Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Gehobenes, Verjüngtes. Seine Stirne strahlte wie die eines Predigers, der eben eine weihevolle Predigt gehalten, seine Augen schimmerten in einem verklärten Glanze, und die weiße Weste, wie die neuen weißen Handschuhe vervollständigten den Ausdruck des Festtäglichen.

Nun, wo kommen Sie denn heut her, Vetterchen? sagte die Frau Conrectorin. Ich dachte schon, Sie wären krank, oder hätten etwas übel genommen. -- Und wie feierlich Sie kommen, ganz in Gala, als müßten Sie zur Audienz bei Hof! Ja, was hat es denn nur gegeben? Eigentlich sollte ich Ihnen recht böse sein, Vetterchen, nicht einmal eine Entschuldigung seit vierzehn Tagen.

Vetter Isidor strich in halber Verlegenheit mit der Ellenbogenseite des Aermels den schwarzen Seidenhut glatt, und seine wasserblauen Augen umschleierten sich verschämt mit den großen Augenlidern und ihren dichten, hellblonden, fast weißen Wimpern.

Es ist wahr, es mag den Anschein haben, hochverehrte Frau Conrectorin, sagte er beklommen wie unter einer unsichtbaren Centnerlast -- aber ich sage Ihnen, ich habe Welten erlebt, Welten überwunden, Welten in mich aufgenommen! O meine theure Frau Conrectorin -- und dabei haschte er nach ihrer Hand -- wenn ich Ihnen nur eine schwache Ahnung geben könnte von der erhabenen Freude, von dem heiligen Entzücken -- von den unsagbaren Wonnen -- alle Worte unserer irdischen

Gehobenes, Verjüngtes. Seine Stirne strahlte wie die eines Predigers, der eben eine weihevolle Predigt gehalten, seine Augen schimmerten in einem verklärten Glanze, und die weiße Weste, wie die neuen weißen Handschuhe vervollständigten den Ausdruck des Festtäglichen.

Nun, wo kommen Sie denn heut her, Vetterchen? sagte die Frau Conrectorin. Ich dachte schon, Sie wären krank, oder hätten etwas übel genommen. — Und wie feierlich Sie kommen, ganz in Gala, als müßten Sie zur Audienz bei Hof! Ja, was hat es denn nur gegeben? Eigentlich sollte ich Ihnen recht böse sein, Vetterchen, nicht einmal eine Entschuldigung seit vierzehn Tagen.

Vetter Isidor strich in halber Verlegenheit mit der Ellenbogenseite des Aermels den schwarzen Seidenhut glatt, und seine wasserblauen Augen umschleierten sich verschämt mit den großen Augenlidern und ihren dichten, hellblonden, fast weißen Wimpern.

Es ist wahr, es mag den Anschein haben, hochverehrte Frau Conrectorin, sagte er beklommen wie unter einer unsichtbaren Centnerlast — aber ich sage Ihnen, ich habe Welten erlebt, Welten überwunden, Welten in mich aufgenommen! O meine theure Frau Conrectorin — und dabei haschte er nach ihrer Hand — wenn ich Ihnen nur eine schwache Ahnung geben könnte von der erhabenen Freude, von dem heiligen Entzücken — von den unsagbaren Wonnen — alle Worte unserer irdischen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0043"/>
Gehobenes, Verjüngtes. Seine Stirne strahlte wie die eines                Predigers, der eben eine weihevolle Predigt gehalten, seine Augen schimmerten in                einem verklärten Glanze, und die weiße Weste, wie die neuen weißen Handschuhe                vervollständigten den Ausdruck des Festtäglichen.</p><lb/>
        <p>Nun, wo kommen Sie denn heut her, Vetterchen? sagte die Frau Conrectorin. Ich dachte                schon, Sie wären krank, oder hätten etwas übel genommen. &#x2014; Und wie feierlich Sie                kommen, ganz in Gala, als müßten Sie zur Audienz bei Hof! Ja, was hat es denn nur                gegeben? Eigentlich sollte ich Ihnen recht böse sein, Vetterchen, nicht einmal eine                Entschuldigung seit vierzehn Tagen.</p><lb/>
        <p>Vetter Isidor strich in halber Verlegenheit mit der Ellenbogenseite des Aermels den                schwarzen Seidenhut glatt, und seine wasserblauen Augen umschleierten sich verschämt                mit den großen Augenlidern und ihren dichten, hellblonden, fast weißen Wimpern.</p><lb/>
        <p>Es ist wahr, es mag den Anschein haben, hochverehrte Frau Conrectorin, sagte er                beklommen wie unter einer unsichtbaren Centnerlast &#x2014; aber ich sage Ihnen, ich habe                Welten erlebt, Welten überwunden, Welten in mich aufgenommen! O meine theure Frau                Conrectorin &#x2014; und dabei haschte er nach ihrer Hand &#x2014; wenn ich Ihnen nur eine schwache                Ahnung geben könnte von der erhabenen Freude, von dem heiligen Entzücken &#x2014; von den                unsagbaren Wonnen &#x2014; alle Worte unserer irdischen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0043] Gehobenes, Verjüngtes. Seine Stirne strahlte wie die eines Predigers, der eben eine weihevolle Predigt gehalten, seine Augen schimmerten in einem verklärten Glanze, und die weiße Weste, wie die neuen weißen Handschuhe vervollständigten den Ausdruck des Festtäglichen. Nun, wo kommen Sie denn heut her, Vetterchen? sagte die Frau Conrectorin. Ich dachte schon, Sie wären krank, oder hätten etwas übel genommen. — Und wie feierlich Sie kommen, ganz in Gala, als müßten Sie zur Audienz bei Hof! Ja, was hat es denn nur gegeben? Eigentlich sollte ich Ihnen recht böse sein, Vetterchen, nicht einmal eine Entschuldigung seit vierzehn Tagen. Vetter Isidor strich in halber Verlegenheit mit der Ellenbogenseite des Aermels den schwarzen Seidenhut glatt, und seine wasserblauen Augen umschleierten sich verschämt mit den großen Augenlidern und ihren dichten, hellblonden, fast weißen Wimpern. Es ist wahr, es mag den Anschein haben, hochverehrte Frau Conrectorin, sagte er beklommen wie unter einer unsichtbaren Centnerlast — aber ich sage Ihnen, ich habe Welten erlebt, Welten überwunden, Welten in mich aufgenommen! O meine theure Frau Conrectorin — und dabei haschte er nach ihrer Hand — wenn ich Ihnen nur eine schwache Ahnung geben könnte von der erhabenen Freude, von dem heiligen Entzücken — von den unsagbaren Wonnen — alle Worte unserer irdischen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/43
Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/43>, abgerufen am 24.11.2024.