Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.3. Nach und nach, besonders in der Letzte, zeigte sich doch Meine Meinung kann hier nicht zweifelhaft seyn. Da ich 126) Nur ein Beispiel. Das bei Morhof 313. gebruckte Soldaten- lied ist mir ausgemacht ein Meistersang, und zwar einer der herrlichsten. 127) Man könnte mir etwa die Frage thun: ob ich einen im 14ten
Jahrh. (nach der Limb. Chronik) dichtenden Gerlach von L. oder Reinhart von Westerburg für einen Meistersinger halte oder nicht? Es ist zu erwarten, daß die höhern Stände, als an- fängliche Begünstiger und eifrige Mitpfleger des Minnesangs auch noch später eigene Fälle von Dichtern aufzuweisen haben. Das sicherste Merkzeichen aber, ob diese Lieder noch aus dem alten Minnesang herstammen und Meistersänge sind, oder ob sie dem Ton der Volkspoesie (welche den Verliebten wohl eine Zuflucht darbieten müssen) angehören, ist ihre Form selbst. Danach sind so manche Lieder aus dem 15ten Jahrh., nament- 3. Nach und nach, beſonders in der Letzte, zeigte ſich doch Meine Meinung kann hier nicht zweifelhaft ſeyn. Da ich 126) Nur ein Beiſpiel. Das bei Morhof 313. gebruckte Soldaten- lied iſt mir ausgemacht ein Meiſterſang, und zwar einer der herrlichſten. 127) Man koͤnnte mir etwa die Frage thun: ob ich einen im 14ten
Jahrh. (nach der Limb. Chronik) dichtenden Gerlach von L. oder Reinhart von Weſterburg fuͤr einen Meiſterſinger halte oder nicht? Es iſt zu erwarten, daß die hoͤhern Staͤnde, als an- faͤngliche Beguͤnſtiger und eifrige Mitpfleger des Minneſangs auch noch ſpaͤter eigene Faͤlle von Dichtern aufzuweiſen haben. Das ſicherſte Merkzeichen aber, ob dieſe Lieder noch aus dem alten Minneſang herſtammen und Meiſterſaͤnge ſind, oder ob ſie dem Ton der Volkspoeſie (welche den Verliebten wohl eine Zuflucht darbieten muͤſſen) angehoͤren, iſt ihre Form ſelbſt. Danach ſind ſo manche Lieder aus dem 15ten Jahrh., nament- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0144" n="134"/> <p>3. Nach und nach, beſonders in der Letzte, zeigte ſich doch<lb/> wieder eine Annaͤherung beider. Die Volksſaͤnger ſuchten ſich<lb/> manche einfache Weiſe des Meiſtergeſangs anzueignen, und<lb/> dieſer fiel allmaͤlig ſo in den buͤrgerlichen, gemeinen Stand<lb/> herab, daß es ſchon aus dem Grund, in Ermangelung ande-<lb/> rer Kennzeichen, zweifelhaft ſeyn kann, ob ein befragtes Ge-<lb/> dicht von einem (um dann ſo zu ſagen) wirklichen Meiſter, oder<lb/> von einem Baͤnkelſaͤnger in Meiſterton gedichtet worden.</p><lb/> <p>Meine Meinung kann hier nicht zweifelhaft ſeyn. Da ich<lb/> den Meiſtergeſang weſentlich in das Formelle ſetze, ſo halte<lb/> ich ein ſolches Lied auch dann fuͤr ein meiſterliches <note place="foot" n="126)">Nur ein Beiſpiel. Das bei Morhof 313. gebruckte Soldaten-<lb/> lied iſt mir ausgemacht ein Meiſterſang, und zwar einer der<lb/> herrlichſten.</note>, wenn<lb/> es nicht aus der (damals geſchloſſenen) Geſellſchaft hervorge-<lb/> gangen, und auch dann, wenn der Volksdichter dem Ton einen<lb/> andern, gelaͤuſigeren Namen gegeben, wie haͤufig geſchehen.<lb/> Ja ſelbſt, wenn er die Weiſe etwas geaͤndert und nachlaͤſſig<lb/> gehandhabt hat, genug daß das Meiſterſaͤngeriſche vorherrſche.