selbst über den Ozean aus Nordamerika herüber, um den
Thron von Frankreich für seinen Neffen Reichstädt in
Beschlag zu nehmen; doch Louis Philipp war trotz sei¬
ner Körperstärke schneller zur Hand.

Auch der Graf Survilliers ist, von einem fabelhaf¬
ten Umfange, ohne damit zu imponiren. Sein Auge
ist matt, seine Manieren sind unköniglich, obschon er
auf zwei Thronen gesessen hat. Es ist ein guter alter
Herr, der nicht begreift, was das Schicksal mit ihm
vorgehabt hat; noch heute wird ihm wunderlich zu Muthe,

Die Napoleoniden.
die Soͤhne Muͤrats, dieſes Paris unter den Napoleo¬
niden, gingen uͤber an die Demokratie, und predigen,
als Enkel eines ehrlichen Buͤrgers und Gaſtwirths in
Frankreich, die allgemeine Nivellirung, den Contrat
social
, und die wohlfeile, bequeme und freie Staats¬
verfaſſung Nordamerika's. Dies buͤrgerliche Element
hat die ganze Familie auseinandergeſprengt, ſo daß ein
Glied derſelben in einem Staate proſcribirt ſeyn kann,
wo das andere um die Hand einer Koͤnigstochter freien
darf. Eine Reaktion dieſes verzweigten Stammes iſt
undenkbar, weil ſein Einverſtaͤndniß geſtoͤrt iſt. Sie
ſind ſich Alle fremd geworden.

Der Graf Survilliers hat in neuerer Zeit noch ein¬
mal gegen die Geſchichte des Tages proteſtirt. Er kam
ſelbſt uͤber den Ozean aus Nordamerika heruͤber, um den
Thron von Frankreich fuͤr ſeinen Neffen Reichſtaͤdt in
Beſchlag zu nehmen; doch Louis Philipp war trotz ſei¬
ner Koͤrperſtaͤrke ſchneller zur Hand.

Auch der Graf Survilliers iſt, von einem fabelhaf¬
ten Umfange, ohne damit zu imponiren. Sein Auge
iſt matt, ſeine Manieren ſind unkoͤniglich, obſchon er
auf zwei Thronen geſeſſen hat. Es iſt ein guter alter
Herr, der nicht begreift, was das Schickſal mit ihm
vorgehabt hat; noch heute wird ihm wunderlich zu Muthe,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0145" n="127"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Napoleoniden</hi>.<lb/></fw> die So&#x0364;hne Mu&#x0364;rats, die&#x017F;es Paris unter den Napoleo¬<lb/>
niden, gingen u&#x0364;ber an die Demokratie, und predigen,<lb/>
als Enkel eines ehrlichen Bu&#x0364;rgers und Ga&#x017F;twirths in<lb/>
Frankreich, die allgemeine Nivellirung, den <hi rendition="#aq #b">Contrat<lb/>
social</hi>, und die wohlfeile, bequeme und freie Staats¬<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ung Nordamerika's. Dies bu&#x0364;rgerliche Element<lb/>
hat die ganze Familie auseinanderge&#x017F;prengt, &#x017F;o daß ein<lb/>
Glied der&#x017F;elben in einem Staate pro&#x017F;cribirt &#x017F;eyn kann,<lb/>
wo das andere um die Hand einer Ko&#x0364;nigstochter freien<lb/>
darf. Eine Reaktion die&#x017F;es verzweigten Stammes i&#x017F;t<lb/>
undenkbar, weil &#x017F;ein Einver&#x017F;ta&#x0364;ndniß ge&#x017F;to&#x0364;rt i&#x017F;t. Sie<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;ich Alle fremd geworden.</p><lb/>
        <p>Der Graf Survilliers hat in neuerer Zeit noch ein¬<lb/>
mal gegen die Ge&#x017F;chichte des Tages prote&#x017F;tirt. Er kam<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;ber den Ozean aus Nordamerika heru&#x0364;ber, um den<lb/>
Thron von Frankreich fu&#x0364;r &#x017F;einen Neffen Reich&#x017F;ta&#x0364;dt in<lb/>
Be&#x017F;chlag zu nehmen; doch Louis Philipp war trotz &#x017F;ei¬<lb/>
ner Ko&#x0364;rper&#x017F;ta&#x0364;rke &#x017F;chneller zur Hand.</p><lb/>
        <p>Auch der Graf Survilliers i&#x017F;t, von einem fabelhaf¬<lb/>
ten Umfange, ohne damit zu imponiren. Sein Auge<lb/>
i&#x017F;t matt, &#x017F;eine Manieren &#x017F;ind unko&#x0364;niglich, ob&#x017F;chon er<lb/>
auf zwei Thronen ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en hat. Es i&#x017F;t ein guter alter<lb/>
Herr, der nicht begreift, was das Schick&#x017F;al mit ihm<lb/>
vorgehabt hat; noch heute wird ihm wunderlich zu Muthe,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0145] Die Napoleoniden. die Soͤhne Muͤrats, dieſes Paris unter den Napoleo¬ niden, gingen uͤber an die Demokratie, und predigen, als Enkel eines ehrlichen Buͤrgers und Gaſtwirths in Frankreich, die allgemeine Nivellirung, den Contrat social, und die wohlfeile, bequeme und freie Staats¬ verfaſſung Nordamerika's. Dies buͤrgerliche Element hat die ganze Familie auseinandergeſprengt, ſo daß ein Glied derſelben in einem Staate proſcribirt ſeyn kann, wo das andere um die Hand einer Koͤnigstochter freien darf. Eine Reaktion dieſes verzweigten Stammes iſt undenkbar, weil ſein Einverſtaͤndniß geſtoͤrt iſt. Sie ſind ſich Alle fremd geworden. Der Graf Survilliers hat in neuerer Zeit noch ein¬ mal gegen die Geſchichte des Tages proteſtirt. Er kam ſelbſt uͤber den Ozean aus Nordamerika heruͤber, um den Thron von Frankreich fuͤr ſeinen Neffen Reichſtaͤdt in Beſchlag zu nehmen; doch Louis Philipp war trotz ſei¬ ner Koͤrperſtaͤrke ſchneller zur Hand. Auch der Graf Survilliers iſt, von einem fabelhaf¬ ten Umfange, ohne damit zu imponiren. Sein Auge iſt matt, ſeine Manieren ſind unkoͤniglich, obſchon er auf zwei Thronen geſeſſen hat. Es iſt ein guter alter Herr, der nicht begreift, was das Schickſal mit ihm vorgehabt hat; noch heute wird ihm wunderlich zu Muthe,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/145
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/145>, abgerufen am 24.11.2024.