Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.bliebe allerdings zu verwundern, daß die Dichter des 13ten Die Anachronismen in unserer Sage hat schon Spangen- 102) Gebürtiger Unger scheint er nicht gewesen zu seyn, namhafte deut- sche Familien führten seinen Namen. An die Namen berühmter Dichter hat sich von jeher die Fabel gesetzt, z. B. an Virgilius im Mittelalter, den walischen Merlin, den englischen Thomas, unter den Deutschen auch noch an Brennenberg und Tanhäuser. 103) Cracau erst 1400 gestiftet. Wolfhart Sp. spricht hier von
Oxonien und Löwen! bliebe allerdings zu verwundern, daß die Dichter des 13ten Die Anachroniſmen in unſerer Sage hat ſchon Spangen- 102) Gebuͤrtiger Unger ſcheint er nicht geweſen zu ſeyn, namhafte deut- ſche Familien fuͤhrten ſeinen Namen. An die Namen beruͤhmter Dichter hat ſich von jeher die Fabel geſetzt, z. B. an Virgilius im Mittelalter, den waliſchen Merlin, den engliſchen Thomas, unter den Deutſchen auch noch an Brennenberg und Tanhaͤuſer. 103) Cracau erſt 1400 geſtiftet. Wolfhart Sp. ſpricht hier von
Oxonien und Loͤwen! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0127" n="117"/> bliebe allerdings zu verwundern, daß die Dichter des 13ten<lb/> Jahrhunderts (der Chroniſten zu geſchweigen) ſeiner ganz ver-<lb/> geſſen geworden. Indeſſen frage ich: wuͤrden nicht manche mo-<lb/> derne Critiker die Sage z. B. des Wartburger Kriegs gera-<lb/> dehin verdammt haben, wenn wir ſie bloß aus ſpaͤtern Chro-<lb/> niken geſchoͤpft und nicht gluͤcklicher Weiſe die Streitlieder ſelbſt<lb/> gefunden? Denn weder die gleichzeitigen Dichter, noch die<lb/> des 14ten Jahrhunderts gedenken dieſes Vorfalls, deuten nicht<lb/> einmal darauf hin, Wolframs Ausfaͤlle gegen Klinſor im Par-<lb/> ciſal und Titurel wuͤrden in ihrem mythiſchen Licht unverſtan-<lb/> den bleiben. Der einzige Herman Damen (<hi rendition="#aq">XI.</hi>) hat eine leiſe<lb/> Anſpielung, ohne die, verbuͤrge ich nicht, daß man nicht Klin-<lb/> ſors <note place="foot" n="102)">Gebuͤrtiger Unger ſcheint er nicht geweſen zu ſeyn, namhafte deut-<lb/> ſche Familien fuͤhrten ſeinen Namen. An die Namen beruͤhmter<lb/> Dichter hat ſich von jeher die Fabel geſetzt, z. B. an Virgilius im<lb/> Mittelalter, den waliſchen Merlin, den engliſchen Thomas, unter<lb/> den Deutſchen auch noch an Brennenberg und Tanhaͤuſer.</note> ganze perſoͤnliche Exiſtenz in Zweifel genommen haͤtte.<lb/> Es iſt alſo auch moͤglich, daß uͤber jenen aͤlteren Vorfall aͤl-<lb/> tere jetzt verlorene Lieder und Quellen da geweſen ſind.</p><lb/> <p>Die Anachroniſmen in unſerer Sage hat ſchon Spangen-<lb/> berg geruͤgt, und gewieſen, daß ein Klinſor und Frauenlob<lb/> nicht zugleich leben koͤnnen, allein er ſelbſt nimmt keinen An-<lb/> ſtand, den erſteren auf einer Univerſitaͤt ſtudiren zu laſſen, die<lb/> ſogar fuͤr den letzteren zu neu waͤre <note place="foot" n="103)">Cracau erſt 1400 geſtiftet. Wolfhart Sp. ſpricht hier von<lb/> Oxonien und Loͤwen!</note>. Ich weiß gar nicht,<lb/> woher ihm dieſe Notiz kommt, noch weniger, woher die ungleich<lb/> wichtigere, zweideutigere: daß die zwoͤlf erſten Dichter aus Mag-<lb/> deburg, Osnabruͤck, Helmſtaͤdt, Wirzburg und Mainz her gewe-<lb/> ſen waͤren. Ein Umſtand, deſſen Erklaͤrung vor allem zu wuͤn-<lb/> ſchen iſt, denn in dem Hauptpunct leitet den Spangenberg<lb/> ein rechtes Gefuͤhl, daß er mit den Namen nicht die Sache<lb/> ſebſt verwirft. Es iſt merkwuͤrdig, daß die zwoͤlf Meiſter gar<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0127]
bliebe allerdings zu verwundern, daß die Dichter des 13ten
Jahrhunderts (der Chroniſten zu geſchweigen) ſeiner ganz ver-
geſſen geworden. Indeſſen frage ich: wuͤrden nicht manche mo-
derne Critiker die Sage z. B. des Wartburger Kriegs gera-
dehin verdammt haben, wenn wir ſie bloß aus ſpaͤtern Chro-
niken geſchoͤpft und nicht gluͤcklicher Weiſe die Streitlieder ſelbſt
gefunden? Denn weder die gleichzeitigen Dichter, noch die
des 14ten Jahrhunderts gedenken dieſes Vorfalls, deuten nicht
einmal darauf hin, Wolframs Ausfaͤlle gegen Klinſor im Par-
ciſal und Titurel wuͤrden in ihrem mythiſchen Licht unverſtan-
den bleiben. Der einzige Herman Damen (XI.) hat eine leiſe
Anſpielung, ohne die, verbuͤrge ich nicht, daß man nicht Klin-
ſors 102) ganze perſoͤnliche Exiſtenz in Zweifel genommen haͤtte.
Es iſt alſo auch moͤglich, daß uͤber jenen aͤlteren Vorfall aͤl-
tere jetzt verlorene Lieder und Quellen da geweſen ſind.
Die Anachroniſmen in unſerer Sage hat ſchon Spangen-
berg geruͤgt, und gewieſen, daß ein Klinſor und Frauenlob
nicht zugleich leben koͤnnen, allein er ſelbſt nimmt keinen An-
ſtand, den erſteren auf einer Univerſitaͤt ſtudiren zu laſſen, die
ſogar fuͤr den letzteren zu neu waͤre 103). Ich weiß gar nicht,
woher ihm dieſe Notiz kommt, noch weniger, woher die ungleich
wichtigere, zweideutigere: daß die zwoͤlf erſten Dichter aus Mag-
deburg, Osnabruͤck, Helmſtaͤdt, Wirzburg und Mainz her gewe-
ſen waͤren. Ein Umſtand, deſſen Erklaͤrung vor allem zu wuͤn-
ſchen iſt, denn in dem Hauptpunct leitet den Spangenberg
ein rechtes Gefuͤhl, daß er mit den Namen nicht die Sache
ſebſt verwirft. Es iſt merkwuͤrdig, daß die zwoͤlf Meiſter gar
102) Gebuͤrtiger Unger ſcheint er nicht geweſen zu ſeyn, namhafte deut-
ſche Familien fuͤhrten ſeinen Namen. An die Namen beruͤhmter
Dichter hat ſich von jeher die Fabel geſetzt, z. B. an Virgilius im
Mittelalter, den waliſchen Merlin, den engliſchen Thomas, unter
den Deutſchen auch noch an Brennenberg und Tanhaͤuſer.
103) Cracau erſt 1400 geſtiftet. Wolfhart Sp. ſpricht hier von
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