Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

einen ganzen Wald zusammen tragen? die Arbeit rückte nicht fort. Doch das Mädchen verließ ihn nicht in der Noth: es brachte ihm Mittags seine Speise, und als er gegessen hatte, legte er seinen Kopf in den Schoos und schlief ein. Bei seinem Erwachen brannte der ganze Holzstoß in einer ungeheuern Flamme, die ihre Zungen bis in den Himmel ausstreckte. 'Hör mich an,' sprach das Mädchen, 'wenn die Hexe kommt, wird sie dir allerlei auftragen: thust du ohne Furcht was sie verlangt, so kann sie dir nichts anhaben: fürchtest du dich aber, so packt dich das Feuer und verzehrt dich. Zuletzt, wenn du alles gethan hast, so packe sie mit beiden Händen, und wirf sie mitten in die Glut.' Das Mädchen gieng fort, und die Alte kam herangeschlichen, 'hu! mich friert,' sagte sie, 'aber das ist ein Feuer, das brennt, das wärmt mir die alten Knochen, da wird mir wohl. Aber dort liegt ein Klotz, der will nicht brennen, den hol mir heraus. Hast du das noch gethan, so bist du frei, und kannst ziehen wohin du willst. Nur munter hinein.' Der Trommler besann sich nicht lange, sprang mitten in die Flammen, aber sie thaten ihm nichts, nicht einmal die Haare konnten sie ihm versengen. Er trug den Klotz heraus und legte ihn hin. Kaum aber hatte das Holz die Erde berührt, so verwandelte es sich, und das schöne Mädchen stand vor ihm, das ihm in der Noth geholfen hatte: und an den seidenen goldglänzenden Kleidern, die es anhatte, merkte er wohl daß es die Königstochter war. Aber die Alte lachte giftig und sprach 'du meinst du hättest sie, aber du hast sie noch nicht.' Eben wollte sie auf das Mädchen losgehen, und es fortziehen, da packte er die Alte mit beiden Händen, hob sie in die Höhe, und warf sie den Flammen in den Rachen, die über ihr zusammenschlugen, als freuten sie sich daß sie eine Hexe verzehren sollten.

Die Königstochter blickte darauf den Trommler an, und als sie sah daß es ein schöner Jüngling war und bedachte daß er sein

einen ganzen Wald zusammen tragen? die Arbeit rückte nicht fort. Doch das Mädchen verließ ihn nicht in der Noth: es brachte ihm Mittags seine Speise, und als er gegessen hatte, legte er seinen Kopf in den Schoos und schlief ein. Bei seinem Erwachen brannte der ganze Holzstoß in einer ungeheuern Flamme, die ihre Zungen bis in den Himmel ausstreckte. ‘Hör mich an,’ sprach das Mädchen, ‘wenn die Hexe kommt, wird sie dir allerlei auftragen: thust du ohne Furcht was sie verlangt, so kann sie dir nichts anhaben: fürchtest du dich aber, so packt dich das Feuer und verzehrt dich. Zuletzt, wenn du alles gethan hast, so packe sie mit beiden Händen, und wirf sie mitten in die Glut.’ Das Mädchen gieng fort, und die Alte kam herangeschlichen, ‘hu! mich friert,’ sagte sie, ‘aber das ist ein Feuer, das brennt, das wärmt mir die alten Knochen, da wird mir wohl. Aber dort liegt ein Klotz, der will nicht brennen, den hol mir heraus. Hast du das noch gethan, so bist du frei, und kannst ziehen wohin du willst. Nur munter hinein.’ Der Trommler besann sich nicht lange, sprang mitten in die Flammen, aber sie thaten ihm nichts, nicht einmal die Haare konnten sie ihm versengen. Er trug den Klotz heraus und legte ihn hin. Kaum aber hatte das Holz die Erde berührt, so verwandelte es sich, und das schöne Mädchen stand vor ihm, das ihm in der Noth geholfen hatte: und an den seidenen goldglänzenden Kleidern, die es anhatte, merkte er wohl daß es die Königstochter war. Aber die Alte lachte giftig und sprach ‘du meinst du hättest sie, aber du hast sie noch nicht.’ Eben wollte sie auf das Mädchen losgehen, und es fortziehen, da packte er die Alte mit beiden Händen, hob sie in die Höhe, und warf sie den Flammen in den Rachen, die über ihr zusammenschlugen, als freuten sie sich daß sie eine Hexe verzehren sollten.

