Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.Cap. V. De prudentia anders agiren, als der Cörper beschaffen ist; nicht anders, als wie ichmich gantz anders anstellen muß, wenn ich will einen grossen Mühlstein fort bewegen, und anders, wenn ich ein Schnell-Käulgen wegwerffe. Daher haben diejenigen am besten zum Ziel geschossen, (worunter auch Stahl ist, der aber obscur, und muß man ihn mit attention lesen,) wel- che sagen, die Seele thue sehr viel, sie gewöhne sich aber nach denen motibus corporeis. Diese Meynung kan auch mit der Theologie wohl connectiret werden, wenn man saget, der Mensch sey natürlicher Weise wie ein ander animal, und die Seele accommodire sich nach denen mo- tibus corporeis. Grotius sagt auch: Temperamentum corporis transit in aliud. Grotius verstehet aber darunter so viel, wie das corpus wür- de, so richte sich auch die anima darnach. Ex corporis habitu kan man vieles sehen, nicht aber aus der Physiognomie, aus etlichen Linien im Gesichte oder in der Hand. Darauf kommt es nicht an, ob er ein schön Gesichte hat, ob er eine klare oder grobe Stirne hat, sondern vor- neml ich auf den habitum. Wenn einem die Adern auf den Händen so aufschwellen, daraus kan man erkennen, daß einer ein melancholisches Geblüth hat, dabey muß man auf totum habitum sehen, und also ist vieles in acht zu nehmen. Franciscus Valleriola, welcher Professor zu Avignon gewesen, ein gelehrter Mann, der einen schönen stylum schreibt, hat Locos communes edirt, und saget auch, er wundere sich, daß einige noch dubitirten, ob der Cörper was contribuire, da man doch so viele exempla sähe, daß sich die Seele nach dem Cörper richte. Wenn das calidum, die cholera praedominirt, so ist einer hitzig, denn das calidum ist ein pingue, ein inflammabile, sulphureum, wie es die Chymici nennen. Alle diese nomina haben einerley significationem, wie Spener in der Dissertation de Temperamentis gewiesen, ex consequenti kommt es nun darauf an, ob die anima könne natürlicher Weise anders thun, als der Cörper beschaffen. Sagt man, GOtt sey doch daran Ursach, so ant- worte: GOtt will ja haben, daß wir natürlicher Weise sollen selig wer- den. Wie Adam in der Unschuld beschaffen gewesen/ wissen wir nicht, wie wir aber jetzo beschaffen sind, das wissen wir, und jetzo brauchen wir die vires divinas. Wer cholerisch ist, hat praecipitante inclinationes. Lutherus hat auch ein feurig temperament gehabt, daß die Pfosten bebe- ten. Ein Cholericus ist hitzig, hertzhafft. Hertzhafftigkeit ist nichts anders als ein vehemens motus. Ein Fürst muß also sehen, welcher Mensch zu diesen oder jenen Geschäfften natürlicher Weise am geschick- testen. Die natürlichen passiones muß er zu seinem scopo haben, das Ubrige überläst er ihnen, und haben die Theologi damit zu thun sie zu emendi-
Cap. V. De prudentia anders agiren, als der Coͤrper beſchaffen iſt; nicht anders, als wie ichmich gantz anders anſtellen muß, wenn ich will einen groſſen Muͤhlſtein fort bewegen, und anders, wenn ich ein Schnell-Kaͤulgen wegwerffe. Daher haben diejenigen am beſten zum Ziel geſchoſſen, (worunter auch Stahl iſt, der aber obſcur, und muß man ihn mit attention leſen,) wel- che ſagen, die Seele thue ſehr viel, ſie gewoͤhne ſich aber nach denen motibus corporeis. Dieſe Meynung kan auch mit der Theologie wohl connectiret werden, wenn man ſaget, der Menſch ſey natuͤrlicher Weiſe wie ein ander animal, und die Seele accommodire ſich nach denen mo- tibus corporeis. Grotius ſagt auch: Temperamentum corporis tranſit in aliud. Grotius verſtehet aber darunter ſo viel, wie das corpus wuͤr- de, ſo richte ſich auch die anima darnach. Ex corporis habitu kan man vieles ſehen, nicht aber aus der Phyſiognomie, aus etlichen Linien im Geſichte oder in der Hand. Darauf kommt es nicht an, ob er ein ſchoͤn Geſichte hat, ob er eine klare oder grobe Stirne hat, ſondern vor- neml ich auf den habitum. Wenn einem die Adern auf den Haͤnden ſo aufſchwellen, daraus kan man erkennen, daß einer ein melancholiſches Gebluͤth hat, dabey muß man auf totum habitum ſehen, und alſo iſt vieles in acht zu nehmen. Franciſcus Valleriola, welcher Profeſſor zu Avignon geweſen, ein gelehrter Mann, der einen ſchoͤnen ſtylum