Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.Ich benutze den hier vergönnten Raum, meine Ge- Ich habe einigemal den Unterschied zwischen Natur Ich benutze den hier vergoͤnnten Raum, meine Ge- Ich habe einigemal den Unterſchied zwiſchen Natur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="preface" n="2"> <pb facs="#f0015" n="5"/> <p>Ich benutze den hier vergoͤnnten Raum, meine Ge-<lb/> danken uͤber einige ſchwere Puncte zu bekennen, viel-<lb/> leicht daß dadurch einige Seiten meines Aufſatzes ver-<lb/> vollſtaͤndigt werden. Man mag darein ſtimmen oder<lb/> nicht, ich bin mir bewußt, nichts mehr zu meiden, als<lb/> ein todtes ſyſtematiſches Feſtſtehen in der Geſchichte der<lb/> Poeſie, wo eine Idee, nachdem ſie lange ſcheint unter-<lb/> gegangen zu ſeyn, ſich noch ploͤtzlich einmal regt und ein<lb/> lang geſchwiegener Ton leiſe nachhallt, wo alles in ein-<lb/> ander greift und verwandt iſt, wie in aller Natur ſelbſt,<lb/> die zwei edle Metalle, Gold und Silber, in <hi rendition="#g">einer</hi> Erde<lb/> wachſen laͤßt.</p><lb/> <p>Ich habe einigemal den Unterſchied zwiſchen Natur<lb/> und Kunſtpoeſie beſtimmt vorausgeſetzt. Die Verſchie-<lb/> denheit deſſen, was unter dem ganzen Volk lebt, von<lb/> allem dem, was durch das Nachſinnen der bildenden<lb/> Menſchen an deſſen Stelle eingeſetzt werden ſoll, leuchtet<lb/> uͤber die Geſchichte der Poeſie, und dieſe Erkenntniß al-<lb/> lein verſtattet es uns, auf ihre innerſten Adern zu ſchauen,<lb/> bis wo ſie ſich flechtend in einander verlaufen. Es iſt,<lb/> als ziehe ſich eine große Einfachheit zuruͤck und verſchließe<lb/> ſich in dem Maße, worin der Menſch nach ſeinem goͤtt-<lb/> lichen Treiben ſie aus der eigenen Kraft zu offenbaren<lb/> ſtrebt. Da nun die Poeſie nichts anders iſt, als das<lb/> Leben ſelbſt, gefaßt in Reinheit und gehalten im Zauber<lb/> der Sprache, (welche in ſo fern mit Recht eine himmli-<lb/> ſche genannt und der Proſa entgegengeſtellt werden darf,)<lb/> ſo theilt ſie ſich in die Herrſchaft der Natur uͤber alle<lb/> Herzen, wo ihr noch jedes als einer Verwandtinn ins<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [5/0015]
Ich benutze den hier vergoͤnnten Raum, meine Ge-
danken uͤber einige ſchwere Puncte zu bekennen, viel-
leicht daß dadurch einige Seiten meines Aufſatzes ver-
vollſtaͤndigt werden. Man mag darein ſtimmen oder
nicht, ich bin mir bewußt, nichts mehr zu meiden, als
ein todtes ſyſtematiſches Feſtſtehen in der Geſchichte der
Poeſie, wo eine Idee, nachdem ſie lange ſcheint unter-
gegangen zu ſeyn, ſich noch ploͤtzlich einmal regt und ein
lang geſchwiegener Ton leiſe nachhallt, wo alles in ein-
ander greift und verwandt iſt, wie in aller Natur ſelbſt,
die zwei edle Metalle, Gold und Silber, in einer Erde
wachſen laͤßt.
Ich habe einigemal den Unterſchied zwiſchen Natur
und Kunſtpoeſie beſtimmt vorausgeſetzt. Die Verſchie-
denheit deſſen, was unter dem ganzen Volk lebt, von
allem dem, was durch das Nachſinnen der bildenden
Menſchen an deſſen Stelle eingeſetzt werden ſoll, leuchtet
uͤber die Geſchichte der Poeſie, und dieſe Erkenntniß al-
lein verſtattet es uns, auf ihre innerſten Adern zu ſchauen,
bis wo ſie ſich flechtend in einander verlaufen. Es iſt,
als ziehe ſich eine große Einfachheit zuruͤck und verſchließe
ſich in dem Maße, worin der Menſch nach ſeinem goͤtt-
lichen Treiben ſie aus der eigenen Kraft zu offenbaren
ſtrebt. Da nun die Poeſie nichts anders iſt, als das
Leben ſelbſt, gefaßt in Reinheit und gehalten im Zauber
der Sprache, (welche in ſo fern mit Recht eine himmli-
ſche genannt und der Proſa entgegengeſtellt werden darf,)
ſo theilt ſie ſich in die Herrſchaft der Natur uͤber alle
Herzen, wo ihr noch jedes als einer Verwandtinn ins
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