Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.Ueberhaupt scheint die Gemüthsentwickelung des Knaben auf den ersten Blick ein Räthsel zu seyn. Es sind so viel Beweise vorhanden, daß Börne der zartesten Empfindungen fähig war und doch könnte eine gewöhnliche Beurtheilung sehr leicht an ihm irr werden. Immer verschlossen, schien der Knabe nicht bloß lebhafter Gefühle, sondern selbst lebhafter Mitempfindung und Theilnahme unfähig zu seyn. Was Andre erregte, ließ ihn kalt. Der Maaßstab seines Urtheils über Menschen und Begegnisse war nie das Gemüth, sondern der Verstand. Was ihm mißfiel, nannte er nie schlecht, sondern immer nur dumm. Diese Auffassungsweise blieb ihm für sein ganzes Leben. Er empörte sich weniger über die Schlechtigkeit, als über die Albernheit der Menschen. Wie oft hat er nicht von seinen und den Gegnern des Menschenwohls ausgerufen: Wenn sie nur klüger wären! Selten, daß er als Knabe sich über irgend etwas grenzenlos freute oder grenzenlos erzürnte. Thränen waren ihm nicht geläufig. Leidenschaft kam nur über ihn, wenn es sich um Unrecht, um Unterdrückung handelte. Dann wurden seine Aeußerungen heftig, seine Gefühle rücksichtslos. Man sieht, daß es seinem Gemüth nicht an Lebhaftigkeit fehlte, nur wurde es auf andre Ueberhaupt scheint die Gemüthsentwickelung des Knaben auf den ersten Blick ein Räthsel zu seyn. Es sind so viel Beweise vorhanden, daß Börne der zartesten Empfindungen fähig war und doch könnte eine gewöhnliche Beurtheilung sehr leicht an ihm irr werden. Immer verschlossen, schien der Knabe nicht bloß lebhafter Gefühle, sondern selbst lebhafter Mitempfindung und Theilnahme unfähig zu seyn. Was Andre erregte, ließ ihn kalt. Der Maaßstab seines Urtheils über Menschen und Begegnisse war nie das Gemüth, sondern der Verstand. Was ihm mißfiel, nannte er nie schlecht, sondern immer nur dumm. Diese Auffassungsweise blieb ihm für sein ganzes Leben. Er empörte sich weniger über die Schlechtigkeit, als über die Albernheit der Menschen. Wie oft hat er nicht von seinen und den Gegnern des Menschenwohls ausgerufen: Wenn sie nur klüger wären! Selten, daß er als Knabe sich über irgend etwas grenzenlos freute oder grenzenlos erzürnte. Thränen waren ihm nicht geläufig. Leidenschaft kam nur über ihn, wenn es sich um Unrecht, um Unterdrückung handelte. Dann wurden seine Aeußerungen heftig, seine Gefühle rücksichtslos. Man sieht, daß es seinem Gemüth nicht an Lebhaftigkeit fehlte, nur wurde es auf andre <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0096" n="54"/> <p> Ueberhaupt scheint die Gemüthsentwickelung des Knaben auf den ersten Blick ein Räthsel zu seyn. Es sind so viel Beweise vorhanden, daß Börne der zartesten Empfindungen fähig war und doch könnte eine gewöhnliche Beurtheilung sehr leicht an ihm irr werden. Immer verschlossen, schien der Knabe nicht bloß lebhafter Gefühle, sondern selbst lebhafter Mitempfindung und Theilnahme unfähig zu seyn. Was Andre erregte, ließ ihn kalt. Der Maaßstab seines Urtheils über Menschen und Begegnisse war nie das Gemüth, sondern der Verstand. Was ihm mißfiel, nannte er nie schlecht, sondern immer nur dumm. Diese Auffassungsweise blieb ihm für sein ganzes Leben. Er empörte sich weniger über die Schlechtigkeit, als über die Albernheit der Menschen. Wie oft hat er nicht von seinen und den Gegnern des Menschenwohls ausgerufen: Wenn sie nur klüger wären! Selten, daß er als Knabe sich über irgend etwas grenzenlos freute oder grenzenlos erzürnte. Thränen waren ihm nicht geläufig. Leidenschaft kam nur über ihn, wenn es sich um Unrecht, um Unterdrückung handelte. Dann wurden seine Aeußerungen heftig, seine Gefühle rücksichtslos. Man sieht, daß es seinem Gemüth nicht an Lebhaftigkeit fehlte, nur wurde es auf andre </p> </div> </body> </text> </TEI> [54/0096]
Ueberhaupt scheint die Gemüthsentwickelung des Knaben auf den ersten Blick ein Räthsel zu seyn. Es sind so viel Beweise vorhanden, daß Börne der zartesten Empfindungen fähig war und doch könnte eine gewöhnliche Beurtheilung sehr leicht an ihm irr werden. Immer verschlossen, schien der Knabe nicht bloß lebhafter Gefühle, sondern selbst lebhafter Mitempfindung und Theilnahme unfähig zu seyn. Was Andre erregte, ließ ihn kalt. Der Maaßstab seines Urtheils über Menschen und Begegnisse war nie das Gemüth, sondern der Verstand. Was ihm mißfiel, nannte er nie schlecht, sondern immer nur dumm. Diese Auffassungsweise blieb ihm für sein ganzes Leben. Er empörte sich weniger über die Schlechtigkeit, als über die Albernheit der Menschen. Wie oft hat er nicht von seinen und den Gegnern des Menschenwohls ausgerufen: Wenn sie nur klüger wären! Selten, daß er als Knabe sich über irgend etwas grenzenlos freute oder grenzenlos erzürnte. Thränen waren ihm nicht geläufig. Leidenschaft kam nur über ihn, wenn es sich um Unrecht, um Unterdrückung handelte. Dann wurden seine Aeußerungen heftig, seine Gefühle rücksichtslos. Man sieht, daß es seinem Gemüth nicht an Lebhaftigkeit fehlte, nur wurde es auf andre
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