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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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ben und Baiern 112) stammen, theils tiefer herunter aus
Oestreich, Steiermark und Schweiz, theils liefen Aeste des
Gesanges den Rhein hinauf, in den Elsaß, nach Franken bis
nach Thüringen und Meißen. Bei diesem unverkennbaren
Strich, den die Poesie gehalten, kommen wenig einzelne und
spätere nicht in Betracht, als wie Elias von der Leine, Reinolt
von Lippe, Wizlau, (bei dem auch in der Sprache deutliche
Vorneigung des niedern Dialects), zudem sie derselben Regel
folgend wohl sogar dasselbe Idiom beizubehalten strebten.
Minder noch stehen einige Fürsten entgegen, der von Bran-
denburg, Brabant, als welche gerne, wie häufig, fremde
Feinheit und Bildung vaterländischer Gewohnheit vorsetzten.
Den ältesten Meister werfe ich mir selber ein, in dessen Lie-
dern sich kenntliche Spuren niederdeutscher, niederrheinischer,
(Feldkirchen in der Grafschaft Wied am Rhein?) Mundart er-
halten haben (wie auch bei dem spätern eben gedachten Johann
von Brabant.) Allein wissen wir über Veldecks Geburts- und
Lebensumstände etwas gewisses, scheint er sich nicht selbst nach
Thüringen gewendet und in oberdeutschem Dialect geschrieben
zu haben? Denn warum hat sich nicht ein einziges plattdeut-
sches Ms. z. B. von seiner Eneidt erhalten? Und wo sind
Sammlungen plattdeutscher Minnelieder aufzuweisen? Was
uns die Möserschen Fragmente liefern, stellt sich nur zu deut-
lich als Uebertragungen aus dem schwäbischen Idiom dar, aus
dem manches unplattdeutsche beibehalten werden mußte 113).

Nun muß es ordentlich auffallen, wie der spätere Mei-
stergesang auf derselben Linie des Bodens geblieben.


112) Mysner DLXXV: der sang unrecht, er sey ein Schwabe oder
ein Baier", d. h. er sey gleich einer der besten Dichter.
113) Man lese das in der Allg. deutschen Bibliothek zur Probe abge-
druckte, im Ms dem Nifen beigelegte, in der Maneß. Samml.
dem Reinmar (1. 71.) gehörende Lied. Andrerseits bedienen
sich einige gewiß Oberdeutsche einzelner mehr plattdeutscher
Wörter. Z. B. blide, im Titurel, bei Lichtenstein etc.etc.

ben und Baiern 112) ſtammen, theils tiefer herunter aus
Oeſtreich, Steiermark und Schweiz, theils liefen Aeſte des
Geſanges den Rhein hinauf, in den Elſaß, nach Franken bis
nach Thuͤringen und Meißen. Bei dieſem unverkennbaren
Strich, den die Poeſie gehalten, kommen wenig einzelne und
ſpaͤtere nicht in Betracht, als wie Elias von der Leine, Reinolt
von Lippe, Wizlau, (bei dem auch in der Sprache deutliche
Vorneigung des niedern Dialects), zudem ſie derſelben Regel
folgend wohl ſogar dasſelbe Idiom beizubehalten ſtrebten.
Minder noch ſtehen einige Fuͤrſten entgegen, der von Bran-
denburg, Brabant, als welche gerne, wie haͤufig, fremde
Feinheit und Bildung vaterlaͤndiſcher Gewohnheit vorſetzten.
Den aͤlteſten Meiſter werfe ich mir ſelber ein, in deſſen Lie-
dern ſich kenntliche Spuren niederdeutſcher, niederrheiniſcher,
(Feldkirchen in der Grafſchaft Wied am Rhein?) Mundart er-
halten haben (wie auch bei dem ſpaͤtern eben gedachten Johann
von Brabant.) Allein wiſſen wir uͤber Veldecks Geburts- und
Lebensumſtaͤnde etwas gewiſſes, ſcheint er ſich nicht ſelbſt nach
Thuͤringen gewendet und in oberdeutſchem Dialect geſchrieben
zu haben? Denn warum hat ſich nicht ein einziges plattdeut-
ſches Ms. z. B. von ſeiner Eneidt erhalten? Und wo ſind
Sammlungen plattdeutſcher Minnelieder aufzuweiſen? Was
uns die Moͤſerſchen Fragmente liefern, ſtellt ſich nur zu deut-
lich als Uebertragungen aus dem ſchwaͤbiſchen Idiom dar, aus
dem manches unplattdeutſche beibehalten werden mußte 113).