<lb/> Ein Meiſterſinger waͤre freilich dieſer Dichter zu der Zeit nicht<lb/> mehr, wo die Geſellſchaften buͤrgerlich beſtimmt und angeſtellt,<lb/> denn auch z. B. Valentin Vogt war kein eigentlicher, weil<lb/> ſich an ſeinem Aufenthalt keine Schule befunden <note xml:id="seg2pn_12_1" next="#seg2pn_12_2" place="foot" n="127)">Man koͤnnte mir etwa die Frage thun: ob ich einen im 14ten<lb/> Jahrh. (nach der Limb. Chronik) dichtenden Gerlach von L.<lb/> oder Reinhart von Weſterburg fuͤr einen Meiſterſinger halte oder<lb/> nicht? Es iſt zu erwarten, daß die hoͤhern Staͤnde, als an-<lb/> faͤngliche Beguͤnſtiger und eifrige Mitpfleger des Minneſangs<lb/> auch noch ſpaͤter eigene Faͤlle von Dichtern aufzuweiſen haben.<lb/> Das ſicherſte Merkzeichen aber, ob dieſe Lieder noch aus dem<lb/> alten Minneſang herſtammen und Meiſterſaͤnge ſind, oder ob<lb/> ſie dem Ton der Volkspoeſie (welche den Verliebten wohl eine<lb/> Zuflucht darbieten muͤſſen) angehoͤren, iſt ihre Form ſelbſt.<lb/> Danach ſind ſo manche Lieder aus dem 15ten Jahrh., nament-</note>.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [134/0144]
3. Nach und nach, beſonders in der Letzte, zeigte ſich doch
wieder eine Annaͤherung beider. Die Volksſaͤnger ſuchten ſich
manche einfache Weiſe des Meiſtergeſangs anzueignen, und
dieſer fiel allmaͤlig ſo in den buͤrgerlichen, gemeinen Stand
herab, daß es ſchon aus dem Grund, in Ermangelung ande-
rer Kennzeichen, zweifelhaft ſeyn kann, ob ein befragtes Ge-
dicht von einem (um dann ſo zu ſagen) wirklichen Meiſter, oder
von einem Baͤnkelſaͤnger in Meiſterton gedichtet worden.
Meine Meinung kann hier nicht zweifelhaft ſeyn. Da ich
den Meiſtergeſang weſentlich in das Formelle ſetze, ſo halte
ich ein ſolches Lied auch dann fuͤr ein meiſterliches 126), wenn
es nicht aus der (damals geſchloſſenen) Geſellſchaft hervorge-
gangen, und auch dann, wenn der Volksdichter dem Ton einen
andern, gelaͤuſigeren Namen gegeben, wie haͤufig geſchehen.
Ja ſelbſt, wenn er die Weiſe etwas geaͤndert und nachlaͤſſig
gehandhabt hat, genug daß das Meiſterſaͤngeriſche vorherrſche.
Ein Meiſterſinger waͤre freilich dieſer Dichter zu der Zeit nicht
mehr, wo die Geſellſchaften buͤrgerlich beſtimmt und angeſtellt,
denn auch z. B. Valentin Vogt war kein eigentlicher, weil
ſich an ſeinem Aufenthalt keine Schule befunden 127).
126) Nur ein Beiſpiel. Das bei Morhof 313. gebruckte Soldaten-
lied iſt mir ausgemacht ein Meiſterſang, und zwar einer der
herrlichſten.
127) Man koͤnnte mir etwa die Frage thun: ob ich einen im 14ten
Jahrh. (nach der Limb. Chronik) dichtenden Gerlach von L.
oder Reinhart von Weſterburg fuͤr einen Meiſterſinger halte oder
nicht? Es iſt zu erwarten, daß die hoͤhern Staͤnde, als an-
faͤngliche Beguͤnſtiger und eifrige Mitpfleger des Minneſangs
auch noch ſpaͤter eigene Faͤlle von Dichtern aufzuweiſen haben.
Das ſicherſte Merkzeichen aber, ob dieſe Lieder noch aus dem
alten Minneſang herſtammen und Meiſterſaͤnge ſind, oder ob
ſie dem Ton der Volkspoeſie (welche den Verliebten wohl eine
Zuflucht darbieten muͤſſen) angehoͤren, iſt ihre Form ſelbſt.
Danach ſind ſo manche Lieder aus dem 15ten Jahrh., nament-
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