Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite
oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
translato dominio etc. da eben die Frage ist, ob das
Eigenthum durch den blossen Vertrag übergegangen sey?
Mir scheint eher zu folgen, daß, wenn ohne Besitz kein
Eigenthum ausgeübt werden kan, das Eigenthum nicht
eher vorhanden sey, als bis die Besitzeinräumung erfolgt.
Der Eigenthümer muß sein Recht wenigstens ausüben
können, wenn er will, bevor er aber nicht kan, ist er
auch nicht Eigenthümer.
f] Daher auch nach dem natürlichen Rechte und mehrern
Gesetzgebungen vor der Uebergabe, wenn der Erwerber
sich keiner Nachlässigkeit schuldig macht, der Veräusserer
den etwa eintretenden Schaden zu tragen hat, wiewohl
die römischen Rechtslehrer anderer Meinung sind. Gro-
tius
L. II. c.
12. §. 15. wo er auch die Frage ganz
richtig entscheidet: wer, wenn ebendieselbe Sache zweien
verkauft worden ist, den Vorzug habe? Illud quoque
sciendum,
sagt er daselbst, si res bis sit vendita, ex
duabus venditionibus eam valituram quae in se con-
tinuit praesentem dominii translationem sive per tra-
ditionem sive aliter. Per hanc enim facultas moralis
in rem abiit a venditore, quod non fit per solam pro-
missionem
.
Schrodt hingegen a. a. O. §. 21. in der
Note behauptet, daß der, dem die Sache durch Ver-
trag zuerst versprochen worden, vorzuziehen sey. Das
Recht sich deshalb an den Verkäufer zu halten wird man
diesem eben so wenig absprechen, als ienem das durch
Besitz erlangte Eigenthum streitig machen können. M.
vergl. indessen Puffendorff L. V. c. 5. §. 3. und
Barbeyrac in den Noten zur franz. Uebersetzung des
Grotius L. II. c. 12. §. 15. und Sam. a Cocceji l. c.
§. 268. n.
22. u. §. 426.
g] I. H. Böhmer diss. de figmento translati ipso iure
dominii ex promissis principum, Hal.
1732. 4.
h] In vielen Veräusserungsverträgen wird der Uebergabe
ausdrücklich erwähnt. Man sehe z. B. den Kaufkon-
F 5
oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
translato dominio etc. da eben die Frage iſt, ob das
Eigenthum durch den bloſſen Vertrag uͤbergegangen ſey?
Mir ſcheint eher zu folgen, daß, wenn ohne Beſitz kein
Eigenthum ausgeuͤbt werden kan, das Eigenthum nicht
eher vorhanden ſey, als bis die Beſitzeinraͤumung erfolgt.
Der Eigenthuͤmer muß ſein Recht wenigſtens ausuͤben
koͤnnen, wenn er will, bevor er aber nicht kan, iſt er
auch nicht Eigenthuͤmer.
f] Daher auch nach dem natuͤrlichen Rechte und mehrern
Geſetzgebungen vor der Uebergabe, wenn der Erwerber
ſich keiner Nachlaͤſſigkeit ſchuldig macht, der Veraͤuſſerer
den etwa eintretenden Schaden zu tragen hat, wiewohl
die roͤmiſchen Rechtslehrer anderer Meinung ſind. Gro-
tius
L. II. c.
12. §. 15. wo er auch die Frage ganz
richtig entſcheidet: wer, wenn ebendieſelbe Sache zweien
verkauft worden iſt, den Vorzug habe? Illud quoque
ſciendum,
ſagt er daſelbſt, ſi res bis ſit vendita, ex
duabus venditionibus eam valituram quae in ſe con-
tinuit praeſentem dominii translationem ſive per tra-
ditionem ſive aliter. Per hanc enim facultas moralis
in rem abiit a venditore, quod non fit per ſolam pro-
miſſionem
.
