Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792.und dem ursprünglichen Erwerbe. aufgegeben zu halten sey? Komt eine ausdrücklicheErklärung desfals hinzu, so ist die Sache freilich ausser Zweifel b]. Sobald indes eine Nazion freiwillig derge- stalt aufhört ein Land würklich zu besitzen und zu benu- tzen, daß dadurch zugleich alle Merkmale eines fortdau- ernden Eigenthums verlohren gehen; c] so ist dasjenige Volk, welches sich dessen anmaasset, allerdings für einen redlichen Besitzer zu halten, von dem es der vori- ge Eigenthümer nicht zurückfodern kann d]. Denn so wie zu Erwerbung eines Eigenthums, ausser der Besitzer- greifung nicht eben die ausdrückliche Erklärung der Zueignung erforderlich ist, wenn diese Absicht schon aus den auf die fortdauernde Benutzung abzweckenden Thathandlungen erhellet, [§. 3.] so ist auch hier diese Erklärung nicht unumgänglich nöthig. Der neue Be- sitzer eines offenbar verlassenen Landes erlangt alsbald mit der Ergreifung das Eigenthum und bedarf der Ein- willigung des vorigen Eigenthümers nicht: sonst würde eben so wenig irgend iemand seines Besitzes gewis seyn können, als wenn der erste Besitzergreifer auf die Ein- willigung aller übrigen warten solte. Die Handlung selbst legt schon den Willen genug am Tage. Diese Erwerbungsart gehört unter die ursprünglichen, weil die aufgegebene Sache, vor Erlangung eines andern Eigenthümers, wieder in ihren natürlichen Zustand zu- rückgeht. a] Grotius L. II. c. 3. §. 19. n. 1. Dessen Grundsätze nahm Frankreich in seinen Staatsschriften gegen Gros- britannien wegen des streitigen Eigenthums der Insel St. Lucie in Amerika durchgängig an, Vne terre, heißt es unter andern in einem Memoire, quoique deeou- verte et reconnue par quelque nation; meme quoique etablie, si elle avoit ete par la suite abandonnee, de- venoit au rang des terres vacantes et comme telle etoit le partage de celui qui l'occupoit et s'en mettoit Günth. Völk. R. 2. B. E
und dem urſpruͤnglichen Erwerbe. aufgegeben zu halten ſey? Komt eine ausdruͤcklicheErklaͤrung desfals hinzu, ſo iſt die Sache freilich auſſer Zweifel b]. Sobald indes eine Nazion freiwillig derge- ſtalt aufhoͤrt ein Land wuͤrklich zu beſitzen und zu benu- tzen, daß dadurch zugleich alle Merkmale eines fortdau- ernden Eigenthums verlohren gehen; c] ſo iſt dasjenige Volk, welches ſich deſſen anmaaſſet, allerdings fuͤr einen redlichen Beſitzer zu halten, von dem es der vori- ge Eigenthuͤmer nicht zuruͤckfodern kann d]. Denn ſo wie zu Erwerbung eines Eigenthums, auſſer der Beſitzer- greifung nicht eben die ausdruͤckliche Erklaͤrung der Zueignung erforderlich iſt, wenn dieſe Abſicht ſchon aus den auf die fortdauernde Benutzung abzweckenden Thathandlungen erhellet, [§. 3.] ſo iſt auch hier dieſe Erklaͤrung nicht unumgaͤnglich noͤthig. Der neue Be- ſitzer eines offenbar verlaſſenen Landes erlangt alsbald mit der Ergreifung das Eigenthum und bedarf der Ein- willigung des vorigen Eigenthuͤmers nicht: ſonſt wuͤrde eben ſo wenig irgend iemand ſeines Beſitzes gewis ſeyn koͤnnen, als wenn der erſte Beſitzergreifer auf die Ein- willigung aller uͤbrigen warten ſolte. Die Handlung ſelbſt legt ſchon den Willen genug am Tage. Dieſe Erwerbungsart gehoͤrt unter die urſpruͤnglichen, weil die aufgegebene Sache, vor Erlangung eines andern Eigenthuͤmers, wieder in ihren natuͤrlichen Zuſtand zu- ruͤckgeht. a] Grotius L. II. c. 3. §. 19. n. 1. Deſſen Grundſaͤtze nahm Frankreich in ſeinen Staatsſchriften gegen Gros- britannien wegen des ſtreitigen Eigenthums der Inſel St. Lucie in Amerika durchgaͤngig an, Vne terre, heißt es unter andern in einem Memoire, quoique deeou- verte et reconnue par quelque nation; même quoique établie, ſi elle avoit été par la ſuite abandonnée, de- venoit au rang des terres vacantes et comme telle étoit le partage de celui qui l’occupoit et ſ’en mettoit Guͤnth. Voͤlk. R. 2. B. E
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und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
aufgegeben zu halten ſey? Komt eine ausdruͤckliche
Erklaͤrung desfals hinzu, ſo iſt die Sache freilich auſſer
Zweifel b]. Sobald indes eine Nazion freiwillig derge-
ſtalt aufhoͤrt ein Land wuͤrklich zu beſitzen und zu benu-
tzen, daß dadurch zugleich alle Merkmale eines fortdau-
ernden Eigenthums verlohren gehen; c] ſo iſt dasjenige
Volk, welches ſich deſſen anmaaſſet, allerdings fuͤr
einen redlichen Beſitzer zu halten, von dem es der vori-
ge Eigenthuͤmer nicht zuruͤckfodern kann d]. Denn ſo wie
zu Erwerbung eines Eigenthums, auſſer der Beſitzer-
greifung nicht eben die ausdruͤckliche Erklaͤrung der
Zueignung erforderlich iſt, wenn dieſe Abſicht ſchon
aus den auf die fortdauernde Benutzung abzweckenden
Thathandlungen erhellet, [§. 3.] ſo iſt auch hier dieſe
Erklaͤrung nicht unumgaͤnglich noͤthig. Der neue Be-
ſitzer eines offenbar verlaſſenen Landes erlangt alsbald
mit der Ergreifung das Eigenthum und bedarf der Ein-
willigung des vorigen Eigenthuͤmers nicht: ſonſt wuͤrde
eben ſo wenig irgend iemand ſeines Beſitzes gewis ſeyn
koͤnnen, als wenn der erſte Beſitzergreifer auf die Ein-
willigung aller uͤbrigen warten ſolte. Die Handlung
ſelbſt legt ſchon den Willen genug am Tage. Dieſe
Erwerbungsart gehoͤrt unter die urſpruͤnglichen, weil
die aufgegebene Sache, vor Erlangung eines andern
Eigenthuͤmers, wieder in ihren natuͤrlichen Zuſtand zu-
ruͤckgeht.
a] Grotius L. II. c. 3. §. 19. n. 1. Deſſen Grundſaͤtze
nahm Frankreich in ſeinen Staatsſchriften gegen Gros-
britannien wegen des ſtreitigen Eigenthums der Inſel
St. Lucie in Amerika durchgaͤngig an, Vne terre, heißt
es unter andern in einem Memoire, quoique deeou-
verte et reconnue par quelque nation; même quoique
établie, ſi elle avoit été par la ſuite abandonnée, de-
venoit au rang des terres vacantes et comme telle
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