Nun muß es ordentlich auffallen, wie der ſpaͤtere Mei-
ſtergeſang auf derſelben Linie des Bodens geblieben.


112) Myſner DLXXV: der ſang unrecht, er ſey ein Schwabe oder
ein Baier“, d. h. er ſey gleich einer der beſten Dichter.
113) Man leſe das in der Allg. deutſchen Bibliothek zur Probe abge-
druckte, im Ms dem Nifen beigelegte, in der Maneß. Samml.
dem Reinmar (1. 71.) gehoͤrende Lied. Andrerſeits bedienen
ſich einige gewiß Oberdeutſche einzelner mehr plattdeutſcher
Woͤrter. Z. B. blide, im Titurel, bei Lichtenſtein ꝛc.ꝛc.
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[128/0138] ben und Baiern 112) ſtammen, theils tiefer herunter aus Oeſtreich, Steiermark und Schweiz, theils liefen Aeſte des Geſanges den Rhein hinauf, in den Elſaß, nach Franken bis nach Thuͤringen und Meißen. Bei dieſem unverkennbaren Strich, den die Poeſie gehalten, kommen wenig einzelne und ſpaͤtere nicht in Betracht, als wie Elias von der Leine, Reinolt von Lippe, Wizlau, (bei dem auch in der Sprache deutliche Vorneigung des niedern Dialects), zudem ſie derſelben Regel folgend wohl ſogar dasſelbe Idiom beizubehalten ſtrebten. Minder noch ſtehen einige Fuͤrſten entgegen, der von Bran- denburg, Brabant, als welche gerne, wie haͤufig, fremde Feinheit und Bildung vaterlaͤndiſcher Gewohnheit vorſetzten. Den aͤlteſten Meiſter werfe ich mir ſelber ein, in deſſen Lie- dern ſich kenntliche Spuren niederdeutſcher, niederrheiniſcher, (Feldkirchen in der Grafſchaft Wied am Rhein?) Mundart er- halten haben (wie auch bei dem ſpaͤtern eben gedachten Johann von Brabant.) Allein wiſſen wir uͤber Veldecks Geburts- und Lebensumſtaͤnde etwas gewiſſes, ſcheint er ſich nicht ſelbſt nach Thuͤringen gewendet und in oberdeutſchem Dialect geſchrieben zu haben? Denn warum hat ſich nicht ein einziges plattdeut- ſches Ms. z. B. von ſeiner Eneidt erhalten? Und wo ſind Sammlungen plattdeutſcher Minnelieder aufzuweiſen? Was uns die Moͤſerſchen Fragmente liefern, ſtellt ſich nur zu deut- lich als Uebertragungen aus dem ſchwaͤbiſchen Idiom dar, aus dem manches unplattdeutſche beibehalten werden mußte 113). Nun muß es ordentlich auffallen, wie der ſpaͤtere Mei- ſtergeſang auf derſelben Linie des Bodens geblieben. 112) Myſner DLXXV: der ſang unrecht, er ſey ein Schwabe oder ein Baier“, d. h. er ſey gleich einer der beſten Dichter. 113) Man leſe das in der Allg. deutſchen Bibliothek zur Probe abge- druckte, im Ms dem Nifen beigelegte, in der Maneß. Samml. dem Reinmar (1. 71.) gehoͤrende Lied. Andrerſeits bedienen ſich einige gewiß Oberdeutſche einzelner mehr plattdeutſcher Woͤrter. Z. B. blide, im Titurel, bei Lichtenſtein ꝛc.ꝛc.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/138>, abgerufen am 18.12.2024.