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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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mehr alle vor Augen, (wir würden sonst nicht so wenige H. S.
davon besitzen) und beinahe bloß an den Namen erhaltener
Töne mußte sich einige historische Nachricht fortbreiten, darum
darf es uns nicht befremden, wenn sich alles in dem Munde
einfältiger Handwerker ungenau und uncritisch ausnimmt 105).
Bei vielen hat endlich die Sage von den zwölf alten Meistern
ihrer eigenen Stadt alles andere verdrängt und doch wieder in
sich gefaßt 106). In der Hinsicht sind die Nachrichten eines
Meistersängers zu Ende des 16ten Jahrhunderts Valentin
Vogts bedeutend, der eine Menge alter Namen beibringt,
und diese mitten unter die 12 alten Meister mischt, ja vorher
noch vier besondere alte Meister (berühmte alte Merker?) an-
führt. Und viele dieser Namen 106 b), die nicht in den Tönen
späterer Schulen mehr vorkommen, weisen uns in aller Ent-
stellung auf unsere alten Meister des 13ten Jahrh. hin, oder
entdecken uns auch gänzlich unbekannte. Vermuthlich ist seine
Quelle ein nun leider verlorener Codex gewesen, aus dem späteren
Goldast hat er nicht geschöpft, das versteht sich von selbst.


105) Der alte fürstliche Glanz des Meisterges. ist nie ganz vergessen:
vorzeiten man gesang groß acht
fürsten und hern haben das getriben
haben vil tön und lieder gemacht
herlichen solds habens darum empfangen
mancher singer ist bei fürsten blieben.
(Cod. rudiger.)
106) Wir wissen von zwölf alten Nürnberger und Augsburger Mei-
stern; über die letztern s. ein Programm Beischlags und
Tenzel 1697. p. 424. Es scheint, daß die zwölf Meister in
der letzten Zeit ständig gewählt wurden und nächst den Merkern
eine gewisse Autorität in der ganzen Gemeine hatten. Metzger
vergleicht sie mit den zwölf Aposteln, die drei Merker mit den
drei Erzengeln, Gabriel, Michael und Raphael. Da wo bei
letztern die Vierzahl vorkommt, mag man die vier Evangelisten
im Sinn gehabt haben.
106 b) Hat nicht die Unsicherheit über Namen und Verfasser schon äl-
tere Beispiele? schreibt nicht unsere beste, die maneß. H. S. Lie-
der, die sie doppelt gibt, verschiedenen Sängern zu? noch viel
mehr, wenn wir sie mit der jenaischen und andern vergleichen.

mehr alle vor Augen, (wir wuͤrden ſonſt nicht ſo wenige H. S.
davon beſitzen) und beinahe bloß an den Namen erhaltener
Toͤne mußte ſich einige hiſtoriſche Nachricht fortbreiten, darum
darf es uns nicht befremden, wenn ſich alles in dem Munde
einfaͤltiger Handwerker ungenau und uncritiſch ausnimmt 105).
Bei vielen hat endlich die Sage von den zwoͤlf alten Meiſtern
ihrer eigenen Stadt alles andere verdraͤngt und doch wieder in
ſich gefaßt 106). In der Hinſicht ſind die Nachrichten eines
Meiſterſaͤngers zu Ende des 16ten Jahrhunderts Valentin
Vogts bedeutend, der eine Menge alter Namen beibringt,
und dieſe mitten unter die 12 alten Meiſter miſcht, ja vorher
noch vier beſondere alte Meiſter (beruͤhmte alte Merker?) an-
fuͤhrt. Und viele dieſer Namen 106 b), die nicht in den Toͤnen
ſpaͤterer Schulen mehr vorkommen, weiſen uns in aller Ent-
ſtellung auf unſere alten Meiſter des 13ten Jahrh. hin, oder
entdecken uns auch gaͤnzlich unbekannte. Vermuthlich iſt ſeine
Quelle ein nun leider verlorener Codex geweſen, aus dem ſpaͤteren
Goldaſt hat er nicht geſchoͤpft, das verſteht ſich von ſelbſt.


105) Der alte fuͤrſtliche Glanz des Meiſtergeſ. iſt nie ganz vergeſſen:
vorzeiten man geſang groß acht
fuͤrſten und hern haben das getriben
haben vil toͤn und lieder gemacht
herlichen ſolds habens darum empfangen
mancher ſinger iſt bei fuͤrſten blieben.
(Cod. rudiger.)
106) Wir wiſſen von zwoͤlf alten Nuͤrnberger und Augsburger Mei-
ſtern; uͤber die letztern ſ. ein Programm Beiſchlags und
Tenzel 1697. p. 424. Es ſcheint, daß die zwoͤlf Meiſter in
der letzten Zeit ſtaͤndig gewaͤhlt wurden und naͤchſt den Merkern
eine gewiſſe Autoritaͤt in der ganzen Gemeine hatten. Metzger
vergleicht ſie mit den zwoͤlf Apoſteln, die drei Merker mit den
drei Erzengeln, Gabriel, Michael und Raphael. Da wo bei
letztern die Vierzahl vorkommt, mag man die vier Evangeliſten
im Sinn gehabt haben.
106 b) Hat nicht die Unſicherheit uͤber Namen und Verfaſſer ſchon aͤl-
tere Beiſpiele? ſchreibt nicht unſere beſte, die maneß. H. S. Lie-
der, die ſie doppelt gibt, verſchiedenen Saͤngern zu? noch viel
mehr, wenn wir ſie mit der jenaiſchen und andern vergleichen.
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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/130>, abgerufen am 28.04.2024.