Gumppenberg, Hanns von: Deutsche Lyrik von gestern. München, 1891 (= Münchener Flugschriften, Bd. 3).Die schon erwähnte Gütergemeinschaft herrschte gestern auch ganz besonders in der fast allgemeinen idealen Ausbildung des äußeren Ausdrucks. So wurde zum Beispiel, was vorgestern Heinrich Heine sang, gestern von Hunderten deutscher Sänger formell noch viel besser exekutirt. Die Lyrik von Gestern wimmelt von Heine abgeguckt nachgespuckten sarkastischen Schlüssen und zierlich formellen Schlangenwindungen. Diese Schlüsse sind bekannt; eine <heineranische> Schlangenwindung führen wir vor in dem Gedichte: Verlassen. Der Wind durchfährt die Gassen, Die Wolken durchfährt der Blitz -- Jch sitze hier verlassen, Verlassen hier ich sitz'. Der Wind durchfährt die Gassen, Der Blitz das Wolkenrevier -- Jch sitze hier verlassen, Verlassen sitz' ich hier. O Wind, Blitz, Wolken, Gassen -- Jch hab' euch auf dem Strich! -- Jch sitze hier verlassen -- Hier -- sitz' -- verlassen -- ich. Wem wäre der liebenswürdige Rudolf Baumbach unbekannt? Auf allen deutschen Salontischen liegen seine Büchlein in Goldschnitt -- und mit Recht: denn in entzückend glatter Form weiß er halb scherzend die artigsten Weisheiten so hübsch vorzubringen, daß man dieselben in jeder Gesellschaft anhören kann, ohne sich zu ermüden: ja manchmal so hübsch, daß -- o höchster Triumph des schaffenden Poeten! -- die Weisheit gänzlich daraus zu verschwinden scheint. Hören wir seine didaktisch-allegorische Träumerei: Rosen, Disteln und Hänschen. Röschen aus der Hecke blickt. "Ei, das muß ich brechen!" Hänschen doch ist ungeschickt, Und die Dörnlein stechen. Die schon erwähnte Gütergemeinschaft herrschte gestern auch ganz besonders in der fast allgemeinen idealen Ausbildung des äußeren Ausdrucks. So wurde zum Beispiel, was vorgestern Heinrich Heine sang, gestern von Hunderten deutscher Sänger formell noch viel besser exekutirt. Die Lyrik von Gestern wimmelt von Heine abgeguckt nachgespuckten sarkastischen Schlüssen und zierlich formellen Schlangenwindungen. Diese Schlüsse sind bekannt; eine <heineranische> Schlangenwindung führen wir vor in dem Gedichte: Verlassen. Der Wind durchfährt die Gassen, Die Wolken durchfährt der Blitz — Jch sitze hier verlassen, Verlassen hier ich sitz'. Der Wind durchfährt die Gassen, Der Blitz das Wolkenrevier — Jch sitze hier verlassen, Verlassen sitz' ich hier. O Wind, Blitz, Wolken, Gassen — Jch hab' euch auf dem Strich! — Jch sitze hier verlassen — Hier — sitz' — verlassen — ich. Wem wäre der liebenswürdige Rudolf Baumbach unbekannt? Auf allen deutschen Salontischen liegen seine Büchlein in Goldschnitt — und mit Recht: denn in entzückend glatter Form weiß er halb scherzend die artigsten Weisheiten so hübsch vorzubringen, daß man dieselben in jeder Gesellschaft anhören kann, ohne sich zu ermüden: ja manchmal so hübsch, daß — o höchster Triumph des schaffenden Poeten! — die Weisheit gänzlich daraus zu verschwinden scheint. Hören wir seine didaktisch-allegorische Träumerei: Rosen, Disteln und Hänschen. Röschen aus der Hecke blickt. „Ei, das muß ich brechen!“ Hänschen doch ist ungeschickt, Und die Dörnlein stechen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0011" n="11"/> <p>Die schon erwähnte Gütergemeinschaft herrschte gestern auch ganz besonders in der fast allgemeinen idealen Ausbildung des <hi rendition="#g">äußeren Ausdrucks</hi>. So wurde zum Beispiel, was vorgestern <hi rendition="#g">Heinrich Heine</hi> sang, gestern von Hunderten deutscher Sänger formell noch viel besser exekutirt. Die Lyrik von Gestern wimmelt von Heine abgeguckt nachgespuckten sarkastischen Schlüssen und zierlich formellen Schlangenwindungen. Diese Schlüsse sind bekannt; eine <heineranische> Schlangenwindung führen wir vor in dem Gedichte: </p><lb/> <lg type="poem"> <head><hi rendition="#b">Verlassen</hi>.