Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.manches Andre, dessen die Uebersetzer sich nur allzurasch bemächtigen. Wie wäre in Frankreich diese schnell aufsproßende Blüthe des Theaters in neuester Zeit möglich gewesen, wenn sich nicht die Franzosen einer politischen Freiheit rühmen dürften, die ihnen die ängstliche Scheu deutscher Dichter, die von hundert Süjets nicht zehn auf die Bühne bringen dürfen, benimmt? Unsre Dramen bewegen sich meist in einer fictiven Welt, sogar die Sitten und Charaktere der Lustspiele sind nicht ächt und wahrhaft aus dem Leben gegriffen. Die Theatertradition schafft diese Husarenobersten und Rittmeister, diese Herren von Lammersdorf und von Saldern, diese Wirthschaftsinspectoren, dies ganze stehende Personal unsrer heitern Familiengemälde. Sie sind aus alter Zeit überliefert, haben wohl Zopf und Perücke, Manschetten und seidnen Rock abgelegt, wiederholen aber immer noch ihre alten Abentheuer vom Jahre 1790; selbst der Dialog hat sich wenig verändert. Man muß die seltsame Spannung auf dem Antlitz des Zuschauers beobachten, wenn einmal eine Thorheit oder Mode des Tages, z. B. die Homöopathie, die Wasserkuren oder dergleichen in unsern Dramen erwähnt werden, um zu wissen, daß diese Neugier wie aus dem Reiz nach Verbotenem ent- manches Andre, dessen die Uebersetzer sich nur allzurasch bemächtigen. Wie wäre in Frankreich diese schnell aufsproßende Blüthe des Theaters in neuester Zeit möglich gewesen, wenn sich nicht die Franzosen einer politischen Freiheit rühmen dürften, die ihnen die ängstliche Scheu deutscher Dichter, die von hundert Süjets nicht zehn auf die Bühne bringen dürfen, benimmt? Unsre Dramen bewegen sich meist in einer fictiven Welt, sogar die Sitten und Charaktere der Lustspiele sind nicht ächt und wahrhaft aus dem Leben gegriffen. Die Theatertradition schafft diese Husarenobersten und Rittmeister, diese Herren von Lammersdorf und von Saldern, diese Wirthschaftsinspectoren, dies ganze stehende Personal unsrer heitern Familiengemälde. Sie sind aus alter Zeit überliefert, haben wohl Zopf und Perücke, Manschetten und seidnen Rock abgelegt, wiederholen aber immer noch ihre alten Abentheuer vom Jahre 1790; selbst der Dialog hat sich wenig verändert. Man muß die seltsame Spannung auf dem Antlitz des Zuschauers beobachten, wenn einmal eine Thorheit oder Mode des Tages, z. B. die Homöopathie, die Wasserkuren oder dergleichen in unsern Dramen erwähnt werden, um zu wissen, daß diese Neugier wie aus dem Reiz nach Verbotenem ent- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0176" n="134"/> manches Andre, dessen die Uebersetzer sich nur allzurasch bemächtigen. Wie wäre in Frankreich diese schnell aufsproßende Blüthe des Theaters in neuester Zeit möglich gewesen, wenn sich nicht die Franzosen einer politischen Freiheit rühmen dürften, die ihnen die ängstliche Scheu deutscher Dichter, die von hundert Süjets nicht zehn auf die Bühne bringen <hi rendition="#g">dürfen</hi>, benimmt? Unsre Dramen bewegen sich meist in einer fictiven Welt, sogar die Sitten und Charaktere der Lustspiele sind nicht ächt und wahrhaft aus dem Leben gegriffen. Die Theatertradition schafft diese Husarenobersten und Rittmeister, diese Herren von Lammersdorf und von Saldern, diese Wirthschaftsinspectoren, dies ganze stehende Personal unsrer heitern Familiengemälde. Sie sind aus alter Zeit überliefert, haben wohl Zopf und Perücke, Manschetten und seidnen Rock abgelegt, wiederholen aber immer noch ihre alten Abentheuer vom Jahre 1790; selbst der Dialog hat sich wenig verändert. Man muß die seltsame Spannung auf dem Antlitz des Zuschauers beobachten, wenn einmal eine Thorheit oder Mode des Tages, z. B. die Homöopathie, die Wasserkuren oder dergleichen in unsern Dramen erwähnt werden, um zu wissen, daß diese Neugier wie aus dem Reiz nach <hi rendition="#g">Verbotenem</hi> ent- </p> </div> </body> </text> </TEI> [134/0176]
manches Andre, dessen die Uebersetzer sich nur allzurasch bemächtigen. Wie wäre in Frankreich diese schnell aufsproßende Blüthe des Theaters in neuester Zeit möglich gewesen, wenn sich nicht die Franzosen einer politischen Freiheit rühmen dürften, die ihnen die ängstliche Scheu deutscher Dichter, die von hundert Süjets nicht zehn auf die Bühne bringen dürfen, benimmt? Unsre Dramen bewegen sich meist in einer fictiven Welt, sogar die Sitten und Charaktere der Lustspiele sind nicht ächt und wahrhaft aus dem Leben gegriffen. Die Theatertradition schafft diese Husarenobersten und Rittmeister, diese Herren von Lammersdorf und von Saldern, diese Wirthschaftsinspectoren, dies ganze stehende Personal unsrer heitern Familiengemälde. Sie sind aus alter Zeit überliefert, haben wohl Zopf und Perücke, Manschetten und seidnen Rock abgelegt, wiederholen aber immer noch ihre alten Abentheuer vom Jahre 1790; selbst der Dialog hat sich wenig verändert. Man muß die seltsame Spannung auf dem Antlitz des Zuschauers beobachten, wenn einmal eine Thorheit oder Mode des Tages, z. B. die Homöopathie, die Wasserkuren oder dergleichen in unsern Dramen erwähnt werden, um zu wissen, daß diese Neugier wie aus dem Reiz nach Verbotenem ent-
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