Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.Cap. V. De prudentia irascatur, sibi satisfaciat. Daher entstehet die Frage, was in infligen-dis poenis zu observiren, wenn man klüglich handeln, und den modum in acht nehmen will? Auf den modum kommt alles an, und wenn man in dem modo fehlet, so erhält man den Zweck nicht. Sie haben hier ein general-exempel, und sagen: Der modus sey, daß man eine pro- portion müste in acht nehmen inter delictum & poenam, aber es ist doch noch obscur, was heisset eine proportion in acht nehmen; da- her ist allen zu rathen, daß sie sich deutlich appliciren, sonst ha- ben sie nur ein leeres Wort. Andere haben dieses gar übern Hauffen geschmissen, und meynen, es käme nicht auf die proportion an, sondern auf voluntatem principis, daß der sagte: sic volo, si contra fa- cies, sollst du gestrafft werden. Denn sie meynen, man könnte sonst nicht sagen, wie von einem Apffel-Biß der Fall des gantzen menschlichen Geschlechts kommen können. In dem Tit. de furtis meynen die Juristen, sey auch ein casus, da es nicht auf eine proportion ankomme. Man thut aber am besten, wenn man saget, utilitas reipublicae wäre der scopus: quo magis repugnat utilitate publicae, eo severius est puniendum, quo minus, eo mitius est puniendum. Wenn aber utilitas reipublicae nicht vorhanden, plane non est puniendus, man muß dissimuliren, und darff man nicht dencken, daß es eine Sünde, bisweilen kan eine Zeit kommen, daß er es nicht darff wagen zu straffen; Ein Enthusiast und ein Stoi- cus spricht: omnia peccata sunt aequalia. Er ist ein Abstractionist. Es ist wahr, certo respectu sind die peccata aequalia, weil sie alle a lege reci- diren, aber das brauchen wir nicht in politicis, in usu rerum. Chrysip- pus hat gesagt, es sey eben so böse, eine alte Frau zu küssen, als seine Mutter zu stupriren: Denn wenn ich eine alte Frau ex libidine küsse, so sey es eben so wohl recessio a lege, als wenn ich meine Mutter stuprir- te, aber es kommt nicht allein auf recessionem a lege an, daher kan man nicht alle peccata aequaliter straffen, sondern es kommt darauf an, wel- ches peccatum der utilitate publicae den grösten Schaden thut, nicht, ob es vor unsern HErr GOtt einerley. Wenn ich von der Hurerey pre- dige, so will ich dieselbe eben so scheußlich abmahlen, als den Mord. Welches man auch denen Menschen ratione salutis futurae muß vorstel- lig machen. Aber in der Welt thut peccatum libidinis nicht so einen grossen Schaden als Mord. Man muß also allezeit die normam ab utilitate publica nehmen. Diese section hat der Autor wohl gemachet, weil er den Conring excerpiret, der eine schöne Dissertation de poenis ge- schrieben. §. 3.
Cap. V. De prudentia iraſcatur, ſibi ſatisfaciat. Daher entſtehet die Frage, was in infligen-dis pœnis zu obſerviren, wenn man kluͤglich handeln, und den modum in acht nehmen will? Auf den modum kommt alles an, und wenn man in dem modo fehlet, ſo erhaͤlt man den Zweck nicht. Sie haben hier ein general-exempel, und ſagen: Der modus ſey, daß man eine pro- portion muͤſte in acht nehmen inter delictum & pœnam, aber es iſt doch noch obſcur, was heiſſet eine proportion in acht nehmen; da- her iſt allen zu rathen, daß ſie ſich deutlich appliciren, ſonſt ha- ben ſie nur ein leeres Wort. Andere haben dieſes gar uͤbern Hauffen geſchmiſſen, und meynen, es kaͤme nicht auf die proportion an, ſondern auf voluntatem principis, daß der ſagte: ſic volo, ſi contra fa- cies, ſollſt du geſtrafft werden. Denn ſie meynen, man koͤnnte ſonſt nicht ſagen, wie von einem Apffel-Biß der Fall des gantzen menſchlichen Geſchlechts kommen koͤnnen. In dem Tit. de furtis meynen die Juriſten, ſey auch ein caſus, da es nicht auf eine proportion ankomme. Man thut aber am beſten, wenn man ſaget, utilitas reipublicæ waͤre der ſcopus: quo magis repugnat utilitate publicæ, eo ſeverius eſt puniendum, quo minus, eo mitius