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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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den Thaten und Ruhm, die Poesie wurde lebendiger und ins Le-
ben eingreifender, so wie das Verdienst der Person des Dichters
eigenthümlicher, ehrenvoller war. In Städten, auf dem Lande
mag der Minnegesang wenig Eingang gefunden haben, die
ließen sich das Alte nicht so nehmen und wiederum verschmäh-
ten es die meisten Hofdichter, sich durch Ergötzung des unge-
bildeten Volks gleichsam zu erniedrigen. Diesem mußten die
Liebesklagen zu fein und gestaltlos vorkommen, wie hätte es
für allegorische Deutung, Gelehrsamkeit und Tiefe Sinn ge-
habt? -- Das war unstreitig der Ursprung und die höchste
Blüthe der Meisterkunst, als sie an den Höfen herrschte und
von ihren Gönnern belohnt und mitgetrieben fröhlich ausbrei-
tete 19).

Die zweite Epoche ist schon viel früher vorbereitet, erst
im vierzehnten Jahrhundert besonders hervorgegangen. Wo
die Kunst im Leben schwer gemacht wird, zieht sie sich in sich
selbst zurück, sobald sie noch Kraft hat zu dauern; gerade auf
den Meistersang mußte die Wirkung nachtheilig und einseitig
seyn. Die Fürsten ermüden der Minnelieder nach und nach,
das Volk kann sie nicht brauchen. Die Meister klagen über
den Verfall des höfischen Sangs, die Loblieder auf die Fürsten
und Herren gerathen immer häufiger, schmeichelnder und ge-

19) Daher der sehr übliche Ausdruck: "hofelicher Sang."
Truchseß (bei Adelung 1. 100.) von Walter, womit dieser
selbst zu vergl. Maneße 1. 112 und 131. Tanhuser 2. 69.
Marner 2. 179. Suonenburg 2. 213. conf. Titurel 1609.
Gottfried Er. 1843 will nicht von Siechheit und Arzenei spre-
chen, er vermeide alle Rede, die nicht "des Hovis si." Ru-
melant nennt ausdrücklich als Zweck der Kunst: "die Herren
froh zu machen" (CCCXXXI.) und Misner sich selbst einen
Fürstendiener, der auf Gnade singe. (DXC.) Das Wort:
höflich, nahm in der Folge die viel allgemeinere, und eben
aus ihm entsprungene Bedeutung von hübsch (hobisch, hin-
bisch), und so können auch späte Meister noch "sunst ander
höffliche Gedicht" anpreisen. (Arnims Codex, Num. 70.)

den Thaten und Ruhm, die Poeſie wurde lebendiger und ins Le-
ben eingreifender, ſo wie das Verdienſt der Perſon des Dichters
eigenthuͤmlicher, ehrenvoller war. In Staͤdten, auf dem Lande
mag der Minnegeſang wenig Eingang gefunden haben, die
ließen ſich das Alte nicht ſo nehmen und wiederum verſchmaͤh-
ten es die meiſten Hofdichter, ſich durch Ergoͤtzung des unge-
bildeten Volks gleichſam zu erniedrigen. Dieſem mußten die
Liebesklagen zu fein und geſtaltlos vorkommen, wie haͤtte es
fuͤr allegoriſche Deutung, Gelehrſamkeit und Tiefe Sinn ge-
habt? — Das war unſtreitig der Urſprung und die hoͤchſte
Bluͤthe der Meiſterkunſt, als ſie an den Hoͤfen herrſchte und
von ihren Goͤnnern belohnt und mitgetrieben froͤhlich ausbrei-
tete 19).

Die zweite Epoche iſt ſchon viel fruͤher vorbereitet, erſt
im vierzehnten Jahrhundert beſonders hervorgegangen. Wo
die Kunſt im Leben ſchwer gemacht wird, zieht ſie ſich in ſich
ſelbſt zuruͤck, ſobald ſie noch Kraft hat zu dauern; gerade auf
den Meiſterſang mußte die Wirkung nachtheilig und einſeitig
ſeyn. Die Fuͤrſten ermuͤden der Minnelieder nach und nach,
das Volk kann ſie nicht brauchen. Die Meiſter klagen uͤber
den Verfall des hoͤfiſchen Sangs, die Loblieder auf die Fuͤrſten
und Herren gerathen immer haͤufiger, ſchmeichelnder und ge-

