Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.ein anderer aufstellen, daß Frauenlob oder seines Gleichen 204) Und auch in der neuen Poesie selbst nicht, weßwegen aller Haß und Streit darüber thöricht. Das neu und bewußt eingeführte kann nur durch den Gebrauch später geheiligt werden und wird sich schon von selbst auswerfen, wo es überkünstlich und unan- M
ein anderer aufſtellen, daß Frauenlob oder ſeines Gleichen 204) Und auch in der neuen Poeſie ſelbſt nicht, weßwegen aller Haß und Streit daruͤber thoͤricht. Das neu und bewußt eingefuͤhrte kann nur durch den Gebrauch ſpaͤter geheiligt werden und wird ſich ſchon von ſelbſt auswerfen, wo es uͤberkuͤnſtlich und unan- M
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0183" n="173"/> ein anderer aufſtellen, daß Frauenlob oder ſeines Gleichen<lb/> keine rechte Meiſterſaͤnger ſeyen, obgleich ſich manche Aehnlich-<lb/> keit zeige, und wenn man dem Beſtreiter dieſer Meinung ei-<lb/> nen Wortſtreit zumuthen wollte, ſo geſchaͤhe es gewiß nicht<lb/> mit beſſerem Fug, als mir gegenuͤber Herrn <hi rendition="#g">Docen</hi>. Nicht<lb/> ja ſoll einzelnes im fruͤheren aus dem ſpaͤteren erklaͤrt, ſondern<lb/> umgekehrt dargethan werden, wie das Ganze ſpaͤter aus dem<lb/> Fruͤheren gefolgt iſt, und das iſt es, was ich wahrſcheinlich<lb/> zu machen geſucht habe. Ein Paar direct und gerade ausſa-<lb/> gende Zeugniſſe, (welche uns fehlen, und gewiſſermaßen fehlen<lb/> muͤſſen) wuͤrden allerdings erſt der Unterſuchung einen Stempel<lb/> aufdruͤcken, ohne den gewiſſe Literatoren den Geiſt immer aus<lb/> der Flaſche entflogen waͤhnen, waͤhrend ich mich nicht habe<lb/> abhalten laſſen, aus Geruch und Geſchmack des Inhalts ſeine<lb/> Wahrheit zu pruͤfen, wohl bedenkend, daß man bei Verſen-<lb/> dung eines friſchen Trunks in alter Zeit nicht jedesmal auf<lb/> dergleichen critiſches Siegelwachs eingerichtet war. Es kann<lb/> Leute geben, welche meinen, ihre Freude an den Minneliedern<lb/> gehe nun verloren, dadurch daß man ſie hier fuͤr Meiſterſang<lb/> ausgebe. Anderen, die wirklich glauben, daß auf die ſchlech-<lb/> ten Meiſterlieder der Geſchichte nichts ankomme, daß die Min-<lb/> nelieder Poeſie, jene keine, beide ewig verſchieden ſeyen, ſie<lb/> haͤngen zuſammen oder nicht, moͤchte ich ohne die Falſchheit<lb/> ihrer Meinung zu beruͤhren, bloß erwiedern, daß bekanntlich<lb/> auch die ſchleſiſche Dichterſchule vom Meiſterſang abweiche und<lb/> hier wirklich nicht einmal Zuſammenhang ſtatt finde. Ueber-<lb/> haupt, wenn ſpaͤter, z. B. unter uns Zeitgenoſſen, ziemlich<lb/> wenig mehr an den Formen der Poeſie in einer Geſchichte der-<lb/> ſelben <note xml:id="seg2pn_22_1" next="#seg2pn_22_2" place="foot" n="204)">Und auch in der neuen Poeſie ſelbſt nicht, weßwegen aller Haß<lb/> und Streit daruͤber thoͤricht. Das neu und bewußt eingefuͤhrte<lb/> kann nur durch den Gebrauch ſpaͤter geheiligt werden und wird<lb/> ſich ſchon von ſelbſt auswerfen, wo es uͤberkuͤnſtlich und unan-</note> liegt, da jeder Dichter aus eigener Macht aufzu-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">M</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [173/0183]
ein anderer aufſtellen, daß Frauenlob oder ſeines Gleichen
keine rechte Meiſterſaͤnger ſeyen, obgleich ſich manche Aehnlich-
keit zeige, und wenn man dem Beſtreiter dieſer Meinung ei-
nen Wortſtreit zumuthen wollte, ſo geſchaͤhe es gewiß nicht
mit beſſerem Fug, als mir gegenuͤber Herrn Docen. Nicht
ja ſoll einzelnes im fruͤheren aus dem ſpaͤteren erklaͤrt, ſondern
umgekehrt dargethan werden, wie das Ganze ſpaͤter aus dem
Fruͤheren gefolgt iſt, und das iſt es, was ich wahrſcheinlich
zu machen geſucht habe. Ein Paar direct und gerade ausſa-
gende Zeugniſſe, (welche uns fehlen, und gewiſſermaßen fehlen
muͤſſen) wuͤrden allerdings erſt der Unterſuchung einen Stempel
aufdruͤcken, ohne den gewiſſe Literatoren den Geiſt immer aus
der Flaſche entflogen waͤhnen, waͤhrend ich mich nicht habe
abhalten laſſen, aus Geruch und Geſchmack des Inhalts ſeine
Wahrheit zu pruͤfen, wohl bedenkend, daß man bei Verſen-
dung eines friſchen Trunks in alter Zeit nicht jedesmal auf
dergleichen critiſches Siegelwachs eingerichtet war. Es kann
Leute geben, welche meinen, ihre Freude an den Minneliedern
gehe nun verloren, dadurch daß man ſie hier fuͤr Meiſterſang
ausgebe. Anderen, die wirklich glauben, daß auf die ſchlech-
ten Meiſterlieder der Geſchichte nichts ankomme, daß die Min-
nelieder Poeſie, jene keine, beide ewig verſchieden ſeyen, ſie
haͤngen zuſammen oder nicht, moͤchte ich ohne die Falſchheit
ihrer Meinung zu beruͤhren, bloß erwiedern, daß bekanntlich
auch die ſchleſiſche Dichterſchule vom Meiſterſang abweiche und
hier wirklich nicht einmal Zuſammenhang ſtatt finde. Ueber-
haupt, wenn ſpaͤter, z. B. unter uns Zeitgenoſſen, ziemlich
wenig mehr an den Formen der Poeſie in einer Geſchichte der-
ſelben 204) liegt, da jeder Dichter aus eigener Macht aufzu-
204) Und auch in der neuen Poeſie ſelbſt nicht, weßwegen aller Haß
und Streit daruͤber thoͤricht. Das neu und bewußt eingefuͤhrte
kann nur durch den Gebrauch ſpaͤter geheiligt werden und wird
ſich ſchon von ſelbſt auswerfen, wo es uͤberkuͤnſtlich und unan-
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