Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Von Garantirung der Lande.
In den diesfals errichteten Verträgen, worauf es hier-
bey hauptsächlich ankomt, werden gemeiniglich die Be-
dingungen festgesetzt, unter welchen die Hülfsleistung
gegen Beeinträchtigungen und Angriffe erfolgen soll,
auch die Stärke der Hülfe und die Art der Leistung be-
stimt. Bey eintretenden Umständen komt es zwar auf
die in Gefahr sich befindende Nazion an, ob sie den
von andern ihr versprochenen Beistand fodern will oder
nicht. Diesen steht aber, wenn der Vertrag nicht
ganz allgemein abgefast ist, allerdings auch frey zu un-
tersuchen: ob der bedungene Fall der Hülfsleistung
würklich vorhanden sey? a] Dieser Umstand und an-
dere hierunter mögliche Ausflüchte und Hindernisse b]
sind denn freilich sehr oft Ursach, daß die erwartete
Garantie, zumal wenn es bey dem andern Theile am
guten Willen fehlt, entweder gar keine Würkung hat,
oder doch nicht zum gehörigen Zeitpunct c]. Wenn
übrigens ein Volk andern Lande zu garantiren ver-
spricht, woran es vorher selbst Ansprüche machte, oder
zu haben glaubte, so läßt sich daraus ohnstreitig eine
Verzichtleistung dieser Ansprüche folgern, es müste
denn zur Zeit der übernommenen Garantie noch keine
Wissenschaft davon gehabt und das Recht darauf erst
nachher erlangt, auch dabey ausdrücklich allen seinen
bekanten und unbekanten Rechten nicht entsagt haben d].
Jedoch hindert die Garantie an sich keinesweges, daß
eine Nazion über die ihr garantirten Lande nicht nach
Wilkühr schalten könte, und selbst der garantirenden
nicht frey stehen solte, mit Einverständnis der andern,
etwas davon an sich zu bringen e].

a] Als nach Absterben König August II. von Polen, Frank-
reich, Spanien und Sardinien die italiänischen Staaten
Kaiser Karls VI. angriffen, und dieser von Grosbritan-
nien und den Vereinigten NLanden die versprochene Ga-
rantie verlangte, entschuldigten sie sich damit, daß der

Von Garantirung der Lande.
In den diesfals errichteten Vertraͤgen, worauf es hier-
bey hauptſaͤchlich ankomt, werden gemeiniglich die Be-
dingungen feſtgeſetzt, unter welchen die Huͤlfsleiſtung
gegen Beeintraͤchtigungen und Angriffe erfolgen ſoll,
auch die Staͤrke der Huͤlfe und die Art der Leiſtung be-
ſtimt. Bey eintretenden Umſtaͤnden komt es zwar auf
die in Gefahr ſich befindende Nazion an, ob ſie den
von andern ihr verſprochenen Beiſtand fodern will oder
nicht. Dieſen ſteht aber, wenn der Vertrag nicht
ganz allgemein abgefaſt iſt, allerdings auch frey zu un-
terſuchen: ob der bedungene Fall der Huͤlfsleiſtung
wuͤrklich vorhanden ſey? a] Dieſer Umſtand und an-
dere hierunter moͤgliche Ausfluͤchte und Hinderniſſe b]
ſind denn freilich ſehr oft Urſach, daß die erwartete
Garantie, zumal wenn es bey dem andern Theile am
guten Willen fehlt, entweder gar keine Wuͤrkung hat,
oder doch nicht zum gehoͤrigen Zeitpunct c]. Wenn
uͤbrigens ein Volk andern Lande zu garantiren ver-
ſpricht, woran es vorher ſelbſt Anſpruͤche machte, oder
zu haben glaubte, ſo laͤßt ſich daraus ohnſtreitig eine
Verzichtleiſtung dieſer Anſpruͤche folgern, es muͤſte
denn zur Zeit der uͤbernommenen Garantie noch keine
Wiſſenſchaft davon gehabt und das Recht darauf erſt
nachher erlangt, auch dabey ausdruͤcklich allen ſeinen
bekanten und unbekanten Rechten nicht entſagt haben d].
