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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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zu bleiben in ihrem Verhältniß zu den Fürsten. Um ein Sealde
zu seyn, war außer der förmlichen Verskunst auch eine Kennt-
niß der Mythologie und poetischen Sprache erforderlich, welche
wir uns indessen nicht so schwer, sondern als allgemeiner ver-
breitet, vorstellen müssen.

7) Ich glaube, daß die Alliteration ursprünalich ihren Sitz
in der ganzen Poesie des deutschen Sprachstammes gehabt
hat 195). Zur Zeit des Meistergesangs aber müssen in Deutsch-
land selbst bereits alle Spuren verloren gewesen seyn, weil
sonst die Dichter mit Vergnügen ein neues Mittel zu neuer
Künstlichkeit gebraucht haben würden. Das Alte war verges-
sen, die äußerliche Verbindung mit dem Norden gering, den
süddeutschen Dichtern selbst die Mundart zu weit abgelegen,
daher auch der oben (S 54 ff.) abgehandelte anomale Fall am
wenigsten aus einer directen Nachahmung nordischer Weise
verstanden werden darf. Rumelant (CCCXXXIII.) erwähnt
eines Singers Harald, der aus Spott die bösen Herren ge-
lobt und die guten gescholten habe, so daß man gleich gewußt,
was von einem Lob in Haralds Ton zu halten sey, nämlich
das Gegentheil. Wenn hiermit dentlich auf einen Scalden
gezielt wird, obgleich ich keinen dieses Namens aufgezeichnet

Von Volkssängern versteht sich die Absicht auf Gaben, und das
Schmeicheln noch viel mehr. S. eine bei Oberlin zum W.
Lotter angezeigte Stelle.
195) Obschon sie nur in Scandinavien recht künstlich ausgebildet
worden zu seyn scheint, so wie die frühere Macht des Christen-
thums unter uns die Runen vertilgt hat. In Sprichwörtern
und Redensarten sind noch eine Menge Alliterationen in Deutsch-
land übrig. Aber mehr zufällig als gesucht, oder doch aus
einem andern Trieb gesucht, find das bekannte: "Ren ram rint
rehte rate enruoche" (Man. 2. 225.) und andere namhafte Bei-
spiele. Der Misner bringt das ganze Alphabet in die Anfangs-
buchstaben dreier Zeilen (DXXV.)

zu bleiben in ihrem Verhaͤltniß zu den Fuͤrſten. Um ein Sealde
zu ſeyn, war außer der foͤrmlichen Verskunſt auch eine Kennt-
niß der Mythologie und poetiſchen Sprache erforderlich, welche
wir uns indeſſen nicht ſo ſchwer, ſondern als allgemeiner ver-
breitet, vorſtellen muͤſſen.

7) Ich glaube, daß die Alliteration urſpruͤnalich ihren Sitz
in der ganzen Poeſie des deutſchen Sprachſtammes gehabt
hat 195). Zur Zeit des Meiſtergeſangs aber muͤſſen in Deutſch-
land ſelbſt bereits alle Spuren verloren geweſen ſeyn, weil
ſonſt die Dichter mit Vergnuͤgen ein neues Mittel zu neuer
Kuͤnſtlichkeit gebraucht haben wuͤrden. Das Alte war vergeſ-
ſen, die aͤußerliche Verbindung mit dem Norden gering, den
ſuͤddeutſchen Dichtern ſelbſt die Mundart zu weit abgelegen,
daher auch der oben (S 54 ff.) abgehandelte anomale Fall am
wenigſten aus einer directen Nachahmung nordiſcher Weiſe
verſtanden werden darf. Rumelant (CCCXXXIII.) erwaͤhnt
eines Singers Harald, der aus Spott die boͤſen Herren ge-
lobt und die guten geſcholten habe, ſo daß man gleich gewußt,
was von einem Lob in Haralds Ton zu halten ſey, naͤmlich
das Gegentheil. Wenn hiermit dentlich auf einen Scalden
gezielt wird, obgleich ich keinen dieſes Namens aufgezeichnet

Von Volksſaͤngern verſteht ſich die Abſicht auf Gaben, und das
Schmeicheln noch viel mehr. S. eine bei Oberlin zum W.
Lotter angezeigte Stelle.
195) Obſchon ſie nur in Scandinavien recht kuͤnſtlich ausgebildet
worden zu ſeyn ſcheint, ſo wie die fruͤhere Macht des Chriſten-
thums unter uns die Runen vertilgt hat. In Sprichwoͤrtern
und Redensarten ſind noch eine Menge Alliterationen in Deutſch-
land uͤbrig. Aber mehr zufaͤllig als geſucht, oder doch aus
einem andern Trieb geſucht, find das bekannte: „Ren ram rint
rehte rate enruoche“ (Man. 2. 225.) und andere namhafte Bei-
ſpiele. Der Miſner bringt das ganze Alphabet in die Anfangs-
buchſtaben dreier Zeilen (DXXV.)
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[166/0176] zu bleiben in ihrem Verhaͤltniß zu den Fuͤrſten. Um ein Sealde zu ſeyn, war außer der foͤrmlichen Verskunſt auch eine Kennt- niß der Mythologie und poetiſchen Sprache erforderlich, welche wir uns indeſſen nicht ſo ſchwer, ſondern als allgemeiner ver- breitet, vorſtellen muͤſſen. 7) Ich glaube, daß die Alliteration urſpruͤnalich ihren Sitz in der ganzen Poeſie des deutſchen Sprachſtammes gehabt hat 195). Zur Zeit des Meiſtergeſangs aber muͤſſen in Deutſch- land ſelbſt bereits alle Spuren verloren geweſen ſeyn, weil ſonſt die Dichter mit Vergnuͤgen ein neues Mittel zu neuer Kuͤnſtlichkeit gebraucht haben wuͤrden. Das Alte war vergeſ- ſen, die aͤußerliche Verbindung mit dem Norden gering, den ſuͤddeutſchen Dichtern ſelbſt die Mundart zu weit abgelegen, daher auch der oben (S 54 ff.) abgehandelte anomale Fall am wenigſten aus einer directen Nachahmung nordiſcher Weiſe verſtanden werden darf. Rumelant (CCCXXXIII.) erwaͤhnt eines Singers Harald, der aus Spott die boͤſen Herren ge- lobt und die guten geſcholten habe, ſo daß man gleich gewußt, was von einem Lob in Haralds Ton zu halten ſey, naͤmlich das Gegentheil. Wenn hiermit dentlich auf einen Scalden gezielt wird, obgleich ich keinen dieſes Namens aufgezeichnet 194) 195) Obſchon ſie nur in Scandinavien recht kuͤnſtlich ausgebildet worden zu ſeyn ſcheint, ſo wie die fruͤhere Macht des Chriſten- thums unter uns die Runen vertilgt hat. In Sprichwoͤrtern und Redensarten ſind noch eine Menge Alliterationen in Deutſch- land uͤbrig. Aber mehr zufaͤllig als geſucht, oder doch aus einem andern Trieb geſucht, find das bekannte: „Ren ram rint rehte rate enruoche“ (Man. 2. 225.) und andere namhafte Bei- ſpiele. Der Miſner bringt das ganze Alphabet in die Anfangs- buchſtaben dreier Zeilen (DXXV.) 194) Von Volksſaͤngern verſteht ſich die Abſicht auf Gaben, und das Schmeicheln noch viel mehr. S. eine bei Oberlin zum W. Lotter angezeigte Stelle.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/176>, abgerufen am 24.11.2024.