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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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spiel zu geben, so zweifele ich gar nicht, daß sich im Ambr.
Metzgers Venerisblümlein, die er gedichtet, ehe er den Mei-
sterges. erlernt, steifere und verwickeltere Lieder befinden, als
die einfachen unter seinen Schulweisen seyn mögen, und Lie-
der, die dem Grundprincip des Meistergesangs durchaus nicht
widersprechen, ihn aber historisch betrachtet auch gar nicht
berühren und eben daher für keine Meisterlieder gehalten
werden dürfen. Wie nothwendig diesen die Regel der Drei-
heit zum Character gegeben werden muß, beweist der andere
dabei ausgeführte Umstand, daß sie selbst in der Mannich-
faltigkeit der Kunstspielerei, wo sie gewiß von keinem innern
Gefühl mehr gefordert wurde, unübertreten blieb, da sie z.
B. doch die Italiener bei unvergleichlich geringerem Reich-
thum an Tönen häufig aufopferten; woraus schon, wie auf
ganz andern Wegen auch noch, gefolgert werden kann, bei
letzteren blühe mehr kunstreicher Recitirgesang, wofür sie ein
so leises Gehör haben, bei uns seyen mehr die herzlichen,
wahren Lieder zu Hause.
S. 47. Die Gleichgültigkeit der Strophenzahl drückt auch der
Memminger Bericht S. 49. aus, ein Ton hat nach Belieben
Gesetze, so viel der Dichter will.
S. 57. Hier sind die späteren Beispiele vergessen worden. In
Frauenlobs blauem Ton reimt die zweite Silbe des ersten
Stollen mit der vorletzten Zeile des Abgesangs -- in seinem
neuen, die erste Silbe des ersten Stollen mit der letzten des
Abgesangs, und ferner die ersten Silben der ersten und
zweiten Zeile des Abgesangs mit der letzten Silbe der vor-
letzten Zeile des Abgesangs -- in Caspar Ottendörfers ho-
her Jünglingsweis die erste Silbe der ersten und letzte der
zweiten Zeile jedwedes Stollen -- in Walters langem Ton
(wie ihn die späteren Schulen singen) reimen die ersten Sil-
ben jedes Stollen zusammen. Auch gehört noch hierher Liet-
ſpiel zu geben, ſo zweifele ich gar nicht, daß ſich im Ambr.
Metzgers Venerisbluͤmlein, die er gedichtet, ehe er den Mei-
ſtergeſ. erlernt, ſteifere und verwickeltere Lieder befinden, als
die einfachen unter ſeinen Schulweiſen ſeyn moͤgen, und Lie-
der, die dem Grundprincip des Meiſtergeſangs durchaus nicht
widerſprechen, ihn aber hiſtoriſch betrachtet auch gar nicht
beruͤhren und eben daher fuͤr keine Meiſterlieder gehalten
werden duͤrfen. Wie nothwendig dieſen die Regel der Drei-
heit zum Character gegeben werden muß, beweiſt der andere
dabei ausgefuͤhrte Umſtand, daß ſie ſelbſt in der Mannich-
faltigkeit der Kunſtſpielerei, wo ſie gewiß von keinem innern
Gefuͤhl mehr gefordert wurde, unuͤbertreten blieb, da ſie z.
B. doch die Italiener bei unvergleichlich geringerem Reich-
thum an Toͤnen haͤufig aufopferten; woraus ſchon, wie auf
ganz andern Wegen auch noch, gefolgert werden kann, bei
letzteren bluͤhe mehr kunſtreicher Recitirgeſang, wofuͤr ſie ein
ſo leiſes Gehoͤr haben, bei uns ſeyen mehr die herzlichen,
wahren Lieder zu Hauſe.
S. 47. Die Gleichguͤltigkeit der Strophenzahl druͤckt auch der
Memminger Bericht S. 49. aus, ein Ton hat nach Belieben
Geſetze, ſo viel der Dichter will.
S. 57. Hier ſind die ſpaͤteren Beiſpiele vergeſſen worden. In
Frauenlobs blauem Ton reimt die zweite Silbe des erſten
Stollen mit der vorletzten Zeile des Abgeſangs — in ſeinem
neuen, die erſte Silbe des erſten Stollen mit der letzten des
Abgeſangs, und ferner die erſten Silben der erſten und
zweiten Zeile des Abgeſangs mit der letzten Silbe der vor-
letzten Zeile des Abgeſangs — in Caſpar Ottendoͤrfers ho-
her Juͤnglingsweis die erſte Silbe der erſten und letzte der
zweiten Zeile jedwedes Stollen — in Walters langem Ton
(wie ihn die ſpaͤteren Schulen ſingen) reimen die erſten Sil-
ben jedes Stollen zuſammen. Auch gehoͤrt noch hierher Liet-
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[177/0187] ſpiel zu geben, ſo zweifele ich gar nicht, daß ſich im Ambr. Metzgers Venerisbluͤmlein, die er gedichtet, ehe er den Mei- ſtergeſ. erlernt, ſteifere und verwickeltere Lieder befinden, als die einfachen unter ſeinen Schulweiſen ſeyn moͤgen, und Lie- der, die dem Grundprincip des Meiſtergeſangs durchaus nicht widerſprechen, ihn aber hiſtoriſch betrachtet auch gar nicht beruͤhren und eben daher fuͤr keine Meiſterlieder gehalten werden duͤrfen. Wie nothwendig dieſen die Regel der Drei- heit zum Character gegeben werden muß, beweiſt der andere dabei ausgefuͤhrte Umſtand, daß ſie ſelbſt in der Mannich- faltigkeit der Kunſtſpielerei, wo ſie gewiß von keinem innern Gefuͤhl mehr gefordert wurde, unuͤbertreten blieb, da ſie z. B. doch die Italiener bei unvergleichlich geringerem Reich- thum an Toͤnen haͤufig aufopferten; woraus ſchon, wie auf ganz andern Wegen auch noch, gefolgert werden kann, bei letzteren bluͤhe mehr kunſtreicher Recitirgeſang, wofuͤr ſie ein ſo leiſes Gehoͤr haben, bei uns ſeyen mehr die herzlichen, wahren Lieder zu Hauſe. S. 47. Die Gleichguͤltigkeit der Strophenzahl druͤckt auch der Memminger Bericht S. 49. aus, ein Ton hat nach Belieben Geſetze, ſo viel der Dichter will. S. 57. Hier ſind die ſpaͤteren Beiſpiele vergeſſen worden. In Frauenlobs blauem Ton reimt die zweite Silbe des erſten Stollen mit der vorletzten Zeile des Abgeſangs — in ſeinem neuen, die erſte Silbe des erſten Stollen mit der letzten des Abgeſangs, und ferner die erſten Silben der erſten und zweiten Zeile des Abgeſangs mit der letzten Silbe der vor- letzten Zeile des Abgeſangs — in Caſpar Ottendoͤrfers ho- her Juͤnglingsweis die erſte Silbe der erſten und letzte der zweiten Zeile jedwedes Stollen — in Walters langem Ton (wie ihn die ſpaͤteren Schulen ſingen) reimen die erſten Sil- ben jedes Stollen zuſammen. Auch gehoͤrt noch hierher Liet-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/187>, abgerufen am 22.11.2024.