Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

begehre nicht zu tanzen.' Aber der Knecht hörte nicht darauf und dachte 'du hast die Leute genug geschunden, nun soll dirs die Dornhecke nicht besser machen,' und fieng von neuem an zu geigen, daß der Jude immer höher aufspringen mußte, und die Fetzen von seinem Rock an den Stacheln hängen blieben. 'Au weih geschrien!' rief der Jude, 'geb ich doch dem Herrn, was er verlangt, wenn er nur das Geigen läßt, einen ganzen Beutel mit Gold.' 'Wenn du so spendabel bist,' sprach der Knecht, 'so will ich wohl mit meiner Musik aufhören, aber das muß ich dir nachrühmen, du machst deinen Tanz noch mit, daß er eine Art hat;' nahm darauf den Beutel und gieng seiner Wege.

Der Jude blieb stehen und sah ihm nach und war still bis der Knecht weit weg und ihm ganz aus den Augen war, dann schrie er aus Leibeskräften, 'du miserabler Musikant, du Bierfiedler: wart, wenn ich dich allein erwische! ich will dich jagen, daß du die Schuhsohlen verlieren sollst: du Lump, steck einen Groschen ins Maul, daß du sechs Heller werth bist,' und schimpfte weiter was er nur los bringen konnte. Und als er sich damit etwas zu Gute gethan und Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter. 'Herr Richter, au weih geschrien! seht wie mich auf offener Landstraße ein gottloser Mensch beraubt und übel zugerichtet hat: ein Stein auf dem Erdboden möcht sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! der Leib zerstochen und zerkratzt! mein bischen Armuth sammt dem Beutel genommen! lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere: um Gotteswillen, laßt den Menschen ins Gefängnis werfen.' Sprach der Richter 'wars ein Soldat, der dich mit seinem Säbel

begehre nicht zu tanzen.’ Aber der Knecht hörte nicht darauf und dachte ‘du hast die Leute genug geschunden, nun soll dirs die Dornhecke nicht besser machen,’ und fieng von neuem an zu geigen, daß der Jude immer höher aufspringen mußte, und die Fetzen von seinem Rock an den Stacheln hängen blieben. ‘Au weih geschrien!’ rief der Jude, ‘geb ich doch dem Herrn, was er verlangt, wenn er nur das Geigen läßt, einen ganzen Beutel mit Gold.’ ‘Wenn du so spendabel bist,’ sprach der Knecht, ‘so will ich wohl mit meiner Musik aufhören, aber das muß ich dir nachrühmen, du machst deinen Tanz noch mit, daß er eine Art hat;’ nahm darauf den Beutel und gieng seiner Wege.

Der Jude blieb stehen und sah ihm nach und war still bis der Knecht weit weg und ihm ganz aus den Augen war, dann schrie er aus Leibeskräften, ‘du miserabler Musikant, du Bierfiedler: wart, wenn ich dich allein erwische! ich will dich jagen, daß du die Schuhsohlen verlieren sollst: du Lump, steck einen Groschen ins Maul, daß du sechs Heller werth bist,’ und schimpfte weiter was er nur los bringen konnte. Und als er sich damit etwas zu Gute gethan und Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter. ‘Herr Richter, au weih geschrien! seht wie mich auf offener Landstraße ein gottloser Mensch beraubt und übel zugerichtet hat: ein Stein auf dem Erdboden möcht sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! der Leib zerstochen und zerkratzt! mein bischen Armuth sammt dem Beutel genommen! lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere: um Gotteswillen, laßt den Menschen ins Gefängnis werfen.’ Sprach der Richter ‘wars ein Soldat, der dich mit seinem Säbel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0157" n="145"/>
begehre nicht zu tanzen.&#x2019; Aber der Knecht hörte nicht darauf und dachte &#x2018;du hast die Leute genug geschunden, nun soll dirs die Dornhecke nicht besser machen,&#x2019; und fieng von neuem an zu geigen, daß der Jude immer höher aufspringen mußte, und die Fetzen von seinem Rock an den Stacheln hängen blieben. &#x2018;Au weih geschrien!&#x2019; rief der Jude, &#x2018;geb ich doch dem Herrn, was er verlangt, wenn er nur das Geigen läßt, einen ganzen Beutel mit Gold.&#x2019; &#x2018;Wenn du so spendabel bist,&#x2019; sprach der Knecht, &#x2018;so will ich wohl mit meiner Musik aufhören, aber das muß ich dir nachrühmen, du machst deinen Tanz noch mit, daß er eine Art hat;&#x2019; nahm darauf den Beutel und gieng seiner Wege.</p><lb/>
        <p>Der Jude blieb stehen und sah ihm nach und war still bis der Knecht weit weg und ihm ganz aus den Augen war, dann schrie er aus Leibeskräften, &#x2018;du miserabler Musikant, du Bierfiedler: wart, wenn ich dich allein erwische! ich will dich jagen, daß du die Schuhsohlen verlieren sollst: du Lump, steck einen Groschen ins Maul, daß du sechs Heller werth bist,&#x2019; und schimpfte weiter was er nur los bringen konnte. Und als er sich damit etwas zu Gute gethan und Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter. &#x2018;Herr Richter, au weih geschrien! seht wie mich auf offener Landstraße ein gottloser Mensch beraubt und übel zugerichtet hat: ein Stein auf dem Erdboden möcht sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! der Leib zerstochen und zerkratzt! mein bischen Armuth sammt dem Beutel genommen! lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere: um Gotteswillen, laßt den Menschen ins Gefängnis werfen.&#x2019; Sprach der Richter &#x2018;wars ein Soldat, der dich mit seinem Säbel
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0157] begehre nicht zu tanzen.’ Aber der Knecht hörte nicht darauf und dachte ‘du hast die Leute genug geschunden, nun soll dirs die Dornhecke nicht besser machen,’ und fieng von neuem an zu geigen, daß der Jude immer höher aufspringen mußte, und die Fetzen von seinem Rock an den Stacheln hängen blieben. ‘Au weih geschrien!’ rief der Jude, ‘geb ich doch dem Herrn, was er verlangt, wenn er nur das Geigen läßt, einen ganzen Beutel mit Gold.’ ‘Wenn du so spendabel bist,’ sprach der Knecht, ‘so will ich wohl mit meiner Musik aufhören, aber das muß ich dir nachrühmen, du machst deinen Tanz noch mit, daß er eine Art hat;’ nahm darauf den Beutel und gieng seiner Wege. Der Jude blieb stehen und sah ihm nach und war still bis der Knecht weit weg und ihm ganz aus den Augen war, dann schrie er aus Leibeskräften, ‘du miserabler Musikant, du Bierfiedler: wart, wenn ich dich allein erwische! ich will dich jagen, daß du die Schuhsohlen verlieren sollst: du Lump, steck einen Groschen ins Maul, daß du sechs Heller werth bist,’ und schimpfte weiter was er nur los bringen konnte. Und als er sich damit etwas zu Gute gethan und Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter. ‘Herr Richter, au weih geschrien! seht wie mich auf offener Landstraße ein gottloser Mensch beraubt und übel zugerichtet hat: ein Stein auf dem Erdboden möcht sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! der Leib zerstochen und zerkratzt! mein bischen Armuth sammt dem Beutel genommen! lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere: um Gotteswillen, laßt den Menschen ins Gefängnis werfen.’ Sprach der Richter ‘wars ein Soldat, der dich mit seinem Säbel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/157
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/157>, abgerufen am 18.04.2024.