Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.stellte ihn doch der fehlenden Stücke wegen zur Rede. 'Ach,' sagte der Junge, 'wie habt ihr das erfahren? der Brief konnte es nicht wissen, denn ich hatte ihn zuvor unter einen Stein gelegt.' Der Richter mußte über die Einfalt des Jungen lachen, und schickte dem Mann einen Brief, worin er ihn ermahnte den armen Jungen besser zu halten, und es ihm an Speis und Trank nicht fehlen zu lassen; auch möchte er ihn lehren was Recht und Unrecht sei. 'Ich will dir den Unterschied schon zeigen,' sagte der harte Mann; 'willst du aber essen, so mußt du auch arbeiten, und thust du etwas Unrechtes, so sollst du durch Schläge hinlänglich belehrt werden.' Am folgenden Tag stellte er ihn an eine schwere Arbeit. Er sollte ein paar Bund Stroh zum Futter für die Pferde schneiden; dabei drohte der Mann, 'in fünf Stunden,' sprach er, 'bin ich wieder zurück, wenn dann das Stroh nicht zu Heksel geschnitten ist, so schlage ich dich so lange bis du kein Glied mehr regen kannst.' Der Bauer gieng mit seiner Frau, dem Knecht und der Magd auf den Jahrmarkt, und ließ dem Jungen nichts zurück als ein kleines Stück Brot. Der Junge stellte sich an den Strohstuhl, und fieng an aus allen Leibeskräften zu arbeiten. Da ihm dabei heiß ward, so zog er sein Röcklein aus, und warfs auf das Stroh. In der Angst nicht fertig zu werden schnitt er immer zu, und zerschnitt unvermerkt mit dem Stroh auch sein Röcklein. Zu spät ward er das Unglück gewahr, das sich nicht wieder gut machen ließ. 'Ach,' rief er, 'jetzt ist es aus mit mir. Der böse Mann hat mir nicht umsonst gedroht, kommt er zurück, und sieht was ich gethan stellte ihn doch der fehlenden Stücke wegen zur Rede. ‘Ach,’ sagte der Junge, ‘wie habt ihr das erfahren? der Brief konnte es nicht wissen, denn ich hatte ihn zuvor unter einen Stein gelegt.’ Der Richter mußte über die Einfalt des Jungen lachen, und schickte dem Mann einen Brief, worin er ihn ermahnte den armen Jungen besser zu halten, und es ihm an Speis und Trank nicht fehlen zu lassen; auch möchte er ihn lehren was Recht und Unrecht sei. ‘Ich will dir den Unterschied schon zeigen,’ sagte der harte Mann; ‘willst du aber essen, so mußt du auch arbeiten, und thust du etwas Unrechtes, so sollst du durch Schläge hinlänglich belehrt werden.’ Am folgenden Tag stellte er ihn an eine schwere Arbeit. Er sollte ein paar Bund Stroh zum Futter für die Pferde schneiden; dabei drohte der Mann, ‘in fünf Stunden,’ sprach er, ‘bin ich wieder zurück, wenn dann das Stroh nicht zu Heksel geschnitten ist, so schlage ich dich so lange bis du kein Glied mehr regen kannst.’ Der Bauer gieng mit seiner Frau, dem Knecht und der Magd auf den Jahrmarkt, und ließ dem Jungen nichts zurück als ein kleines Stück Brot. Der Junge stellte sich an den Strohstuhl, und fieng an aus allen Leibeskräften zu arbeiten. Da ihm dabei heiß ward, so zog er sein Röcklein aus, und warfs auf das Stroh. In der Angst nicht fertig zu werden schnitt er immer zu, und zerschnitt unvermerkt mit dem Stroh auch sein Röcklein. Zu spät ward er das Unglück gewahr, das sich nicht wieder gut machen ließ. ‘Ach,’ rief er, ‘jetzt ist es aus mit mir. Der böse Mann hat mir nicht umsonst gedroht, kommt er zurück, und sieht was ich gethan <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0453" n="443"/> stellte ihn doch der fehlenden Stücke wegen zur Rede. ‘Ach,’ sagte der Junge, ‘wie habt ihr das erfahren? der Brief konnte es nicht wissen, denn ich hatte ihn zuvor unter einen Stein gelegt.’ Der Richter mußte über die Einfalt des Jungen lachen, und schickte dem Mann einen Brief, worin er ihn ermahnte den armen Jungen besser zu halten, und es ihm an Speis und Trank nicht fehlen zu lassen; auch möchte er ihn lehren was Recht und Unrecht sei.</p><lb/> <p>‘Ich will dir den Unterschied schon zeigen,’ sagte der harte Mann; ‘willst du aber essen, so mußt du auch arbeiten, und thust du etwas Unrechtes, so sollst du durch Schläge hinlänglich belehrt werden.’ Am folgenden Tag stellte er ihn an eine schwere Arbeit. Er sollte ein paar Bund Stroh zum Futter für die Pferde schneiden; dabei drohte der Mann, ‘in fünf Stunden,’ sprach er, ‘bin ich wieder zurück, wenn dann das Stroh nicht zu Heksel geschnitten ist, so schlage ich dich so lange bis du kein Glied mehr regen kannst.’ Der Bauer gieng mit seiner Frau, dem Knecht und der Magd auf den Jahrmarkt, und ließ dem Jungen nichts zurück als ein kleines Stück Brot. Der Junge stellte sich an den Strohstuhl, und fieng an aus allen Leibeskräften zu arbeiten. Da ihm dabei heiß ward, so zog er sein Röcklein aus, und warfs auf das Stroh. In der Angst nicht fertig zu werden schnitt er immer zu, und zerschnitt unvermerkt mit dem Stroh auch sein Röcklein. Zu spät ward er das Unglück gewahr, das sich nicht wieder gut machen ließ. ‘Ach,’ rief er, ‘jetzt ist es aus mit mir. Der böse Mann hat mir nicht umsonst gedroht, kommt er zurück, und sieht was ich gethan </p> </div> </body> </text> </TEI> [443/0453]
stellte ihn doch der fehlenden Stücke wegen zur Rede. ‘Ach,’ sagte der Junge, ‘wie habt ihr das erfahren? der Brief konnte es nicht wissen, denn ich hatte ihn zuvor unter einen Stein gelegt.’ Der Richter mußte über die Einfalt des Jungen lachen, und schickte dem Mann einen Brief, worin er ihn ermahnte den armen Jungen besser zu halten, und es ihm an Speis und Trank nicht fehlen zu lassen; auch möchte er ihn lehren was Recht und Unrecht sei.
‘Ich will dir den Unterschied schon zeigen,’ sagte der harte Mann; ‘willst du aber essen, so mußt du auch arbeiten, und thust du etwas Unrechtes, so sollst du durch Schläge hinlänglich belehrt werden.’ Am folgenden Tag stellte er ihn an eine schwere Arbeit. Er sollte ein paar Bund Stroh zum Futter für die Pferde schneiden; dabei drohte der Mann, ‘in fünf Stunden,’ sprach er, ‘bin ich wieder zurück, wenn dann das Stroh nicht zu Heksel geschnitten ist, so schlage ich dich so lange bis du kein Glied mehr regen kannst.’ Der Bauer gieng mit seiner Frau, dem Knecht und der Magd auf den Jahrmarkt, und ließ dem Jungen nichts zurück als ein kleines Stück Brot. Der Junge stellte sich an den Strohstuhl, und fieng an aus allen Leibeskräften zu arbeiten. Da ihm dabei heiß ward, so zog er sein Röcklein aus, und warfs auf das Stroh. In der Angst nicht fertig zu werden schnitt er immer zu, und zerschnitt unvermerkt mit dem Stroh auch sein Röcklein. Zu spät ward er das Unglück gewahr, das sich nicht wieder gut machen ließ. ‘Ach,’ rief er, ‘jetzt ist es aus mit mir. Der böse Mann hat mir nicht umsonst gedroht, kommt er zurück, und sieht was ich gethan
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