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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

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Hausthüre klopfte. Adam blickte durch eine Spalte und sah daß es der Herr war. Ehrerbietig öffnete er und der himmlische Vater trat ein. Da standen die schönen Kinder in der Reihe, neigten sich, boten ihm die Hände dar und knieten nieder. Der Herr aber fieng an sie zu segnen, legte auf den ersten seine Hände und sprach 'du sollst ein gewaltiger König werden:' ebenso zu dem zweiten 'du ein Fürst:' zu dem dritten 'du ein Graf:' zu dem vierten 'du ein Ritter:' zu dem fünften 'du ein Edelmann:' zu dem sechsten 'du ein Bürger:' zum siebenten 'du ein Kaufmann:' zu dem achten 'du ein gelehrter Mann.' Er ertheilte ihnen also allen seinen reichen Segen. Als Eva sah daß der Herr so mild und gnädig war, dachte sie 'ich will meine ungestalten Kinder herbeiholen, vielleicht daß er ihnen auch seinen Segen gibt.' Sie lief also und holte sie aus dem Heu, Stroh, Ofen, und wo sie sonst hin versteckt waren, hervor. Da kam die ganze grobe, schmutzige, grindige und rußige Schaar. Der Herr lächelte, betrachtete sie alle und sprach 'auch diese will ich segnen.' Er legte auf den ersten die Hände und sprach zu ihm 'du sollst werden ein Bauer,' zu dem zweiten 'du ein Fischer,' zu dem dritten 'du ein Schmied,' zu dem vierten 'du ein Lohgerber,' zu dem fünften 'du ein Weber,' zu dem sechsten 'du ein Schuhmacher,' zu dem siebenten 'du ein Schneider,' zu dem achten 'du ein Töpfer,' zu dem neunten 'du ein Karrenführer,' zu dem zehnten 'du ein Schiffer,' zu dem elften 'du ein Bote,' zu dem zwölften 'du ein Hausknecht dein Lebelang.'

Als Eva das alles mit angehört hatte, sagte sie 'Herr, wie theilst du deinen Segen so ungleich! Es sind doch alle meine Kinder, die ich geboren habe: deine Gnade sollte über alle gleich ergehen.' Gott aber erwiederte 'Eva, das verstehst du nicht. Mir gebührt und ist Noth daß ich die ganze Welt mit deinen Kindern versehe: wenn sie alle Fürsten und Herrn wären, wer sollte Korn

Hausthüre klopfte. Adam blickte durch eine Spalte und sah daß es der Herr war. Ehrerbietig öffnete er und der himmlische Vater trat ein. Da standen die schönen Kinder in der Reihe, neigten sich, boten ihm die Hände dar und knieten nieder. Der Herr aber fieng an sie zu segnen, legte auf den ersten seine Hände und sprach ‘du sollst ein gewaltiger König werden:’ ebenso zu dem zweiten ‘du ein Fürst:’ zu dem dritten ‘du ein Graf:’ zu dem vierten ‘du ein Ritter:’ zu dem fünften ‘du ein Edelmann:’ zu dem sechsten ‘du ein Bürger:’ zum siebenten ‘du ein Kaufmann:’ zu dem achten ‘du ein gelehrter Mann.’ Er ertheilte ihnen also allen seinen reichen Segen. Als Eva sah daß der Herr so mild und gnädig war, dachte sie ‘ich will meine ungestalten Kinder herbeiholen, vielleicht daß er ihnen auch seinen Segen gibt.’ Sie lief also und holte sie aus dem Heu, Stroh, Ofen, und wo sie sonst hin versteckt waren, hervor. Da kam die ganze grobe, schmutzige, grindige und rußige Schaar. Der Herr lächelte, betrachtete sie alle und sprach ‘auch diese will ich segnen.’ Er legte auf den ersten die Hände und sprach zu ihm ‘du sollst werden ein Bauer,’ zu dem zweiten ‘du ein Fischer,’ zu dem dritten ‘du ein Schmied,’ zu dem vierten ‘du ein Lohgerber,’ zu dem fünften ‘du ein Weber,’ zu dem sechsten ‘du ein Schuhmacher,’ zu dem siebenten ‘du ein Schneider,’ zu dem achten ‘du ein Töpfer,’ zu dem neunten ‘du ein Karrenführer,’ zu dem zehnten ‘du ein Schiffer,’ zu dem elften ‘du ein Bote,’ zu dem zwölften ‘du ein Hausknecht dein Lebelang.’

Als Eva das alles mit angehört hatte, sagte sie ‘Herr, wie theilst du deinen Segen so ungleich! Es sind doch alle meine Kinder, die ich geboren habe: deine Gnade sollte über alle gleich ergehen.’ Gott aber erwiederte ‘Eva, das verstehst du nicht. Mir gebührt und ist Noth daß ich die ganze Welt mit deinen Kindern versehe: wenn sie alle Fürsten und Herrn wären, wer sollte Korn

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[375/0387] Hausthüre klopfte. Adam blickte durch eine Spalte und sah daß es der Herr war. Ehrerbietig öffnete er und der himmlische Vater trat ein. Da standen die schönen Kinder in der Reihe, neigten sich, boten ihm die Hände dar und knieten nieder. Der Herr aber fieng an sie zu segnen, legte auf den ersten seine Hände und sprach ‘du sollst ein gewaltiger König werden:’ ebenso zu dem zweiten ‘du ein Fürst:’ zu dem dritten ‘du ein Graf:’ zu dem vierten ‘du ein Ritter:’ zu dem fünften ‘du ein Edelmann:’ zu dem sechsten ‘du ein Bürger:’ zum siebenten ‘du ein Kaufmann:’ zu dem achten ‘du ein gelehrter Mann.’ Er ertheilte ihnen also allen seinen reichen Segen. Als Eva sah daß der Herr so mild und gnädig war, dachte sie ‘ich will meine ungestalten Kinder herbeiholen, vielleicht daß er ihnen auch seinen Segen gibt.’ Sie lief also und holte sie aus dem Heu, Stroh, Ofen, und wo sie sonst hin versteckt waren, hervor. Da kam die ganze grobe, schmutzige, grindige und rußige Schaar. Der Herr lächelte, betrachtete sie alle und sprach ‘auch diese will ich segnen.’ Er legte auf den ersten die Hände und sprach zu ihm ‘du sollst werden ein Bauer,’ zu dem zweiten ‘du ein Fischer,’ zu dem dritten ‘du ein Schmied,’ zu dem vierten ‘du ein Lohgerber,’ zu dem fünften ‘du ein Weber,’ zu dem sechsten ‘du ein Schuhmacher,’ zu dem siebenten ‘du ein Schneider,’ zu dem achten ‘du ein Töpfer,’ zu dem neunten ‘du ein Karrenführer,’ zu dem zehnten ‘du ein Schiffer,’ zu dem elften ‘du ein Bote,’ zu dem zwölften ‘du ein Hausknecht dein Lebelang.’ Als Eva das alles mit angehört hatte, sagte sie ‘Herr, wie theilst du deinen Segen so ungleich! Es sind doch alle meine Kinder, die ich geboren habe: deine Gnade sollte über alle gleich ergehen.’ Gott aber erwiederte ‘Eva, das verstehst du nicht. Mir gebührt und ist Noth daß ich die ganze Welt mit deinen Kindern versehe: wenn sie alle Fürsten und Herrn wären, wer sollte Korn

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/387>, abgerufen am 25.11.2024.