Schrodt hingegen a. a. O. §. 21. in der
Note behauptet, daß der, dem die Sache durch Ver-
trag zuerſt verſprochen worden, vorzuziehen ſey. Das
Recht ſich deshalb an den Verkaͤufer zu halten wird man
dieſem eben ſo wenig abſprechen, als ienem das durch
Beſitz erlangte Eigenthum ſtreitig machen koͤnnen. M.
vergl. indeſſen Puffendorff L. V. c. 5. §. 3. und
Barbeyrac in den Noten zur franz. Ueberſetzung des
Grotius L. II. c. 12. §. 15. und Sam. a Cocceji l. c.
§. 268. n.
22. u. §. 426.
g] I. H. Böhmer diſſ. de figmento translati ipſo iure
dominii ex promiſſis principum, Hal.
1732. 4.
h] In vielen Veraͤuſſerungsvertraͤgen wird der Uebergabe
ausdruͤcklich erwaͤhnt. Man ſehe z. B. den Kaufkon-
F 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <note place="end" n="e]"><pb facs="#f0103" n="89"/><fw place="top" type="header">oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.</fw><lb/><hi rendition="#aq">translato dominio etc.</hi> da eben die Frage i&#x017F;t, ob das<lb/>
Eigenthum durch den blo&#x017F;&#x017F;en Vertrag u&#x0364;bergegangen &#x017F;ey?<lb/>
Mir &#x017F;cheint eher zu folgen, daß, wenn ohne Be&#x017F;itz kein<lb/>
Eigenthum ausgeu&#x0364;bt werden kan, das Eigenthum nicht<lb/>
eher vorhanden &#x017F;ey, als bis die Be&#x017F;itzeinra&#x0364;umung erfolgt.<lb/>
Der Eigenthu&#x0364;mer muß &#x017F;ein Recht wenig&#x017F;tens ausu&#x0364;ben<lb/>
ko&#x0364;nnen, wenn er will, bevor er aber nicht kan, i&#x017F;t er<lb/>
auch nicht Eigenthu&#x0364;mer.</note><lb/>
            <note place="end" n="f]">Daher auch nach dem natu&#x0364;rlichen Rechte und mehrern<lb/>
Ge&#x017F;etzgebungen vor der Uebergabe, wenn der Erwerber<lb/>
&#x017F;ich keiner Nachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit &#x017F;chuldig macht, der Vera&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erer<lb/>
den etwa eintretenden Schaden zu tragen hat, wiewohl<lb/>
die ro&#x0364;mi&#x017F;chen Rechtslehrer anderer Meinung &#x017F;ind. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Gro-<lb/>
tius</hi> L. II. c.</hi> 12. §. 15. wo er auch die Frage ganz<lb/>
richtig ent&#x017F;cheidet: wer, wenn ebendie&#x017F;elbe Sache zweien<lb/>
verkauft worden i&#x017F;t, den Vorzug habe? <hi rendition="#aq">Illud quoque<lb/>
&#x017F;ciendum,</hi> &#x017F;agt er da&#x017F;elb&#x017F;t, <hi rendition="#aq">&#x017F;i res bis &#x017F;it vendita, ex<lb/>
duabus venditionibus eam valituram quae in &#x017F;e con-<lb/>
tinuit prae&#x017F;entem dominii translationem &#x017F;ive per tra-<lb/>
ditionem &#x017F;ive aliter. <hi rendition="#i">Per hanc enim</hi> facultas moralis<lb/>
in rem abiit a venditore, <hi rendition="#i">quod non fit per &#x017F;olam pro-<lb/>
mi&#x017F;&#x017F;ionem</hi>.</hi> Schrodt hingegen a. a. O. §. 21. in der<lb/>
Note behauptet, daß der, dem die Sache durch Ver-<lb/>
trag zuer&#x017F;t ver&#x017F;prochen worden, vorzuziehen &#x017F;ey. Das<lb/>
Recht &#x017F;ich deshalb an den Verka&#x0364;ufer zu halten wird man<lb/>
die&#x017F;em eben &#x017F;o wenig ab&#x017F;prechen, als ienem das durch<lb/>
