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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.

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Boden, und hinter ihnen auf einer Stange saß ein weißes Täubchen und hatte seinen Kopf unter den Flügel gesteckt.

Eines Abends, als sie so vertraulich beisammen saßen, klopfte jemand an die Thüre, als wollte er eingelassen sein. Die Mutter sprach 'geschwind, Rosenroth, mach auf, es wird ein Wanderer sein, der Obdach sucht.' Rosenroth gieng und schob den Riegel weg und dachte es wäre ein armer Mann, da streckte ein Bär seinen dicken schwarzen Kopf zur Thüre herein. Rosenroth schrie laut und sprang zurück: das Lämmchen blöckte, das Täubchen flatterte auf und Schneeweißchen versteckte sich hinter der Mutter Bett. Der Bär aber fieng an zu sprechen und sagte 'fürchtet euch nicht, ich thue euch nichts zu leid, ich bin halb erfroren und will mich nur ein wenig bei euch wärmen.' 'Du armer Bär,' sprach die Mutter, 'leg dich ans Feuer, und gib nur acht daß dir dein Pelz nicht brennt.' Dann rief sie 'Schneeweißchen, Rosenroth, kommt hervor, der Bär thut euch nichts, er meints ehrlich.' Da kamen sie beide heran, und nach und nach näherten sich auch das Lämmchen und Täubchen und hatten keine Furcht vor ihm. Der Bär sprach 'ihr Kinder, klopft mir den Schnee ein wenig aus dem Pelzwerk,' und sie holten den Besen und kehrten dem Bär das Fell rein: er aber streckte sich ans Feuer und brummte ganz vergnügt und behaglich. Nicht lange, so wurden sie ganz vertraut und trieben Muthwillen mit dem unbeholfenen Gast. Sie zausten ihm das Fell mit den Händen, setzten ihre Füßchen an seinen Rücken und walgerten ihn hin und her, oder sie nahmen eine Haselruthe und schlugen auf ihn los, und wenn er brummte, so lachten sie. Der Bär ließ sichs aber gerne gefallen, nur wenn

Boden, und hinter ihnen auf einer Stange saß ein weißes Täubchen und hatte seinen Kopf unter den Flügel gesteckt.

Eines Abends, als sie so vertraulich beisammen saßen, klopfte jemand an die Thüre, als wollte er eingelassen sein. Die Mutter sprach ‘geschwind, Rosenroth, mach auf, es wird ein Wanderer sein, der Obdach sucht.’ Rosenroth gieng und schob den Riegel weg und dachte es wäre ein armer Mann, da streckte ein Bär seinen dicken schwarzen Kopf zur Thüre herein. Rosenroth schrie laut und sprang zurück: das Lämmchen blöckte, das Täubchen flatterte auf und Schneeweißchen versteckte sich hinter der Mutter Bett. Der Bär aber fieng an zu sprechen und sagte ‘fürchtet euch nicht, ich thue euch nichts zu leid, ich bin halb erfroren und will mich nur ein wenig bei euch wärmen.’ ‘Du armer Bär,’ sprach die Mutter, ‘leg dich ans Feuer, und gib nur acht daß dir dein Pelz nicht brennt.’ Dann rief sie ‘Schneeweißchen, Rosenroth, kommt hervor, der Bär thut euch nichts, er meints ehrlich.’ Da kamen sie beide heran, und nach und nach näherten sich auch das Lämmchen und Täubchen und hatten keine Furcht vor ihm. Der Bär sprach ‘ihr Kinder, klopft mir den Schnee ein wenig aus dem Pelzwerk,’ und sie holten den Besen und kehrten dem Bär das Fell rein: er aber streckte sich ans Feuer und brummte ganz vergnügt und behaglich. Nicht lange, so wurden sie ganz vertraut und trieben Muthwillen mit dem unbeholfenen Gast. Sie zausten ihm das Fell mit den Händen, setzten ihre Füßchen an seinen Rücken und walgerten ihn hin und her, oder sie nahmen eine Haselruthe und schlugen auf ihn los, und wenn er brummte, so lachten sie. Der Bär ließ sichs aber gerne gefallen, nur wenn

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[342/0354] Boden, und hinter ihnen auf einer Stange saß ein weißes Täubchen und hatte seinen Kopf unter den Flügel gesteckt. Eines Abends, als sie so vertraulich beisammen saßen, klopfte jemand an die Thüre, als wollte er eingelassen sein. Die Mutter sprach ‘geschwind, Rosenroth, mach auf, es wird ein Wanderer sein, der Obdach sucht.’ Rosenroth gieng und schob den Riegel weg und dachte es wäre ein armer Mann, da streckte ein Bär seinen dicken schwarzen Kopf zur Thüre herein. Rosenroth schrie laut und sprang zurück: das Lämmchen blöckte, das Täubchen flatterte auf und Schneeweißchen versteckte sich hinter der Mutter Bett. Der Bär aber fieng an zu sprechen und sagte ‘fürchtet euch nicht, ich thue euch nichts zu leid, ich bin halb erfroren und will mich nur ein wenig bei euch wärmen.’ ‘Du armer Bär,’ sprach die Mutter, ‘leg dich ans Feuer, und gib nur acht daß dir dein Pelz nicht brennt.’ Dann rief sie ‘Schneeweißchen, Rosenroth, kommt hervor, der Bär thut euch nichts, er meints ehrlich.’ Da kamen sie beide heran, und nach und nach näherten sich auch das Lämmchen und Täubchen und hatten keine Furcht vor ihm. Der Bär sprach ‘ihr Kinder, klopft mir den Schnee ein wenig aus dem Pelzwerk,’ und sie holten den Besen und kehrten dem Bär das Fell rein: er aber streckte sich ans Feuer und brummte ganz vergnügt und behaglich. Nicht lange, so wurden sie ganz vertraut und trieben Muthwillen mit dem unbeholfenen Gast. Sie zausten ihm das Fell mit den Händen, setzten ihre Füßchen an seinen Rücken und walgerten ihn hin und her, oder sie nahmen eine Haselruthe und schlugen auf ihn los, und wenn er brummte, so lachten sie. Der Bär ließ sichs aber gerne gefallen, nur wenn

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/354>, abgerufen am 27.04.2024.