Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

des unterdrückten Theiles annahm, so ist dies keinesweges blos die Folge seiner politischen Gewöhnung, die ihn zur Zeit das Unterdrückte noch immer als das Bessere zu betrachten lehrte, sondern diese Theilnahme war eine ursprüngliche Stimmung seines Herzens. Daß sie dies war, beweisen manche Fälle, wo sein Mitleid mit seiner politischen Ueberzeugung collidirte und er selbst dem Feinde Achtung und menschliche Schonung gewährt wissen wollte. Die Art und Weise z. B. wie Wilhelm Tell den Geßler mordet, fand Börne empörend. Schon von dem Sturm auf dem See sagte er: "Ist es nicht Verrath, ist es nicht ein schlechter Streich, wenn Tell, als der Landvoigt sich auf dem See seiner Hülfe anvertraut - der Feind dem Feinde - dem Schiffe entspringt, es in die Wellen zurückstößt und wieder dem Sturme Preis giebt?" Von dem Morde sagte er: "Ich begreife nicht, wie man diese That je sittlich, je schön finden konnte? Tell versteckt sich und tödtet, ohne Gefahr, seinen Feind, der sich ohne Gefahr glaubte." Es wäre nicht unmöglich, daß diese Art Kritik sich in Börne wirklich auf eine hypochondrische Quelle zurückführen ließe. Börne verstand in gewissen Dingen keinen Scherz und war mißtrauisch und argwöhnisch, wo ihm

des unterdrückten Theiles annahm, so ist dies keinesweges blos die Folge seiner politischen Gewöhnung, die ihn zur Zeit das Unterdrückte noch immer als das Bessere zu betrachten lehrte, sondern diese Theilnahme war eine ursprüngliche Stimmung seines Herzens. Daß sie dies war, beweisen manche Fälle, wo sein Mitleid mit seiner politischen Ueberzeugung collidirte und er selbst dem Feinde Achtung und menschliche Schonung gewährt wissen wollte. Die Art und Weise z. B. wie Wilhelm Tell den Geßler mordet, fand Börne empörend. Schon von dem Sturm auf dem See sagte er: „Ist es nicht Verrath, ist es nicht ein schlechter Streich, wenn Tell, als der Landvoigt sich auf dem See seiner Hülfe anvertraut – der Feind dem Feinde – dem Schiffe entspringt, es in die Wellen zurückstößt und wieder dem Sturme Preis giebt?“ Von dem Morde sagte er: „Ich begreife nicht, wie man diese That je sittlich, je schön finden konnte? Tell versteckt sich und tödtet, ohne Gefahr, seinen Feind, der sich ohne Gefahr glaubte.“ Es wäre nicht unmöglich, daß diese Art Kritik sich in Börne wirklich auf eine hypochondrische Quelle zurückführen ließe. Börne verstand in gewissen Dingen keinen Scherz und war mißtrauisch und argwöhnisch, wo ihm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0294" n="252"/>
des unterdrückten Theiles annahm, so ist dies keinesweges blos die Folge seiner politischen Gewöhnung, die ihn zur Zeit das Unterdrückte noch immer als das Bessere zu betrachten lehrte, sondern diese Theilnahme war eine ursprüngliche Stimmung seines Herzens. Daß sie dies war, beweisen manche Fälle, wo sein Mitleid mit seiner politischen Ueberzeugung collidirte und er selbst dem <hi rendition="#g">Feinde</hi> Achtung und menschliche Schonung gewährt wissen wollte. Die Art und Weise z. B. wie Wilhelm Tell den Geßler mordet, fand Börne empörend. Schon von dem Sturm auf dem See sagte er: &#x201E;Ist es nicht Verrath, ist es nicht ein schlechter Streich, wenn Tell, als der Landvoigt sich auf dem See seiner Hülfe anvertraut &#x2013; der Feind dem Feinde &#x2013; dem Schiffe entspringt, es in die Wellen zurückstößt und wieder dem Sturme Preis giebt?&#x201C; Von dem Morde sagte er: &#x201E;Ich begreife nicht, wie man diese That je sittlich, je schön finden konnte? Tell versteckt sich und tödtet, ohne Gefahr, seinen Feind, der sich ohne Gefahr glaubte.&#x201C; Es wäre nicht unmöglich, daß diese Art Kritik sich in Börne wirklich auf eine hypochondrische Quelle zurückführen ließe. Börne verstand in gewissen Dingen keinen Scherz und war mißtrauisch und argwöhnisch, wo ihm
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0294] des unterdrückten Theiles annahm, so ist dies keinesweges blos die Folge seiner politischen Gewöhnung, die ihn zur Zeit das Unterdrückte noch immer als das Bessere zu betrachten lehrte, sondern diese Theilnahme war eine ursprüngliche Stimmung seines Herzens. Daß sie dies war, beweisen manche Fälle, wo sein Mitleid mit seiner politischen Ueberzeugung collidirte und er selbst dem Feinde Achtung und menschliche Schonung gewährt wissen wollte. Die Art und Weise z. B. wie Wilhelm Tell den Geßler mordet, fand Börne empörend. Schon von dem Sturm auf dem See sagte er: „Ist es nicht Verrath, ist es nicht ein schlechter Streich, wenn Tell, als der Landvoigt sich auf dem See seiner Hülfe anvertraut – der Feind dem Feinde – dem Schiffe entspringt, es in die Wellen zurückstößt und wieder dem Sturme Preis giebt?“ Von dem Morde sagte er: „Ich begreife nicht, wie man diese That je sittlich, je schön finden konnte? Tell versteckt sich und tödtet, ohne Gefahr, seinen Feind, der sich ohne Gefahr glaubte.“ Es wäre nicht unmöglich, daß diese Art Kritik sich in Börne wirklich auf eine hypochondrische Quelle zurückführen ließe. Börne verstand in gewissen Dingen keinen Scherz und war mißtrauisch und argwöhnisch, wo ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-03T11:49:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-03T11:49:31Z)
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-07-03T11:49:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/294
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/294>, abgerufen am 25.11.2024.