</head><lb/> <lg n="1"> <l>Der Wind durchfährt die Gassen,</l><lb/> <l>Die Wolken durchfährt der Blitz —</l><lb/> <l>Jch sitze hier verlassen,</l><lb/> <l>Verlassen hier ich sitz'.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Der Wind durchfährt die Gassen,</l><lb/> <l>Der Blitz das Wolkenrevier —</l><lb/> <l>Jch sitze hier verlassen,</l><lb/> <l>Verlassen sitz' ich hier.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>O Wind, Blitz, Wolken, Gassen —</l><lb/> <l>Jch hab' euch auf dem Strich! —</l><lb/> <l>Jch sitze hier verlassen —</l><lb/> <l>Hier — sitz' — verlassen — ich.</l> </lg> </lg><lb/> <p> Wem wäre der liebenswürdige <hi rendition="#g">Rudolf Baumbach</hi> unbekannt? Auf allen deutschen Salontischen liegen seine Büchlein in Goldschnitt — und mit Recht: denn in entzückend glatter Form weiß er halb scherzend die artigsten Weisheiten so hübsch vorzubringen, daß man dieselben in jeder Gesellschaft anhören kann, ohne sich zu ermüden: ja manchmal so hübsch, daß — o höchster Triumph des schaffenden Poeten! — die Weisheit gänzlich daraus zu verschwinden scheint. Hören wir seine didaktisch-allegorische Träumerei: </p><lb/> <lg type="poem"> <head><hi rendition="#b">Rosen, Disteln und Hänschen</hi>.</head><lb/> <lg n="1"> <l>Röschen aus der Hecke blickt.</l><lb/> <l>„Ei, das muß ich brechen!“</l><lb/> <l>Hänschen doch ist ungeschickt,</l><lb/> <l>Und die Dörnlein stechen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [11/0011]
Die schon erwähnte Gütergemeinschaft herrschte gestern auch ganz besonders in der fast allgemeinen idealen Ausbildung des äußeren Ausdrucks. So wurde zum Beispiel, was vorgestern Heinrich Heine sang, gestern von Hunderten deutscher Sänger formell noch viel besser exekutirt. Die Lyrik von Gestern wimmelt von Heine abgeguckt nachgespuckten sarkastischen Schlüssen und zierlich formellen Schlangenwindungen. Diese Schlüsse sind bekannt; eine <heineranische> Schlangenwindung führen wir vor in dem Gedichte:
Verlassen.
Der Wind durchfährt die Gassen,
Die Wolken durchfährt der Blitz —
Jch sitze hier verlassen,
Verlassen hier ich sitz'.
Der Wind durchfährt die Gassen,
Der Blitz das Wolkenrevier —
Jch sitze hier verlassen,
Verlassen sitz' ich hier.
O Wind, Blitz, Wolken, Gassen —
Jch hab' euch auf dem Strich! —
Jch sitze hier verlassen —
Hier — sitz' — verlassen — ich.
Wem wäre der liebenswürdige Rudolf Baumbach unbekannt? Auf allen deutschen Salontischen liegen seine Büchlein in Goldschnitt — und mit Recht: denn in entzückend glatter Form weiß er halb scherzend die artigsten Weisheiten so hübsch vorzubringen, daß man dieselben in jeder Gesellschaft anhören kann, ohne sich zu ermüden: ja manchmal so hübsch, daß — o höchster Triumph des schaffenden Poeten! — die Weisheit gänzlich daraus zu verschwinden scheint. Hören wir seine didaktisch-allegorische Träumerei:
Rosen, Disteln und Hänschen.
Röschen aus der Hecke blickt.
„Ei, das muß ich brechen!“
Hänschen doch ist ungeschickt,
Und die Dörnlein stechen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gumppenberg_lyrik_1891 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gumppenberg_lyrik_1891/11 |
Zitationshilfe: | Gumppenberg, Hanns von: Deutsche Lyrik von gestern. München, 1891 (= Münchener Flugschriften, Bd. 3), S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gumppenberg_lyrik_1891/11>, abgerufen am 16.07.2024. |