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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.

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theilten uns unter sich aus: jeder erhielt zehen von uns, und ich fiel mit neun meiner Gesellen dem Riesen zu, dem wir seinen Schatz genommen hatten. Er band uns die Hände auf den Rücken und trieb uns wie Schafe in seine Felsenhöhle. Wir waren bereit uns mit Geld und Gut zu lösen, er aber antwortete 'eure Schätze brauche ich nicht, ich will euch behalten und euer Fleisch verzehren, das ist mir lieber.' Dann befühlte er uns alle, wählte einen aus und sprach 'der ist der fetteste, mit dem will ich den Anfang machen.' Dann schlug er ihn nieder, warf das zerschnittene Fleisch in einen Kessel mit Wasser, den er über das Feuer setzte, und als es gesotten war, hielt er seine Mahlzeit. So aß er jeden Tag einen von uns, und weil ich der magerste war, so sollte ich der letzte sein. Als nun meine neun Gesellen aufgezehrt waren, und die Reihe an mich kam, so besann ich mich auf eine List. 'Jch sehe wohl daß du böse Augen hast,' sprach ich zu ihm, 'und am Gesicht leidest: ich bin ein Arzt, und bin in meiner Kunst wohl erfahren, ich will dir deine Augen heilen, wenn du mir mein Leben lassen willst.' Er sicherte mir mein Leben zu, wenn ich das vermöchte. Er gab mir alles was ich dazu verlangte. Jch that Öl in einen Kessel, mengte Schwefel, Pech, Salz, Arsenik und andere verderbliche Dinge hinein, und stellte den Kessel über das Feuer, als wollte ich ein Pflaster für seine Augen bereiten. Sobald das Öl im Sieden war, mußte der Riese sich niederlegen, und ich goß ihm alles, was im Kessel war, auf die Augen, über den Hals und den Leib, so daß er das Gesicht völlig verlor und die Haut am ganzen Leib verbrannte und zusammenschrumpfte. Er fuhr mit entsetzlichem Geheul

theilten uns unter sich aus: jeder erhielt zehen von uns, und ich fiel mit neun meiner Gesellen dem Riesen zu, dem wir seinen Schatz genommen hatten. Er band uns die Hände auf den Rücken und trieb uns wie Schafe in seine Felsenhöhle. Wir waren bereit uns mit Geld und Gut zu lösen, er aber antwortete ‘eure Schätze brauche ich nicht, ich will euch behalten und euer Fleisch verzehren, das ist mir lieber.’ Dann befühlte er uns alle, wählte einen aus und sprach ‘der ist der fetteste, mit dem will ich den Anfang machen.’ Dann schlug er ihn nieder, warf das zerschnittene Fleisch in einen Kessel mit Wasser, den er über das Feuer setzte, und als es gesotten war, hielt er seine Mahlzeit. So aß er jeden Tag einen von uns, und weil ich der magerste war, so sollte ich der letzte sein. Als nun meine neun Gesellen aufgezehrt waren, und die Reihe an mich kam, so besann ich mich auf eine List. ‘Jch sehe wohl daß du böse Augen hast,’ sprach ich zu ihm, ‘und am Gesicht leidest: ich bin ein Arzt, und bin in meiner Kunst wohl erfahren, ich will dir deine Augen heilen, wenn du mir mein Leben lassen willst.’ Er sicherte mir mein Leben zu, wenn ich das vermöchte. Er gab mir alles was ich dazu verlangte. Jch that Öl in einen Kessel, mengte Schwefel, Pech, Salz, Arsenik und andere verderbliche Dinge hinein, und stellte den Kessel über das Feuer, als wollte ich ein Pflaster für seine Augen bereiten. Sobald das Öl im Sieden war, mußte der Riese sich niederlegen, und ich goß ihm alles, was im Kessel war, auf die Augen, über den Hals und den Leib, so daß er das Gesicht völlig verlor und die Haut am ganzen Leib verbrannte und zusammenschrumpfte. Er fuhr mit entsetzlichem Geheul

