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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

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170.
Lieb und Leid theilen.

Es war einmal ein Schneider, der war ein zänkischer Mensch, und seine Frau, die gut, fleißig und fromm war, konnte es ihm niemals recht machen. Was sie that, er war unzufrieden, brummte, schalt, raufte und schlug sie. Als die Obrigkeit endlich davon hörte, ließ sie ihn vorfordern und ins Gefängnis setzen, damit er sich bessern sollte. Er saß eine Zeitlang bei Wasser und Brot, dann wurde er wieder freigelassen, mußte aber geloben seine Frau nicht mehr zu schlagen, sondern friedlich mit ihr zu leben, Lieb und Leid zu theilen, wie sichs unter Eheleuten gebührt. Eine Zeitlang gieng es gut, dann aber gerieth er wieder in seine alte Weise, war mürrisch und zänkisch. Und weil er sie nicht schlagen durfte, wollte er sie bei den Haaren packen und raufen. Die Frau entwischte ihm und sprang auf den Hof hinaus, er lief aber mit der Elle und Scheere hinter ihr her, jagte sie herum und warf ihr die Elle und Scheere, und was ihm sonst zur Hand war, nach. Wenn er sie traf, so lachte er, und wenn er sie fehlte, so tobte und wetterte er. Er trieb es so lange bis die Nachbaren der Frau zu Hilfe kamen. Der Schneider ward wieder vor die Obrigkeit gerufen und an sein Versprechen erinnert. 'Liebe Herrn,' antwortete er, 'ich habe gehalten was ich gelobt habe, ich habe sie nicht geschlagen, sondern Lieb und Leid mit ihr getheilt.' 'Wie kann das sein,' sprach der Richter, 'da sie abermals so große Klage über Euch führt?' 'Jch habe sie nicht geschlagen,

170.
Lieb und Leid theilen.

Es war einmal ein Schneider, der war ein zänkischer Mensch, und seine Frau, die gut, fleißig und fromm war, konnte es ihm niemals recht machen. Was sie that, er war unzufrieden, brummte, schalt, raufte und schlug sie. Als die Obrigkeit endlich davon hörte, ließ sie ihn vorfordern und ins Gefängnis setzen, damit er sich bessern sollte. Er saß eine Zeitlang bei Wasser und Brot, dann wurde er wieder freigelassen, mußte aber geloben seine Frau nicht mehr zu schlagen, sondern friedlich mit ihr zu leben, Lieb und Leid zu theilen, wie sichs unter Eheleuten gebührt. Eine Zeitlang gieng es gut, dann aber gerieth er wieder in seine alte Weise, war mürrisch und zänkisch. Und weil er sie nicht schlagen durfte, wollte er sie bei den Haaren packen und raufen. Die Frau entwischte ihm und sprang auf den Hof hinaus, er lief aber mit der Elle und Scheere hinter ihr her, jagte sie herum und warf ihr die Elle und Scheere, und was ihm sonst zur Hand war, nach. Wenn er sie traf, so lachte er, und wenn er sie fehlte, so tobte und wetterte er. Er trieb es so lange bis die Nachbaren der Frau zu Hilfe kamen. Der Schneider ward wieder vor die Obrigkeit gerufen und an sein Versprechen erinnert. ‘Liebe Herrn,’ antwortete er, ‘ich habe gehalten was ich gelobt habe, ich habe sie nicht geschlagen, sondern Lieb und Leid mit ihr getheilt.’ ‘Wie kann das sein,’ sprach der Richter, ‘da sie abermals so große Klage über Euch führt?’ ‘Jch habe sie nicht geschlagen,

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[340/0352] 170. Lieb und Leid theilen. Es war einmal ein Schneider, der war ein zänkischer Mensch, und seine Frau, die gut, fleißig und fromm war, konnte es ihm niemals recht machen. Was sie that, er war unzufrieden, brummte, schalt, raufte und schlug sie. Als die Obrigkeit endlich davon hörte, ließ sie ihn vorfordern und ins Gefängnis setzen, damit er sich bessern sollte. Er saß eine Zeitlang bei Wasser und Brot, dann wurde er wieder freigelassen, mußte aber geloben seine Frau nicht mehr zu schlagen, sondern friedlich mit ihr zu leben, Lieb und Leid zu theilen, wie sichs unter Eheleuten gebührt. Eine Zeitlang gieng es gut, dann aber gerieth er wieder in seine alte Weise, war mürrisch und zänkisch. Und weil er sie nicht schlagen durfte, wollte er sie bei den Haaren packen und raufen. Die Frau entwischte ihm und sprang auf den Hof hinaus, er lief aber mit der Elle und Scheere hinter ihr her, jagte sie herum und warf ihr die Elle und Scheere, und was ihm sonst zur Hand war, nach. Wenn er sie traf, so lachte er, und wenn er sie fehlte, so tobte und wetterte er. Er trieb es so lange bis die Nachbaren der Frau zu Hilfe kamen. Der Schneider ward wieder vor die Obrigkeit gerufen und an sein Versprechen erinnert. ‘Liebe Herrn,’ antwortete er, ‘ich habe gehalten was ich gelobt habe, ich habe sie nicht geschlagen, sondern Lieb und Leid mit ihr getheilt.’ ‘Wie kann das sein,’ sprach der Richter, ‘da sie abermals so große Klage über Euch führt?’ ‘Jch habe sie nicht geschlagen,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/352>, abgerufen am 22.11.2024.