Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.klugen Leute ganz anders. Zuerst freilich brechen sie den Stab über Diejenigen, die ein bischen weiter sehen und fürchten, solch eine romantische Geschichte könnte ein schiefes Ende nehmen. Da wird von Leidenschaft gefaselt und ihrem göttlichen Recht und ähnlichem Unsinn; geht es aber nachher wirklich unglücklich aus und haben die Philister wirklich Recht gehabt, dann sind die Leute verdutzt, und kein Mensch spricht mehr von "Poesie". Dieselben Leute, die den Roman romantisch fanden und auf Seite des Liebespärchens standen, verläumden nachher, kichern schadenfroh und treten den Scandal breit, wenn der Ausgang wirklich traurig war. Ja wohl, das haben sie dann gleich vorausgesehen, gleich vorausgesagt, und sie sind die Klugen, Tugendhaften, allzeit Gerechten. Ja, ja, so ist's, und gerade Die da drüben ist ein lebendiges Beispiel dafür, wohin die Dinge heute kommen, wenn man einer sogenannten Leidenschaft freien Lauf läßt. Frau Conrectorin, Sie reden sehr sinnvoll und sehr logisch, allein ich verstehe wirklich kein Wort davon, rief der Vetter Isidor unmuthig, und wenn Sie mir kein Vertrauen schenken wollen, so werde ich anderwärts Erkundigungen einziehen. Ich empfehle mich ganz gehorsamst. Na, na, bleiben Sie nur, Vetterchen, bleiben Sie nur und nehmen Sie mir meinen Frieden nicht mit, sagte die Frau und führte den Vetter zu seinem Platz zurück. Ich sehe schon, ich muß Ihnen die ganze klugen Leute ganz anders. Zuerst freilich brechen sie den Stab über Diejenigen, die ein bischen weiter sehen und fürchten, solch eine romantische Geschichte könnte ein schiefes Ende nehmen. Da wird von Leidenschaft gefaselt und ihrem göttlichen Recht und ähnlichem Unsinn; geht es aber nachher wirklich unglücklich aus und haben die Philister wirklich Recht gehabt, dann sind die Leute verdutzt, und kein Mensch spricht mehr von „Poesie“. Dieselben Leute, die den Roman romantisch fanden und auf Seite des Liebespärchens standen, verläumden nachher, kichern schadenfroh und treten den Scandal breit, wenn der Ausgang wirklich traurig war. Ja wohl, das haben sie dann gleich vorausgesehen, gleich vorausgesagt, und sie sind die Klugen, Tugendhaften, allzeit Gerechten. Ja, ja, so ist's, und gerade Die da drüben ist ein lebendiges Beispiel dafür, wohin die Dinge heute kommen, wenn man einer sogenannten Leidenschaft freien Lauf läßt. Frau Conrectorin, Sie reden sehr sinnvoll und sehr logisch, allein ich verstehe wirklich kein Wort davon, rief der Vetter Isidor unmuthig, und wenn Sie mir kein Vertrauen schenken wollen, so werde ich anderwärts Erkundigungen einziehen. Ich empfehle mich ganz gehorsamst. Na, na, bleiben Sie nur, Vetterchen, bleiben Sie nur und nehmen Sie mir meinen Frieden nicht mit, sagte die Frau und führte den Vetter zu seinem Platz zurück. Ich sehe schon, ich muß Ihnen die ganze <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0017"/> klugen Leute ganz anders. Zuerst freilich brechen sie den Stab über Diejenigen, die ein bischen weiter sehen und fürchten, solch eine romantische Geschichte könnte ein schiefes Ende nehmen. Da wird von Leidenschaft gefaselt und ihrem göttlichen Recht und ähnlichem Unsinn; geht es aber nachher wirklich unglücklich aus und haben die Philister wirklich Recht gehabt, dann sind die Leute verdutzt, und kein Mensch spricht mehr von „Poesie“. Dieselben Leute, die den Roman romantisch fanden und auf Seite des Liebespärchens standen, verläumden nachher, kichern schadenfroh und treten den Scandal breit, wenn der Ausgang wirklich traurig war. Ja wohl, das haben sie dann gleich vorausgesehen, gleich vorausgesagt, und sie sind die Klugen, Tugendhaften, allzeit Gerechten. Ja, ja, so ist's, und gerade Die da drüben ist ein lebendiges Beispiel dafür, wohin die Dinge heute kommen, wenn man einer sogenannten Leidenschaft freien Lauf läßt.</p><lb/> <p>Frau Conrectorin, Sie reden sehr sinnvoll und sehr logisch, allein ich verstehe wirklich kein Wort davon, rief der Vetter Isidor unmuthig, und wenn Sie <choice><sic>mi</sic><corr>mir</corr></choice> kein Vertrauen schenken wollen, so werde ich anderwärts Erkundigungen einziehen. Ich empfehle mich ganz gehorsamst.</p><lb/> <p>Na, na, bleiben Sie nur, Vetterchen, bleiben Sie nur und nehmen Sie mir meinen Frieden nicht mit, sagte die Frau und führte den Vetter zu seinem Platz zurück. Ich sehe schon, ich muß Ihnen die ganze<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
klugen Leute ganz anders. Zuerst freilich brechen sie den Stab über Diejenigen, die ein bischen weiter sehen und fürchten, solch eine romantische Geschichte könnte ein schiefes Ende nehmen. Da wird von Leidenschaft gefaselt und ihrem göttlichen Recht und ähnlichem Unsinn; geht es aber nachher wirklich unglücklich aus und haben die Philister wirklich Recht gehabt, dann sind die Leute verdutzt, und kein Mensch spricht mehr von „Poesie“. Dieselben Leute, die den Roman romantisch fanden und auf Seite des Liebespärchens standen, verläumden nachher, kichern schadenfroh und treten den Scandal breit, wenn der Ausgang wirklich traurig war. Ja wohl, das haben sie dann gleich vorausgesehen, gleich vorausgesagt, und sie sind die Klugen, Tugendhaften, allzeit Gerechten. Ja, ja, so ist's, und gerade Die da drüben ist ein lebendiges Beispiel dafür, wohin die Dinge heute kommen, wenn man einer sogenannten Leidenschaft freien Lauf läßt.
Frau Conrectorin, Sie reden sehr sinnvoll und sehr logisch, allein ich verstehe wirklich kein Wort davon, rief der Vetter Isidor unmuthig, und wenn Sie mir kein Vertrauen schenken wollen, so werde ich anderwärts Erkundigungen einziehen. Ich empfehle mich ganz gehorsamst.
Na, na, bleiben Sie nur, Vetterchen, bleiben Sie nur und nehmen Sie mir meinen Frieden nicht mit, sagte die Frau und führte den Vetter zu seinem Platz zurück. Ich sehe schon, ich muß Ihnen die ganze
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