eſt puniendum. Wenn aber utilitas reipublicæ nicht vorhanden, plane non eſt puniendus, man muß disſimuliren, und darff man nicht dencken, daß es eine Suͤnde, bisweilen kan eine Zeit kommen, daß er es nicht darff wagen zu ſtraffen; Ein Enthuſiaſt und ein Stoi- cus ſpricht: omnia peccata ſunt æqualia. Er iſt ein Abſtractioniſt. Es iſt wahr, certo reſpectu ſind die peccata æqualia, weil ſie alle a lege reci- diren, aber das brauchen wir nicht in politicis, in uſu rerum. Chryſip- pus hat geſagt, es ſey eben ſo boͤſe, eine alte Frau zu kuͤſſen, als ſeine Mutter zu ſtupriren: Denn wenn ich eine alte Frau ex libidine kuͤſſe, ſo ſey es eben ſo wohl recesſio a lege, als wenn ich meine Mutter ſtuprir- te, aber es kommt nicht allein auf recesſionem a lege an, daher kan man nicht alle peccata æqualiter ſtraffen, ſondern es kommt darauf an, wel- ches peccatum der utilitate publicæ den groͤſten Schaden thut, nicht, ob es vor unſern HErr GOtt einerley. Wenn ich von der Hurerey pre- dige, ſo will ich dieſelbe eben ſo ſcheußlich abmahlen, als den Mord. Welches man auch denen Menſchen ratione ſalutis futuræ muß vorſtel- lig machen. Aber in der Welt thut peccatum libidinis nicht ſo einen groſſen Schaden als Mord. Man muß alſo allezeit die normam ab utilitate publica nehmen. Dieſe ſection hat der Autor wohl gemachet, weil er den Conring excerpiret, der eine ſchoͤne Diſſertation de pœnis ge- ſchrieben. §. 3.
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in acht nehmen will? Auf den modum kommt alles an, und wenn man
in dem modo fehlet, ſo erhaͤlt man den Zweck nicht. Sie haben hier ein
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doch noch obſcur, was heiſſet eine proportion in acht nehmen; da-
her iſt allen zu rathen, daß ſie ſich deutlich appliciren, ſonſt ha-
ben ſie nur ein leeres Wort. Andere haben dieſes gar uͤbern
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ſondern auf voluntatem principis, daß der ſagte: ſic volo, ſi contra fa-
cies, ſollſt du geſtrafft werden. Denn ſie meynen, man koͤnnte ſonſt
nicht ſagen, wie von einem Apffel-Biß der Fall des gantzen menſchlichen
Geſchlechts kommen koͤnnen. In dem Tit. de furtis meynen die Juriſten,
ſey auch ein caſus, da es nicht auf eine proportion ankomme. Man thut
aber am beſten, wenn man ſaget, utilitas reipublicæ waͤre der ſcopus:
quo magis repugnat utilitate publicæ, eo ſeverius eſt puniendum, quo
minus, eo mitius eſt puniendum. Wenn aber utilitas reipublicæ nicht
vorhanden, plane non eſt puniendus, man muß disſimuliren, und darff
man nicht dencken, daß es eine Suͤnde, bisweilen kan eine Zeit kommen,
daß er es nicht darff wagen zu ſtraffen; Ein Enthuſiaſt und ein Stoi-
cus ſpricht: omnia peccata ſunt æqualia. Er iſt ein Abſtractioniſt. Es
iſt wahr, certo reſpectu ſind die peccata æqualia, weil ſie alle a lege reci-
diren, aber das brauchen wir nicht in politicis, in uſu rerum. Chryſip-
pus hat geſagt, es ſey eben ſo boͤſe, eine alte Frau zu kuͤſſen, als ſeine
Mutter zu ſtupriren: Denn wenn ich eine alte Frau ex libidine kuͤſſe,
ſo ſey es eben ſo wohl recesſio a lege, als wenn ich meine Mutter ſtuprir-
te, aber es kommt nicht allein auf recesſionem a lege an, daher kan man
nicht alle peccata æqualiter ſtraffen, ſondern es kommt darauf an, wel-
ches peccatum der utilitate publicæ den groͤſten Schaden thut, nicht, ob
es vor unſern HErr GOtt einerley. Wenn ich von der Hurerey pre-
dige, ſo will ich dieſelbe eben ſo ſcheußlich abmahlen, als den Mord.
Welches man auch denen Menſchen ratione ſalutis futuræ muß vorſtel-
lig machen. Aber in der Welt thut peccatum libidinis nicht ſo einen
groſſen Schaden als Mord. Man muß alſo allezeit die normam ab
utilitate publica nehmen. Dieſe ſection hat der Autor wohl gemachet,
weil er den Conring excerpiret, der eine ſchoͤne Diſſertation de pœnis ge-
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