Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Frau Conrectorin, Sie werden doch nicht -- -- sagte der Idealist mit niedergeschlagenem Auge.

Freilich werde ich nicht -- was denken Sie, Isidörchen, schämen Sie sich! sagte die Frau und gab dem Vetter einen kleinen, sanften Schlag auf den mageren Arm. -- Nein, um aber das Schlimmere zu verhüten, drang ich auf rasche Heirath, und so ist's auch gekommen, hier im Gartenhäuschen ward die Hochzeit gefeiert.

Wie -- sie ist verheirathet?! -- Das war dem Idealisten mit der weißen Weste zu viel. Er sprang auf, sein Hals reckte sich noch einmal so roth und noch einmal so lang aus der rothen Cravatte, während er die gelben Locken schüttelte und die weißen Handschuhe zusammenschlug.

Verheirathet! und ich hielt sie für ein schuldloses, blumenhaftes Wesen, für eine jungfräuliche Vestalin, für eine --

Nun, nun, suchen Sie nur nicht nach Ausdrücken, Vetterchen; ich glaube, Sie gehören auch zu dem Publikum der Galerie und der Dachstube, mitunter auch der Salons, wo man einen Roman nur so weit lies't, bis sie sich gekriegt haben, denn nachher hört angeblich alle Poesie auf. Was seid ihr für Menschen, Vetterchen!

Heirathen ist eine Infamie! schrie der Vetter Isidor mit Stentorstimme. Ich habe genug, Frau Conrectorin, leben Sie wohl!

Frau Conrectorin, Sie werden doch nicht — — sagte der Idealist mit niedergeschlagenem Auge.

Freilich werde ich nicht — was denken Sie, Isidörchen, schämen Sie sich! sagte die Frau und gab dem Vetter einen kleinen, sanften Schlag auf den mageren Arm. — Nein, um aber das Schlimmere zu verhüten, drang ich auf rasche Heirath, und so ist's auch gekommen, hier im Gartenhäuschen ward die Hochzeit gefeiert.

Wie — sie ist verheirathet?! — Das war dem Idealisten mit der weißen Weste zu viel. Er sprang auf, sein Hals reckte sich noch einmal so roth und noch einmal so lang aus der rothen Cravatte, während er die gelben Locken schüttelte und die weißen Handschuhe zusammenschlug.

Verheirathet! und ich hielt sie für ein schuldloses, blumenhaftes Wesen, für eine jungfräuliche Vestalin, für eine —

Nun, nun, suchen Sie nur nicht nach Ausdrücken, Vetterchen; ich glaube, Sie gehören auch zu dem Publikum der Galerie und der Dachstube, mitunter auch der Salons, wo man einen Roman nur so weit lies't, bis sie sich gekriegt haben, denn nachher hört angeblich alle Poesie auf. Was seid ihr für Menschen, Vetterchen!

Heirathen ist eine Infamie! schrie der Vetter Isidor mit Stentorstimme. Ich habe genug, Frau Conrectorin, leben Sie wohl!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <pb facs="#f0026"/>
        <p>Frau Conrectorin, Sie werden doch nicht &#x2014; &#x2014; sagte der Idealist mit niedergeschlagenem                Auge.</p><lb/>
        <p>Freilich werde ich nicht &#x2014; was denken Sie, Isidörchen, schämen Sie sich! sagte die                Frau und gab dem Vetter einen kleinen, sanften Schlag auf den mageren Arm. &#x2014; Nein, um                aber das Schlimmere zu verhüten, drang ich auf rasche Heirath, und so ist's auch                gekommen, hier im Gartenhäuschen ward die Hochzeit gefeiert.</p><lb/>
        <p>Wie &#x2014; sie ist verheirathet?! &#x2014; Das war dem Idealisten mit der weißen Weste zu viel.                Er sprang auf, sein Hals reckte sich noch einmal so roth und noch einmal so lang aus                der rothen Cravatte, während er die gelben Locken schüttelte und die weißen                Handschuhe zusammenschlug.</p><lb/>
        <p>Verheirathet! und ich hielt sie für ein schuldloses, blumenhaftes Wesen, für eine                jungfräuliche Vestalin, für eine &#x2014;</p><lb/>
        <p>Nun, nun, suchen Sie nur nicht nach Ausdrücken, Vetterchen; ich glaube, Sie gehören                auch zu dem Publikum der Galerie und der Dachstube, mitunter auch der Salons, wo man                einen Roman nur so weit lies't, bis sie sich gekriegt haben, denn nachher hört                angeblich alle Poesie auf. Was seid ihr für Menschen, Vetterchen!</p><lb/>
        <p>Heirathen ist eine Infamie! schrie der Vetter Isidor mit Stentorstimme. Ich habe                genug, Frau Conrectorin, leben Sie wohl!</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] Frau Conrectorin, Sie werden doch nicht — — sagte der Idealist mit niedergeschlagenem Auge. Freilich werde ich nicht — was denken Sie, Isidörchen, schämen Sie sich! sagte die Frau und gab dem Vetter einen kleinen, sanften Schlag auf den mageren Arm. — Nein, um aber das Schlimmere zu verhüten, drang ich auf rasche Heirath, und so ist's auch gekommen, hier im Gartenhäuschen ward die Hochzeit gefeiert. Wie — sie ist verheirathet?! — Das war dem Idealisten mit der weißen Weste zu viel. Er sprang auf, sein Hals reckte sich noch einmal so roth und noch einmal so lang aus der rothen Cravatte, während er die gelben Locken schüttelte und die weißen Handschuhe zusammenschlug. Verheirathet! und ich hielt sie für ein schuldloses, blumenhaftes Wesen, für eine jungfräuliche Vestalin, für eine — Nun, nun, suchen Sie nur nicht nach Ausdrücken, Vetterchen; ich glaube, Sie gehören auch zu dem Publikum der Galerie und der Dachstube, mitunter auch der Salons, wo man einen Roman nur so weit lies't, bis sie sich gekriegt haben, denn nachher hört angeblich alle Poesie auf. Was seid ihr für Menschen, Vetterchen! Heirathen ist eine Infamie! schrie der Vetter Isidor mit Stentorstimme. Ich habe genug, Frau Conrectorin, leben Sie wohl!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/26
Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/26>, abgerufen am 24.11.2024.