Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.hatte. Er ließ eine Leiter herbeibringen, und als er sie anlegte und sich bereitete hinaufzusteigen, so riefen ihm alle zu er solle sich männlich halten, und empfahlen ihn dem heiligen Georg, der den Drachen getödtet hatte. Als er bald oben war und die Eule sah daß er an sie wollte, auch von der Menge und dem Geschrei des Volks verwirrt war und nicht wußte wohinaus, so verdrehte sie die Augen, sträubte die Federn, sperrte die Flügel auf, gnappte mit dem Schnabel und ließ ihr schuhu, schuhu mit rauher Stimme hören. 'Stoß zu, stoß zu!' rief die Menge draußen dem tapfern Helden zu. 'Wer hier stände, wo ich stehe,' antwortete er, 'der würde nicht stoß zu rufen.' Er setzte zwar den Fuß noch eine Staffel höher, dann aber fieng er an zu zittern und machte sich halb ohnmächtig auf den Rückweg. Nun war keiner mehr übrig, der sich in die Gefahr hätte begeben wollen. 'Das Ungeheuer,' sagten sie, 'hat den stärksten Mann, der unter uns zu finden war, durch sein Gnappen und Anhauchen allein vergiftet und tödtlich verwundet, sollen wir andern auch unser Leben in die Schanze schlagen?' Sie rathschlagten was zu thun wäre, wenn die ganze Stadt nicht sollte zu Grunde gehen. Lange Zeit schien alles vergeblich, bis endlich der Bürgermeister einen Ausweg fand. 'Meine Meinung geht dahin,' sprach er, 'daß wir aus gemeinem Säckel diese Scheuer sammt allem, was darin liegt, Getraide Stroh und Heu, dem Eigenthümer bezahlen und ihn schadlos halten, dann aber das ganze Gebäude und mit ihm das fürchterliche Thier abbrennen, so braucht doch niemand sein Leben daran zu setzen. Hier ist keine hatte. Er ließ eine Leiter herbeibringen, und als er sie anlegte und sich bereitete hinaufzusteigen, so riefen ihm alle zu er solle sich männlich halten, und empfahlen ihn dem heiligen Georg, der den Drachen getödtet hatte. Als er bald oben war und die Eule sah daß er an sie wollte, auch von der Menge und dem Geschrei des Volks verwirrt war und nicht wußte wohinaus, so verdrehte sie die Augen, sträubte die Federn, sperrte die Flügel auf, gnappte mit dem Schnabel und ließ ihr schuhu, schuhu mit rauher Stimme hören. ‘Stoß zu, stoß zu!’ rief die Menge draußen dem tapfern Helden zu. ‘Wer hier stände, wo ich stehe,’ antwortete er, ‘der würde nicht stoß zu rufen.’ Er setzte zwar den Fuß noch eine Staffel höher, dann aber fieng er an zu zittern und machte sich halb ohnmächtig auf den Rückweg. Nun war keiner mehr übrig, der sich in die Gefahr hätte begeben wollen. ‘Das Ungeheuer,’ sagten sie, ‘hat den stärksten Mann, der unter uns zu finden war, durch sein Gnappen und Anhauchen allein vergiftet und tödtlich verwundet, sollen wir andern auch unser Leben in die Schanze schlagen?’ Sie rathschlagten was zu thun wäre, wenn die ganze Stadt nicht sollte zu Grunde gehen. Lange Zeit schien alles vergeblich, bis endlich der Bürgermeister einen Ausweg fand. ‘Meine Meinung geht dahin,’ sprach er, ‘daß wir aus gemeinem Säckel diese Scheuer sammt allem, was darin liegt, Getraide Stroh und Heu, dem Eigenthümer bezahlen und ihn schadlos halten, dann aber das ganze Gebäude und mit ihm das fürchterliche Thier abbrennen, so braucht doch niemand sein Leben daran zu setzen. Hier ist keine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0416" n="404"/> hatte. Er