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Guts Muths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Schnepfenthal, 1796.

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gegenwärtigen Augenblick empfindet, denkt und
handelt, leidet auch öfter und gewöhnlicher an
dieser Krankheit, als der gebildete Mann. Die
Vergangenheit und Zukunft nehmen ihn in ihre
Mitte und machen Gesellschaft mit ihm, und wenn
jene ihn mit Leiden und Freuden und ihren Ur-
sachen unterhalten hat: so giebt ihm diese Stoff
zu Berechnungen, Planen, Luftschlössern und
Sorgen, bis die unverdrängliche Gegenwart das
Wort nimmt und befehlsweise von dem spricht,
was jetzt zu lassen und zu thun sey. So fehlen
der Jugend zwey Gesellschafter, denen an Un-
terhaltung nichts gleich kommt. Wer soll sie er-
setzen als ihre erwachsenen Freunde; von ihnen
erwirbt sie Stoff zur Thätigkeit, bald durch ern-
ste Beschäfftigungen, bald durch Spiel.

3) Arbeiten, ernste Beschäfftigungen und
Umgang mit Erwachsenen sind künstliche Rollen
der Jugend, in welchen sie auf dem grossen
Schauplatze allmählich debitirt; Spiele sind na-
türliche Rollen derselben in ihrem jugendlichen
Paradiese. Dort erscheint sie im verstellenden
Bühnengewande, hier in klarer Nacktheit; da-
her ists dort oft schwer, hier immer leicht ihren
wahren Charakter zu erkennen. Selbst die Nei-
gung zur künftigen Lebensart scheint hier und
dort beym Spiele durch.

4) Gleichgültigkeit gegen alles Wissenschaft-

gegenwärtigen Augenblick empfindet, denkt und
handelt, leidet auch öfter und gewöhnlicher an
dieſer Krankheit, als der gebildete Mann. Die
Vergangenheit und Zukunft nehmen ihn in ihre
Mitte und machen Geſellſchaft mit ihm, und wenn
jene ihn mit Leiden und Freuden und ihren Ur-
ſachen unterhalten hat: ſo giebt ihm dieſe Stoff
zu Berechnungen, Planen, Luftſchlöſſern und
Sorgen, bis die unverdrängliche Gegenwart das
Wort nimmt und befehlsweiſe von dem ſpricht,
was jetzt zu laſſen und zu thun ſey. So fehlen
der Jugend zwey Geſellſchafter, denen an Un-
terhaltung nichts gleich kommt. Wer ſoll ſie er-
ſetzen als ihre erwachſenen Freunde; von ihnen
erwirbt ſie Stoff zur Thätigkeit, bald durch ern-
ſte Beſchäfftigungen, bald durch Spiel.

3) Arbeiten, ernſte Beſchäfftigungen und
Umgang mit Erwachſenen ſind künſtliche Rollen
der Jugend, in welchen ſie auf dem groſsen
Schauplatze allmählich debitirt; Spiele ſind na-
türliche Rollen derſelben in ihrem jugendlichen
Paradieſe. Dort erſcheint ſie im verſtellenden
Bühnengewande, hier in klarer Nacktheit; da-
her iſts dort oft ſchwer, hier immer leicht ihren
wahren Charakter zu erkennen. Selbſt die Nei-
gung zur künftigen Lebensart ſcheint hier und
dort beym Spiele durch.

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[22/0054] gegenwärtigen Augenblick empfindet, denkt und handelt, leidet auch öfter und gewöhnlicher an dieſer Krankheit, als der gebildete Mann. Die Vergangenheit und Zukunft nehmen ihn in ihre Mitte und machen Geſellſchaft mit ihm, und wenn jene ihn mit Leiden und Freuden und ihren Ur- ſachen unterhalten hat: ſo giebt ihm dieſe Stoff zu Berechnungen, Planen, Luftſchlöſſern und Sorgen, bis die unverdrängliche Gegenwart das Wort nimmt und befehlsweiſe von dem ſpricht, was jetzt zu laſſen und zu thun ſey. So fehlen der Jugend zwey Geſellſchafter, denen an Un- terhaltung nichts gleich kommt. Wer ſoll ſie er- ſetzen als ihre erwachſenen Freunde; von ihnen erwirbt ſie Stoff zur Thätigkeit, bald durch ern- ſte Beſchäfftigungen, bald durch Spiel. 3) Arbeiten, ernſte Beſchäfftigungen und Umgang mit Erwachſenen ſind künſtliche Rollen der Jugend, in welchen ſie auf dem groſsen Schauplatze allmählich debitirt; Spiele ſind na- türliche Rollen derſelben in ihrem jugendlichen Paradieſe. Dort erſcheint ſie im verſtellenden Bühnengewande, hier in klarer Nacktheit; da- her iſts dort oft ſchwer, hier immer leicht ihren wahren Charakter zu erkennen. Selbſt die Nei- gung zur künftigen Lebensart ſcheint hier und dort beym Spiele durch. 4) Gleichgültigkeit gegen alles Wiſſenſchaft-

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Zitationshilfe: Guts Muths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Schnepfenthal, 1796, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutsmuths_spiele_1796/54>, abgerufen am 02.05.2024.