Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.schichte lesen dürfe, ohne an ihrem ewigen Seelenheil Schaden zu leiden? Ja, aber um des Himmels willen, was wollen Sie denn sonst, Vetter? Die Sache muß doch einen Zweck haben und ein Ziel! Ziel und Zweck -- die Sprache der nüchternen Utilitarier, der Nützlichkeitsmenschen, die keine blasse Ahnung haben, was es heißt, wenn eine heilige Leidenschaft, eine süße Neigung gleichgestimmte Seelen beflügelt und in göttlicher Vereinigung verschmilzt. Nein, Frau Conrectorin, Sie haben mich niemals verstanden, niemals verstehen können! Gehen Sie mit Ihren hohlen Redensarten, Vetter. Sie haben sich närrisch gelesen und passen nur noch zum Don Quixote. Ich aber werde mich hüten, Ihre Dulcinea in die Falle zu locken, auch wenn Ihre Schwärmerei ganz unschädlich und bloß lächerlich wäre. Schade, daß Frau Julia nicht Ihren Sermon gehört hat, sie würde doch etwas zu lachen haben in ihrer traurigen Einsamkeit. Frühes Lachen wird spätes Leid haben, sagte Vetter Isidor mit salomonischem Ton, -- lachen Sie nur, lachen Sie nach Herzenslust, so viel und so lange Sie mögen. Ich aber werde Ihnen beweisen, daß ich Manns genug bin, dieses holde Wesen dennoch aus seinem Elend zu erlösen, und die Stunde wird kommen, Frau Conrectorin, wo wir über Sie lachen werden -- die Stunde, in welcher sich unsere Seelen verschwistert und in ewiger Freundschaft vermählt haben werden! schichte lesen dürfe, ohne an ihrem ewigen Seelenheil Schaden zu leiden? Ja, aber um des Himmels willen, was wollen Sie denn sonst, Vetter? Die Sache muß doch einen Zweck haben und ein Ziel! Ziel und Zweck — die Sprache der nüchternen Utilitarier, der Nützlichkeitsmenschen, die keine blasse Ahnung haben, was es heißt, wenn eine heilige Leidenschaft, eine süße Neigung gleichgestimmte Seelen beflügelt und in göttlicher Vereinigung verschmilzt. Nein, Frau Conrectorin, Sie haben mich niemals verstanden, niemals verstehen können! Gehen Sie mit Ihren hohlen Redensarten, Vetter. Sie haben sich närrisch gelesen und passen nur noch zum Don Quixote. Ich aber werde mich hüten, Ihre Dulcinea in die Falle zu locken, auch wenn Ihre Schwärmerei ganz unschädlich und bloß lächerlich wäre. Schade, daß Frau Julia nicht Ihren Sermon gehört hat, sie würde doch etwas zu lachen haben in ihrer traurigen Einsamkeit. Frühes Lachen wird spätes Leid haben, sagte Vetter Isidor mit salomonischem Ton, — lachen Sie nur, lachen Sie nach Herzenslust, so viel und so lange Sie mögen. Ich aber werde Ihnen beweisen, daß ich Manns genug bin, dieses holde Wesen dennoch aus seinem Elend zu erlösen, und die Stunde wird kommen, Frau Conrectorin, wo wir über Sie lachen werden — die Stunde, in welcher sich unsere Seelen verschwistert und in ewiger Freundschaft vermählt haben werden! <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0062"/> schichte lesen dürfe, ohne an ihrem ewigen Seelenheil Schaden zu leiden?</p><lb/> <p>Ja, aber um des Himmels willen, was wollen Sie denn sonst, Vetter? Die Sache muß doch einen Zweck haben und ein Ziel!</p><lb/> <p>Ziel und Zweck — die Sprache der nüchternen Utilitarier, der Nützlichkeitsmenschen, die keine blasse Ahnung haben, was es heißt, wenn eine heilige Leidenschaft, eine süße Neigung gleichgestimmte Seelen beflügelt und in göttlicher Vereinigung verschmilzt. Nein, Frau Conrectorin, Sie haben mich niemals verstanden, niemals verstehen können!</p><lb/> <p>Gehen Sie mit Ihren hohlen Redensarten, Vetter. Sie haben sich närrisch gelesen und passen nur noch zum Don Quixote. Ich aber werde mich hüten, Ihre Dulcinea in die Falle zu locken, auch wenn Ihre Schwärmerei ganz unschädlich und bloß lächerlich wäre. Schade, daß Frau Julia nicht Ihren Sermon gehört hat, sie würde doch etwas zu lachen haben in ihrer traurigen Einsamkeit.</p><lb/> <p>Frühes Lachen wird spätes Leid haben, sagte Vetter Isidor mit salomonischem Ton, — lachen Sie nur, lachen Sie nach Herzenslust, so viel und so lange Sie mögen. Ich aber werde Ihnen beweisen, daß ich Manns genug bin, dieses holde Wesen dennoch aus seinem Elend zu erlösen, und die Stunde wird kommen, Frau Conrectorin, wo wir über Sie lachen werden — die Stunde, in welcher sich unsere Seelen verschwistert und in ewiger Freundschaft vermählt haben werden!</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
schichte lesen dürfe, ohne an ihrem ewigen Seelenheil Schaden zu leiden?
Ja, aber um des Himmels willen, was wollen Sie denn sonst, Vetter? Die Sache muß doch einen Zweck haben und ein Ziel!
Ziel und Zweck — die Sprache der nüchternen Utilitarier, der Nützlichkeitsmenschen, die keine blasse Ahnung haben, was es heißt, wenn eine heilige Leidenschaft, eine süße Neigung gleichgestimmte Seelen beflügelt und in göttlicher Vereinigung verschmilzt. Nein, Frau Conrectorin, Sie haben mich niemals verstanden, niemals verstehen können!
Gehen Sie mit Ihren hohlen Redensarten, Vetter. Sie haben sich närrisch gelesen und passen nur noch zum Don Quixote. Ich aber werde mich hüten, Ihre Dulcinea in die Falle zu locken, auch wenn Ihre Schwärmerei ganz unschädlich und bloß lächerlich wäre. Schade, daß Frau Julia nicht Ihren Sermon gehört hat, sie würde doch etwas zu lachen haben in ihrer traurigen Einsamkeit.
Frühes Lachen wird spätes Leid haben, sagte Vetter Isidor mit salomonischem Ton, — lachen Sie nur, lachen Sie nach Herzenslust, so viel und so lange Sie mögen. Ich aber werde Ihnen beweisen, daß ich Manns genug bin, dieses holde Wesen dennoch aus seinem Elend zu erlösen, und die Stunde wird kommen, Frau Conrectorin, wo wir über Sie lachen werden — die Stunde, in welcher sich unsere Seelen verschwistert und in ewiger Freundschaft vermählt haben werden!
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Zitationshilfe: | Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/62>, abgerufen am 16.07.2024. |