Die Königstochter blickte darauf den Trommler an, und als sie sah daß es ein schöner Jüngling war und bedachte daß er sein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0445" n="433"/>
einen ganzen Wald zusammen tragen? die Arbeit rückte nicht fort. Doch das Mädchen verließ ihn nicht in der Noth: es brachte ihm Mittags seine Speise, und als er gegessen hatte, legte er seinen Kopf in den Schoos und schlief ein. Bei seinem Erwachen brannte der ganze Holzstoß in einer ungeheuern Flamme, die ihre Zungen bis in den Himmel ausstreckte. &#x2018;Hör mich an,&#x2019; sprach das Mädchen, &#x2018;wenn die Hexe kommt, wird sie dir allerlei auftragen: thust du ohne Furcht was sie verlangt, so kann sie dir nichts anhaben: fürchtest du dich aber, so packt dich das Feuer und verzehrt dich. Zuletzt, wenn du alles gethan hast, so packe sie mit beiden Händen, und wirf sie mitten in die Glut.&#x2019; Das Mädchen gieng fort, und die Alte kam herangeschlichen, &#x2018;hu! mich friert,&#x2019; sagte sie, &#x2018;aber das ist ein Feuer, das brennt, das wärmt mir die alten Knochen, da wird mir wohl. Aber dort liegt ein Klotz, der will nicht brennen, den hol mir heraus. Hast du das noch gethan, so bist du frei, und kannst ziehen wohin du willst. Nur munter hinein.&#x2019; Der Trommler besann sich nicht lange, sprang mitten in die Flammen, aber sie thaten ihm nichts, nicht einmal die Haare konnten sie ihm versengen. Er trug den Klotz heraus und legte ihn hin. Kaum aber hatte das Holz die Erde berührt, so verwandelte es sich, und das schöne Mädchen stand vor ihm, das ihm in der Noth geholfen hatte: und an den seidenen goldglänzenden Kleidern, die es anhatte, merkte er wohl daß es die Königstochter war. Aber die Alte lachte giftig und sprach &#x2018;du meinst du hättest sie, aber du hast sie noch nicht.&#x2019; Eben wollte sie auf das Mädchen losgehen, und es fortziehen, da packte er die Alte mit beiden Händen, hob sie in die Höhe, und warf sie den Flammen in den Rachen, die über ihr zusammenschlugen, als freuten sie sich daß sie eine Hexe verzehren sollten.</p><lb/>
        <p>Die Königstochter blickte darauf den Trommler an, und als sie sah daß es ein schöner Jüngling war und bedachte daß er sein
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[433/0445] einen ganzen Wald zusammen tragen? die Arbeit rückte nicht fort. Doch das Mädchen verließ ihn nicht in der Noth: es brachte ihm Mittags seine Speise, und als er gegessen hatte, legte er seinen Kopf in den Schoos und schlief ein. Bei seinem Erwachen brannte der ganze Holzstoß in einer ungeheuern Flamme, die ihre Zungen bis in den Himmel ausstreckte. ‘Hör mich an,’ sprach das Mädchen, ‘wenn die Hexe kommt, wird sie dir allerlei auftragen: thust du ohne Furcht was sie verlangt, so kann sie dir nichts anhaben: fürchtest du dich aber, so packt dich das Feuer und verzehrt dich. Zuletzt, wenn du alles gethan hast, so packe sie mit beiden Händen, und wirf sie mitten in die Glut.’ Das Mädchen gieng fort, und die Alte kam herangeschlichen, ‘hu! mich friert,’ sagte sie, ‘aber das ist ein Feuer, das brennt, das wärmt mir die alten Knochen, da wird mir wohl. Aber dort liegt ein Klotz, der will nicht brennen, den hol mir heraus. Hast du das noch gethan, so bist du frei, und kannst ziehen wohin du willst. Nur munter hinein.’ Der Trommler besann sich nicht lange, sprang mitten in die Flammen, aber sie thaten ihm nichts, nicht einmal die Haare konnten sie ihm versengen. Er trug den Klotz heraus und legte ihn hin. Kaum aber hatte das Holz die Erde berührt, so verwandelte es sich, und das schöne Mädchen stand vor ihm, das ihm in der Noth geholfen hatte: und an den seidenen goldglänzenden Kleidern, die es anhatte, merkte er wohl daß es die Königstochter war. Aber die Alte lachte giftig und sprach ‘du meinst du hättest sie, aber du hast sie noch nicht.’ Eben wollte sie auf das Mädchen losgehen, und es fortziehen, da packte er die Alte mit beiden Händen, hob sie in die Höhe, und warf sie den Flammen in den Rachen, die über ihr zusammenschlugen, als freuten sie sich daß sie eine Hexe verzehren sollten. Die Königstochter blickte darauf den Trommler an, und als sie sah daß es ein schöner Jüngling war und bedachte daß er sein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books (Harvard University): Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-08T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/445
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/445>, abgerufen am 02.05.2024.