Be&#x017F;itz erlangte Eigenthum &#x017F;treitig machen ko&#x0364;nnen. M.<lb/>
vergl. inde&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Puffendorff</hi> L. V. c.</hi> 5. §. 3. und<lb/>
Barbeyrac in den Noten zur franz. Ueber&#x017F;etzung des<lb/>
Grotius <hi rendition="#aq">L. II. c.</hi> 12. §. 15. und <hi rendition="#aq">Sam. a <hi rendition="#i">Cocceji</hi> l. c.<lb/>
§. 268. n.</hi> 22. u. §. 426.</note><lb/>
            <note place="end" n="g]"><hi rendition="#aq">I. H. Böhmer di&#x017F;&#x017F;. de figmento translati ip&#x017F;o iure<lb/>
dominii ex promi&#x017F;&#x017F;is principum, Hal.</hi> 1732. 4.</note><lb/>
            <note place="end" n="h]">In vielen Vera&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erungsvertra&#x0364;gen wird der Uebergabe<lb/>
ausdru&#x0364;cklich erwa&#x0364;hnt. Man &#x017F;ehe z. B. den Kaufkon-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 5</fw><fw place="bottom" type="catch">tract</fw><lb/></note>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0103] oder den abgeleiteten Erwerbungsarten. e] translato dominio etc. da eben die Frage iſt, ob das Eigenthum durch den bloſſen Vertrag uͤbergegangen ſey? Mir ſcheint eher zu folgen, daß, wenn ohne Beſitz kein Eigenthum ausgeuͤbt werden kan, das Eigenthum nicht eher vorhanden ſey, als bis die Beſitzeinraͤumung erfolgt. Der Eigenthuͤmer muß ſein Recht wenigſtens ausuͤben koͤnnen, wenn er will, bevor er aber nicht kan, iſt er auch nicht Eigenthuͤmer. f] Daher auch nach dem natuͤrlichen Rechte und mehrern Geſetzgebungen vor der Uebergabe, wenn der Erwerber ſich keiner Nachlaͤſſigkeit ſchuldig macht, der Veraͤuſſerer den etwa eintretenden Schaden zu tragen hat, wiewohl die roͤmiſchen Rechtslehrer anderer Meinung ſind. Gro- tius L. II. c. 12. §. 15. wo er auch die Frage ganz richtig entſcheidet: wer, wenn ebendieſelbe Sache zweien verkauft worden iſt, den Vorzug habe? Illud quoque ſciendum, ſagt er daſelbſt, ſi res bis ſit vendita, ex duabus venditionibus eam valituram quae in ſe con- tinuit praeſentem dominii translationem ſive per tra- ditionem ſive aliter. Per hanc enim facultas moralis in rem abiit a venditore, quod non fit per ſolam pro- miſſionem. Schrodt hingegen a. a. O. §. 21. in der Note behauptet, daß der, dem die Sache durch Ver- trag zuerſt verſprochen worden, vorzuziehen ſey. Das Recht ſich deshalb an den Verkaͤufer zu halten wird man dieſem eben ſo wenig abſprechen, als ienem das durch Beſitz erlangte Eigenthum ſtreitig machen koͤnnen. M. vergl. indeſſen Puffendorff L. V. c. 5. §. 3. und Barbeyrac in den Noten zur franz. Ueberſetzung des Grotius L. II. c. 12. §. 15. und Sam. a Cocceji l. c. §. 268. n. 22. u. §. 426. g] I. H. Böhmer diſſ. de figmento translati ipſo iure dominii ex promiſſis principum, Hal. 1732. 4. h] In vielen Veraͤuſſerungsvertraͤgen wird der Uebergabe ausdruͤcklich erwaͤhnt. Man ſehe z. B. den Kaufkon- tract F 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/103
Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/103>, abgerufen am 21.11.2024.