Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.Cap. II. hundert Jahren niemand sterben sollte, so würde man nicht subsisti-ren können. Da also die Leute nicht alle den Ackerbau können trei- ben, und sie doch wollen alimenta haben, so sind opificia entstanden. Ars naturam imitatur. Wenn ich einen Vogel könnte machen, der eben so aussähe wie eine Mauß, und so zitschern könnte, man könnte fast gar keinen Unterscheid mercken zwischen diesen Vogel, und einem lebendigen, so würde ein jeder gerne diesen Vogel haben wollen; Deß- wegen dachten die Leute auf Künste. Sie wollten alimenta haben von Fremden. Daher entstunden Commercia; oder sie wollten ihre alimenta haben von Einheimischen, da legten sie sich auf Künste. De- rer opificum wurden viel, und wenn ihrer gar zu viel sind so können sie nicht viel verdienen, die Leute wollten aber nicht gerne aus dem Lande weggehen, daher haben sie immer nur Künste ausgedacht, welche noch nicht waren. Die opificia aber haben verursachet, daß die Welt im- mer närrischer worden: Denn die Menschen brauchen es nicht, sondern sie haben das mehreste zu ihrer delectation. Es ist Gold und Silber in die Welt kommen, wodurch auch mehr vanitäten entstanden. Da- her muß man sehen, woher die vielen opificia entstanden. Von dem Gold, Silber, und Geld, kan man eine Dissertation finden in Gundlin- gianis in dem 31ten Stück. Es ist also infinitus numerus opificiorum entstanden. Einige inventa haben utilitatem veram; einige aber nur utilitatem imaginariam: Denn mancher denckt, es sey eine Sache noth- wendig, und man kan sie doch entbehren. Wir brauchen keine Peru- quen, und könnten alle in unsern Haaren gehen, denn wenn es kalt, so könnte man eine dicke Mütze aufsetzen. Dergleichen inventa sind noch mehrere. Eben so ist es auch mit vielen mercibus peregrinis beschaffen, da man mit Fremden angefangen zu handeln, so hat man viele merces eingeführt, welche nicht necessariae. Was thun wir heutiges Tages an- ders, als daß wir wollen einen emtorem finden, welchem unsere Sa- che gefällt, die wir fabriciret. Oder, wenn wir etwas permutiren wol- len, so suchen wir einen, dem unsere Sache besser anstehet, als seine. Also sind die Commercia mehrentheils entstanden, durch vanitatem. Das sind aber Enthusiasten, welche deßwegen meynen: man müsse die Com- mercia abschaffen. Conring hat auch in einer Dissert. de Commerciis maritimis, welche Werlhoff unter ihm gehalten, gewiesen, was das vor Narren, welche davor halten, man solle keine Commercia mehr treiben. Wir sehen freylich, daß viele imperfectiones vorhanden sind; aber ad primam perfectionem können wir nicht gelangen. Wir lernen daraus, daß wir keine Engel sind, sondern vielen imperfectionibus unterworffen. Da
Cap. II. hundert Jahren niemand ſterben ſollte, ſo wuͤrde man nicht ſubſiſti-ren koͤnnen. Da alſo die Leute nicht alle den Ackerbau koͤnnen trei- ben, und ſie doch wollen alimenta haben, ſo ſind opificia entſtanden. Ars naturam imitatur. Wenn ich einen Vogel koͤnnte machen, der eben ſo ausſaͤhe wie eine Mauß, und ſo zitſchern koͤnnte, man koͤnnte faſt gar keinen Unterſcheid mercken zwiſchen dieſen Vogel, und einem lebendigen, ſo wuͤrde ein jeder gerne dieſen Vogel haben wollen; Deß- wegen dachten die Leute auf Kuͤnſte. Sie wollten alimenta haben von Fremden. Daher entſtunden Commercia; oder ſie wollten ihre alimenta haben von Einheimiſchen, da legten ſie ſich auf Kuͤnſte. De- rer opificum wurden viel, und wenn ihrer gar zu viel ſind ſo koͤnnen ſie nicht viel verdienen, die Leute wollten aber nicht gerne aus dem Lande weggehen, daher haben ſie immer nur Kuͤnſte ausgedacht, welche noch nicht waren. Die opificia aber haben verurſachet, daß die Welt im- mer naͤrriſcher worden: Denn die Menſchen brauchen es nicht, ſondern ſie haben das mehreſte zu ihrer delectation. Es iſt Gold und Silber in die Welt kommen, wodurch auch mehr vanitaͤten entſtanden. Da- her muß man ſehen, woher die vielen opificia entſtanden. Von dem Gold, Silber, und Geld, kan man eine Diſſertation finden in Gundlin- gianis in dem 31ten Stuͤck. Es iſt