Jedoch hindert die Garantie an ſich keinesweges, daß
eine Nazion uͤber die ihr garantirten Lande nicht nach
Wilkuͤhr ſchalten koͤnte, und ſelbſt der garantirenden
nicht frey ſtehen ſolte, mit Einverſtaͤndnis der andern,
etwas davon an ſich zu bringen e].

a] Als nach Abſterben Koͤnig Auguſt II. von Polen, Frank-
reich, Spanien und Sardinien die italiaͤniſchen Staaten
Kaiſer Karls VI. angriffen, und dieſer von Grosbritan-
nien und den Vereinigten NLanden die verſprochene Ga-
rantie verlangte, entſchuldigten ſie ſich damit, daß der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0266" n="252"/><fw place="top" type="header">Von Garantirung der Lande.</fw><lb/>
In den diesfals errichteten Vertra&#x0364;gen, worauf es hier-<lb/>
bey haupt&#x017F;a&#x0364;chlich ankomt, werden gemeiniglich die Be-<lb/>
dingungen fe&#x017F;tge&#x017F;etzt, unter welchen die Hu&#x0364;lfslei&#x017F;tung<lb/>
gegen Beeintra&#x0364;chtigungen und Angriffe erfolgen &#x017F;oll,<lb/>
auch die Sta&#x0364;rke der Hu&#x0364;lfe und die Art der Lei&#x017F;tung be-<lb/>
&#x017F;timt. Bey eintretenden Um&#x017F;ta&#x0364;nden komt es zwar auf<lb/>
die in Gefahr &#x017F;ich befindende Nazion an, ob &#x017F;ie den<lb/>
von andern ihr ver&#x017F;prochenen Bei&#x017F;tand fodern will oder<lb/>
nicht. Die&#x017F;en &#x017F;teht aber, wenn der Vertrag nicht<lb/>
ganz allgemein abgefa&#x017F;t i&#x017F;t, allerdings auch frey zu un-<lb/>
ter&#x017F;uchen: ob der bedungene Fall der Hu&#x0364;lfslei&#x017F;tung<lb/>
wu&#x0364;rklich vorhanden &#x017F;ey? <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">a</hi></hi>] Die&#x017F;er Um&#x017F;tand und an-<lb/>
dere hierunter mo&#x0364;gliche Ausflu&#x0364;chte und Hinderni&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">b</hi></hi>]<lb/>
&#x017F;ind denn freilich &#x017F;ehr oft Ur&#x017F;ach, daß die erwartete<lb/>
Garantie, zumal wenn es bey dem andern Theile am<lb/>
guten Willen fehlt, entweder gar keine Wu&#x0364;rkung hat,<lb/>
oder doch nicht zum geho&#x0364;rigen Zeitpunct <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">c</hi></hi>]. Wenn<lb/>
u&#x0364;brigens ein Volk andern Lande zu garantiren ver-<lb/>
&#x017F;pricht, woran es vorher &#x017F;elb&#x017F;t An&#x017F;pru&#x0364;che machte, oder<lb/>
zu haben glaubte, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich daraus ohn&#x017F;treitig eine<lb/>
Verzichtlei&#x017F;tung die&#x017F;er An&#x017F;pru&#x0364;che folgern, es mu&#x0364;&#x017F;te<lb/>
denn zur Zeit der u&#x0364;bernommenen Garantie noch keine<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft davon gehabt und das Recht darauf er&#x017F;t<lb/>
nachher erlangt, auch dabey ausdru&#x0364;cklich allen &#x017F;einen<lb/>
bekanten und unbekanten Rechten nicht ent&#x017F;agt haben <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">d</hi></hi>].<lb/>
Jedoch hindert die Garantie an &#x017F;ich keinesweges, daß<lb/>
eine Nazion u&#x0364;ber die ihr garantirten Lande nicht nach<lb/>