ließ eine Leiter herbeibringen, und als er sie anlegte und sich bereitete hinaufzusteigen, so riefen ihm alle zu er solle sich männlich halten, und empfahlen ihn dem heiligen Georg, der den Drachen getödtet hatte. Als er bald oben war und die Eule sah daß er an sie wollte, auch von der Menge und dem Geschrei des Volks verwirrt war und nicht wußte wohinaus, so verdrehte sie die Augen, sträubte die Federn, sperrte die Flügel auf, gnappte mit dem Schnabel und ließ ihr schuhu, schuhu mit rauher Stimme hören. ‘Stoß zu, stoß zu!’ rief die Menge draußen dem tapfern Helden zu. ‘Wer hier stände, wo ich stehe,’ antwortete er, ‘der würde nicht stoß zu rufen.’ Er setzte zwar den Fuß noch eine Staffel höher, dann aber fieng er an zu zittern und machte sich halb ohnmächtig auf den Rückweg.</p><lb/> <p>Nun war keiner mehr übrig, der sich in die Gefahr hätte begeben wollen. ‘Das Ungeheuer,’ sagten sie, ‘hat den stärksten Mann, der unter uns zu finden war, durch sein Gnappen und Anhauchen allein vergiftet und tödtlich verwundet, sollen wir andern auch unser Leben in die Schanze schlagen?’ Sie rathschlagten was zu thun wäre, wenn die ganze Stadt nicht sollte zu Grunde gehen. Lange Zeit schien alles vergeblich, bis endlich der Bürgermeister einen Ausweg fand. ‘Meine Meinung geht dahin,’ sprach er, ‘daß wir aus gemeinem Säckel diese Scheuer sammt allem, was darin liegt, Getraide Stroh und Heu, dem Eigenthümer bezahlen und ihn schadlos halten, dann aber das ganze Gebäude und mit ihm das fürchterliche Thier abbrennen, so braucht doch niemand sein Leben daran zu setzen. Hier ist keine </p> </div> </body> </text> </TEI> [404/0416]
hatte. Er ließ eine Leiter herbeibringen, und als er sie anlegte und sich bereitete hinaufzusteigen, so riefen ihm alle zu er solle sich männlich halten, und empfahlen ihn dem heiligen Georg, der den Drachen getödtet hatte. Als er bald oben war und die Eule sah daß er an sie wollte, auch von der Menge und dem Geschrei des Volks verwirrt war und nicht wußte wohinaus, so verdrehte sie die Augen, sträubte die Federn, sperrte die Flügel auf, gnappte mit dem Schnabel und ließ ihr schuhu, schuhu mit rauher Stimme hören. ‘Stoß zu, stoß zu!’ rief die Menge draußen dem tapfern Helden zu. ‘Wer hier stände, wo ich stehe,’ antwortete er, ‘der würde nicht stoß zu rufen.’ Er setzte zwar den Fuß noch eine Staffel höher, dann aber fieng er an zu zittern und machte sich halb ohnmächtig auf den Rückweg.
Nun war keiner mehr übrig, der sich in die Gefahr hätte begeben wollen. ‘Das Ungeheuer,’ sagten sie, ‘hat den stärksten Mann, der unter uns zu finden war, durch sein Gnappen und Anhauchen allein vergiftet und tödtlich verwundet, sollen wir andern auch unser Leben in die Schanze schlagen?’ Sie rathschlagten was zu thun wäre, wenn die ganze Stadt nicht sollte zu Grunde gehen. Lange Zeit schien alles vergeblich, bis endlich der Bürgermeister einen Ausweg fand. ‘Meine Meinung geht dahin,’ sprach er, ‘daß wir aus gemeinem Säckel diese Scheuer sammt allem, was darin liegt, Getraide Stroh und Heu, dem Eigenthümer bezahlen und ihn schadlos halten, dann aber das ganze Gebäude und mit ihm das fürchterliche Thier abbrennen, so braucht doch niemand sein Leben daran zu setzen. Hier ist keine
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