alſo infinitus numerus opificiorum entſtanden. Einige inventa haben utilitatem veram; einige aber nur utilitatem imaginariam: Denn mancher denckt, es ſey eine Sache noth- wendig, und man kan ſie doch entbehren. Wir brauchen keine Peru- quen, und koͤnnten alle in unſern Haaren gehen, denn wenn es kalt, ſo koͤnnte man eine dicke Muͤtze aufſetzen. Dergleichen inventa ſind noch mehrere. Eben ſo iſt es auch mit vielen mercibus peregrinis beſchaffen, da man mit Fremden angefangen zu handeln, ſo hat man viele merces eingefuͤhrt, welche nicht neceſſariæ. Was thun wir heutiges Tages an- ders, als daß wir wollen einen emtorem finden, welchem unſere Sa- che gefaͤllt, die wir fabriciret. Oder, wenn wir etwas permutiren wol- len, ſo ſuchen wir einen, dem unſere Sache beſſer anſtehet, als ſeine. Alſo ſind die Commercia mehrentheils entſtanden, durch vanitatem. Das ſind aber Enthuſiaſten, welche deßwegen meynen: man muͤſſe die Com- mercia abſchaffen. Conring hat auch in einer Diſſert. de Commerciis maritimis, welche Werlhoff unter ihm gehalten, gewieſen, was das vor Narren, welche davor halten, man ſolle keine Commercia mehr treiben. Wir ſehen freylich, daß viele imperfectiones vorhanden ſind; aber ad primam perfectionem koͤnnen wir nicht gelangen. Wir lernen daraus, daß wir keine Engel ſind, ſondern vielen imperfectionibus unterworffen. Da
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Cap. II.
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ben, und ſie doch wollen alimenta haben, ſo ſind opificia entſtanden.
Ars naturam imitatur. Wenn ich einen Vogel koͤnnte machen, der
eben ſo ausſaͤhe wie eine Mauß, und ſo zitſchern koͤnnte, man koͤnnte
faſt gar keinen Unterſcheid mercken zwiſchen dieſen Vogel, und einem
lebendigen, ſo wuͤrde ein jeder gerne dieſen Vogel haben wollen; Deß-
wegen dachten die Leute auf Kuͤnſte. Sie wollten alimenta haben
von Fremden. Daher entſtunden Commercia; oder ſie wollten ihre
alimenta haben von Einheimiſchen, da legten ſie ſich auf Kuͤnſte. De-
rer opificum wurden viel, und wenn ihrer gar zu viel ſind ſo koͤnnen ſie
nicht viel verdienen, die Leute wollten aber nicht gerne aus dem Lande
weggehen, daher haben ſie immer nur Kuͤnſte ausgedacht, welche noch
nicht waren. Die opificia aber haben verurſachet, daß die Welt im-
mer naͤrriſcher worden: Denn die Menſchen brauchen es nicht, ſondern
ſie haben das mehreſte zu ihrer delectation. Es iſt Gold und Silber
in die Welt kommen, wodurch auch mehr vanitaͤten entſtanden. Da-
her muß man ſehen, woher die vielen opificia entſtanden. Von dem
Gold, Silber, und Geld, kan man eine Diſſertation finden in Gundlin-
gianis in dem 31ten Stuͤck. Es iſt alſo infinitus numerus opificiorum
entſtanden. Einige inventa haben utilitatem veram; einige aber nur
utilitatem imaginariam: Denn mancher denckt, es ſey eine Sache noth-
wendig, und man kan ſie doch entbehren. Wir brauchen keine Peru-
quen, und koͤnnten alle in unſern Haaren gehen, denn wenn es kalt, ſo
koͤnnte man eine dicke Muͤtze aufſetzen. Dergleichen inventa ſind noch
mehrere. Eben ſo iſt es auch mit vielen mercibus peregrinis beſchaffen,
da man mit Fremden angefangen zu handeln, ſo hat man viele merces
eingefuͤhrt, welche nicht neceſſariæ. Was thun wir heutiges Tages an-
ders, als daß wir wollen einen emtorem finden, welchem unſere Sa-
che gefaͤllt, die wir fabriciret. Oder, wenn wir etwas permutiren wol-
len, ſo ſuchen wir einen, dem unſere Sache beſſer anſtehet, als ſeine.
Alſo ſind die Commercia mehrentheils entſtanden, durch vanitatem. Das
ſind aber Enthuſiaſten, welche deßwegen meynen: man muͤſſe die Com-
mercia abſchaffen. Conring hat auch in einer Diſſert. de Commerciis
maritimis, welche Werlhoff unter ihm gehalten, gewieſen, was das vor
Narren, welche davor halten, man ſolle keine Commercia mehr treiben.
Wir ſehen freylich, daß viele imperfectiones vorhanden ſind; aber ad
primam perfectionem koͤnnen wir nicht gelangen. Wir lernen daraus,
daß wir keine Engel ſind, ſondern vielen imperfectionibus unterworffen.
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