19) Daher der ſehr uͤbliche Ausdruck: 〟hofelicher Sang.〟
Truchſeß (bei Adelung 1. 100.) von Walter, womit dieſer
ſelbſt zu vergl. Maneße 1. 112 und 131. Tanhuſer 2. 69.
Marner 2. 179. Suonenburg 2. 213. conf. Titurel 1609.
Gottfried Er. 1843 will nicht von Siechheit und Arzenei ſpre-
chen, er vermeide alle Rede, die nicht 〟des Hovis ſi.〟 Ru-
melant nennt ausdruͤcklich als Zweck der Kunſt: 〟die Herren
froh zu machen〟 (CCCXXXI.) und Miſner ſich ſelbſt einen
Fuͤrſtendiener, der auf Gnade ſinge. (DXC.) Das Wort:
hoͤflich, nahm in der Folge die viel allgemeinere, und eben
aus ihm entſprungene Bedeutung von huͤbſch (hobiſch, hin-
biſch), und ſo koͤnnen auch ſpaͤte Meiſter noch 〟ſunſt ander
hoͤffliche Gedicht〟 anpreiſen. (Arnims Codex, Num. 70.)
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[31/0041] den Thaten und Ruhm, die Poeſie wurde lebendiger und ins Le- ben eingreifender, ſo wie das Verdienſt der Perſon des Dichters eigenthuͤmlicher, ehrenvoller war. In Staͤdten, auf dem Lande mag der Minnegeſang wenig Eingang gefunden haben, die ließen ſich das Alte nicht ſo nehmen und wiederum verſchmaͤh- ten es die meiſten Hofdichter, ſich durch Ergoͤtzung des unge- bildeten Volks gleichſam zu erniedrigen. Dieſem mußten die Liebesklagen zu fein und geſtaltlos vorkommen, wie haͤtte es fuͤr allegoriſche Deutung, Gelehrſamkeit und Tiefe Sinn ge- habt? — Das war unſtreitig der Urſprung und die hoͤchſte Bluͤthe der Meiſterkunſt, als ſie an den Hoͤfen herrſchte und von ihren Goͤnnern belohnt und mitgetrieben froͤhlich ausbrei- tete 19). Die zweite Epoche iſt ſchon viel fruͤher vorbereitet, erſt im vierzehnten Jahrhundert beſonders hervorgegangen. Wo die Kunſt im Leben ſchwer gemacht wird, zieht ſie ſich in ſich ſelbſt zuruͤck, ſobald ſie noch Kraft hat zu dauern; gerade auf den Meiſterſang mußte die Wirkung nachtheilig und einſeitig ſeyn. Die Fuͤrſten ermuͤden der Minnelieder nach und nach, das Volk kann ſie nicht brauchen. Die Meiſter klagen uͤber den Verfall des hoͤfiſchen Sangs, die Loblieder auf die Fuͤrſten und Herren gerathen immer haͤufiger, ſchmeichelnder und ge- 19) Daher der ſehr uͤbliche Ausdruck: 〟hofelicher Sang.〟 Truchſeß (bei Adelung 1. 100.) von Walter, womit dieſer ſelbſt zu vergl. Maneße 1. 112 und 131. Tanhuſer 2. 69. Marner 2. 179. Suonenburg 2. 213. conf. Titurel 1609. Gottfried Er. 1843 will nicht von Siechheit und Arzenei ſpre- chen, er vermeide alle Rede, die nicht 〟des Hovis ſi.〟 Ru- melant nennt ausdruͤcklich als Zweck der Kunſt: 〟die Herren froh zu machen〟 (CCCXXXI.) und Miſner ſich ſelbſt einen Fuͤrſtendiener, der auf Gnade ſinge. (DXC.) Das Wort: hoͤflich, nahm in der Folge die viel allgemeinere, und eben aus ihm entſprungene Bedeutung von huͤbſch (hobiſch, hin- biſch), und ſo koͤnnen auch ſpaͤte Meiſter noch 〟ſunſt ander hoͤffliche Gedicht〟 anpreiſen. (Arnims Codex, Num. 70.)

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/41>, abgerufen am 03.12.2024.