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theilten uns unter sich aus: jeder erhielt zehen von uns, und ich fiel mit neun meiner Gesellen dem Riesen zu, dem wir seinen Schatz genommen hatten. Er band uns die Hände auf den Rücken und trieb uns wie Schafe in seine Felsenhöhle. Wir waren bereit uns mit Geld und Gut zu lösen, er aber antwortete &#x2018;eure Schätze brauche ich nicht, ich will euch behalten und euer Fleisch verzehren, das ist mir lieber.&#x2019; Dann befühlte er uns alle, wählte einen aus und sprach &#x2018;der ist der fetteste, mit dem will ich den Anfang machen.&#x2019; Dann schlug er ihn nieder, warf das zerschnittene Fleisch in einen Kessel mit Wasser, den er über das Feuer setzte, und als es gesotten war, hielt er seine Mahlzeit. So aß er jeden Tag einen von uns, und weil ich der magerste war, so sollte ich der letzte sein. Als nun meine neun Gesellen aufgezehrt waren, und die Reihe an mich kam, so besann ich mich auf eine List. &#x2018;Jch sehe wohl daß du böse Augen hast,&#x2019; sprach ich zu ihm, &#x2018;und am Gesicht leidest: ich bin ein Arzt, und bin in meiner Kunst wohl erfahren, ich will dir deine Augen heilen, wenn du mir mein Leben lassen willst.&#x2019; Er sicherte mir mein Leben zu, wenn ich das vermöchte. Er gab mir alles was ich dazu verlangte. Jch that Öl in einen Kessel, mengte Schwefel, Pech, Salz, Arsenik und andere verderbliche Dinge hinein, und stellte den Kessel über das Feuer, als wollte ich ein Pflaster für seine Augen bereiten. Sobald das Öl im Sieden war, mußte der Riese sich niederlegen, und ich goß ihm alles, was im Kessel war, auf die Augen, über den Hals und den Leib, so daß er das Gesicht völlig verlor und die Haut am ganzen Leib verbrannte und zusammenschrumpfte. Er fuhr mit entsetzlichem Geheul
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[483/0495] theilten uns unter sich aus: jeder erhielt zehen von uns, und ich fiel mit neun meiner Gesellen dem Riesen zu, dem wir seinen Schatz genommen hatten. Er band uns die Hände auf den Rücken und trieb uns wie Schafe in seine Felsenhöhle. Wir waren bereit uns mit Geld und Gut zu lösen, er aber antwortete ‘eure Schätze brauche ich nicht, ich will euch behalten und euer Fleisch verzehren, das ist mir lieber.’ Dann befühlte er uns alle, wählte einen aus und sprach ‘der ist der fetteste, mit dem will ich den Anfang machen.’ Dann schlug er ihn nieder, warf das zerschnittene Fleisch in einen Kessel mit Wasser, den er über das Feuer setzte, und als es gesotten war, hielt er seine Mahlzeit. So aß er jeden Tag einen von uns, und weil ich der magerste war, so sollte ich der letzte sein. Als nun meine neun Gesellen aufgezehrt waren, und die Reihe an mich kam, so besann ich mich auf eine List. ‘Jch sehe wohl daß du böse Augen hast,’ sprach ich zu ihm, ‘und am Gesicht leidest: ich bin ein Arzt, und bin in meiner Kunst wohl erfahren, ich will dir deine Augen heilen, wenn du mir mein Leben lassen willst.’ Er sicherte mir mein Leben zu, wenn ich das vermöchte. Er gab mir alles was ich dazu verlangte. Jch that Öl in einen Kessel, mengte Schwefel, Pech, Salz, Arsenik und andere verderbliche Dinge hinein, und stellte den Kessel über das Feuer, als wollte ich ein Pflaster für seine Augen bereiten. Sobald das Öl im Sieden war, mußte der Riese sich niederlegen, und ich goß ihm alles, was im Kessel war, auf die Augen, über den Hals und den Leib, so daß er das Gesicht völlig verlor und die Haut am ganzen Leib verbrannte und zusammenschrumpfte. Er fuhr mit entsetzlichem Geheul

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/495>, abgerufen am 22.11.2024.