ſchreibt, hat Locos communes edirt, und ſaget auch, er wundere ſich, daß einige noch dubitirten, ob der Coͤrper was contribuire, da man doch ſo viele exempla ſaͤhe, daß ſich die Seele nach dem Coͤrper richte. Wenn das calidum, die cholera prædominirt, ſo iſt einer hitzig, denn das calidum iſt ein pingue, ein inflammabile, ſulphureum, wie es die Chymici nennen. Alle dieſe nomina haben einerley ſignificationem, wie Spener in der Diſſertation de Temperamentis gewieſen, ex conſequenti kommt es nun darauf an, ob die anima koͤnne natuͤrlicher Weiſe anders thun, als der Coͤrper beſchaffen. Sagt man, GOtt ſey doch daran Urſach, ſo ant- worte: GOtt will ja haben, daß wir natuͤrlicher Weiſe ſollen ſelig wer- den. Wie Adam in der Unſchuld beſchaffen geweſen/ wiſſen wir nicht, wie wir aber jetzo beſchaffen ſind, das wiſſen wir, und jetzo brauchen wir die vires divinas. Wer choleriſch iſt, hat præcipitante inclinationes. Lutherus hat auch ein feurig temperament gehabt, daß die Pfoſten bebe- ten. Ein Cholericus iſt hitzig, hertzhafft. Hertzhafftigkeit iſt nichts anders als ein vehemens motus. Ein Fuͤrſt muß alſo ſehen, welcher Menſch zu dieſen oder jenen Geſchaͤfften natuͤrlicher Weiſe am geſchick- teſten. Die natuͤrlichen paſſiones muß er zu ſeinem ſcopo haben, das Ubrige uͤberlaͤſt er ihnen, und haben die Theologi damit zu thun ſie zu emendi-
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Cap. V. De prudentia
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mich gantz anders anſtellen muß, wenn ich will einen groſſen Muͤhlſtein
fort bewegen, und anders, wenn ich ein Schnell-Kaͤulgen wegwerffe.
Daher haben diejenigen am beſten zum Ziel geſchoſſen, (worunter auch
Stahl iſt, der aber obſcur, und muß man ihn mit attention leſen,) wel-
che ſagen, die Seele thue ſehr viel, ſie gewoͤhne ſich aber nach denen
motibus corporeis. Dieſe Meynung kan auch mit der Theologie wohl
connectiret werden, wenn man ſaget, der Menſch ſey natuͤrlicher Weiſe
wie ein ander animal, und die Seele accommodire ſich nach denen mo-
tibus corporeis. Grotius ſagt auch: Temperamentum corporis tranſit
in aliud. Grotius verſtehet aber darunter ſo viel, wie das corpus wuͤr-
de, ſo richte ſich auch die anima darnach. Ex corporis habitu kan man
vieles ſehen, nicht aber aus der Phyſiognomie, aus etlichen Linien im
Geſichte oder in der Hand. Darauf kommt es nicht an, ob er ein
ſchoͤn Geſichte hat, ob er eine klare oder grobe Stirne hat, ſondern vor-
neml ich auf den habitum. Wenn einem die Adern auf den Haͤnden ſo
aufſchwellen, daraus kan man erkennen, daß einer ein melancholiſches
Gebluͤth hat, dabey muß man auf totum habitum ſehen, und alſo iſt
vieles in acht zu nehmen. Franciſcus Valleriola, welcher Profeſſor zu
Avignon geweſen, ein gelehrter Mann, der einen ſchoͤnen ſtylum ſchreibt,
hat Locos communes edirt, und ſaget auch, er wundere ſich, daß einige
noch dubitirten, ob der Coͤrper was contribuire, da man doch ſo viele
exempla ſaͤhe, daß ſich die Seele nach dem Coͤrper richte. Wenn das
calidum, die cholera prædominirt, ſo iſt einer hitzig, denn das calidum
iſt ein pingue, ein inflammabile, ſulphureum, wie es die Chymici nennen.
Alle dieſe nomina haben einerley ſignificationem, wie Spener in der
Diſſertation de Temperamentis gewieſen, ex conſequenti kommt es nun
darauf an, ob die anima koͤnne natuͤrlicher Weiſe anders thun, als der
Coͤrper beſchaffen. Sagt man, GOtt ſey doch daran Urſach, ſo ant-
worte: GOtt will ja haben, daß wir natuͤrlicher Weiſe ſollen ſelig wer-
den. Wie Adam in der Unſchuld beſchaffen geweſen/ wiſſen wir nicht,
wie wir aber jetzo beſchaffen ſind, das wiſſen wir, und jetzo brauchen
wir die vires divinas. Wer choleriſch iſt, hat præcipitante inclinationes.
Lutherus hat auch ein feurig temperament gehabt, daß die Pfoſten bebe-
ten. Ein Cholericus iſt hitzig, hertzhafft. Hertzhafftigkeit iſt nichts
anders als ein vehemens motus. Ein Fuͤrſt muß alſo ſehen, welcher
Menſch zu dieſen oder jenen Geſchaͤfften natuͤrlicher Weiſe am geſchick-
teſten. Die natuͤrlichen paſſiones muß er zu ſeinem ſcopo haben, das
Ubrige uͤberlaͤſt er ihnen, und haben die Theologi damit zu thun ſie zu
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