Wilku&#x0364;hr &#x017F;chalten ko&#x0364;nte, und &#x017F;elb&#x017F;t der garantirenden<lb/>
nicht frey &#x017F;tehen &#x017F;olte, mit Einver&#x017F;ta&#x0364;ndnis der andern,<lb/>
etwas davon an &#x017F;ich zu bringen <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">e</hi></hi>].</p><lb/>
            <note place="end" n="a]">Als nach Ab&#x017F;terben Ko&#x0364;nig Augu&#x017F;t <hi rendition="#aq">II.</hi> von Polen, Frank-<lb/>
reich, Spanien und Sardinien die italia&#x0364;ni&#x017F;chen Staaten<lb/>
Kai&#x017F;er Karls <hi rendition="#aq">VI.</hi> angriffen, und die&#x017F;er von Grosbritan-<lb/>
nien und den Vereinigten NLanden die ver&#x017F;prochene Ga-<lb/>
rantie verlangte, ent&#x017F;chuldigten &#x017F;ie &#x017F;ich damit, daß der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Tod</fw><lb/></note>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0266] Von Garantirung der Lande. In den diesfals errichteten Vertraͤgen, worauf es hier- bey hauptſaͤchlich ankomt, werden gemeiniglich die Be- dingungen feſtgeſetzt, unter welchen die Huͤlfsleiſtung gegen Beeintraͤchtigungen und Angriffe erfolgen ſoll, auch die Staͤrke der Huͤlfe und die Art der Leiſtung be- ſtimt. Bey eintretenden Umſtaͤnden komt es zwar auf die in Gefahr ſich befindende Nazion an, ob ſie den von andern ihr verſprochenen Beiſtand fodern will oder nicht. Dieſen ſteht aber, wenn der Vertrag nicht ganz allgemein abgefaſt iſt, allerdings auch frey zu un- terſuchen: ob der bedungene Fall der Huͤlfsleiſtung wuͤrklich vorhanden ſey? a] Dieſer Umſtand und an- dere hierunter moͤgliche Ausfluͤchte und Hinderniſſe b] ſind denn freilich ſehr oft Urſach, daß die erwartete Garantie, zumal wenn es bey dem andern Theile am guten Willen fehlt, entweder gar keine Wuͤrkung hat, oder doch nicht zum gehoͤrigen Zeitpunct c]. Wenn uͤbrigens ein Volk andern Lande zu garantiren ver- ſpricht, woran es vorher ſelbſt Anſpruͤche machte, oder zu haben glaubte, ſo laͤßt ſich daraus ohnſtreitig eine Verzichtleiſtung dieſer Anſpruͤche folgern, es muͤſte denn zur Zeit der uͤbernommenen Garantie noch keine Wiſſenſchaft davon gehabt und das Recht darauf erſt nachher erlangt, auch dabey ausdruͤcklich allen ſeinen bekanten und unbekanten Rechten nicht entſagt haben d]. Jedoch hindert die Garantie an ſich keinesweges, daß eine Nazion uͤber die ihr garantirten Lande nicht nach Wilkuͤhr ſchalten koͤnte, und ſelbſt der garantirenden nicht frey ſtehen ſolte, mit Einverſtaͤndnis der andern, etwas davon an ſich zu bringen e]. a] Als nach Abſterben Koͤnig Auguſt II. von Polen, Frank- reich, Spanien und Sardinien die italiaͤniſchen Staaten Kaiſer Karls VI. angriffen, und dieſer von Grosbritan- nien und den Vereinigten NLanden die verſprochene Ga- rantie verlangte, entſchuldigten ſie ſich damit, daß der Tod

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/266
Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/266>, abgerufen am 21.11.2024.