Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.durch die Angst, in der ihr gelebt habt, hinlänglich gestraft.' Dann gieng sie an die Kammer, und rief 'komm heraus, mein Töchterchen.' Da gieng die Thüre auf, und die Königstochter trat heraus in ihrem seidenen Gewand mit ihren goldenen Haaren und ihren leuchtenden Augen, und es war als ob ein Engel vom Himmel käme. Sie gieng auf ihren Vater und ihre Mutter zu, fiel ihnen um den Hals, und küßte sie; es war nicht anders, sie mußten alle vor Freude weinen. Der junge Graf stand neben ihnen, und als sie ihn erblickte, ward sie so roth im Gesicht wie eine Mosrose; sie wußte selbst nicht warum. Der König sprach 'liebes Kind, mein Königreich habe ich verschenkt, was soll ich dir geben?' 'Sie braucht nichts,' sagte die Alte, 'ich schenke ihr die Thränen, die sie um euch geweint hat, das sind lauter Perlen, schöner als sie im Meer gefunden werden, und sind mehr werth als euer ganzes Königreich. Und zum Lohn für ihre Dienste gebe ich ihr mein Häuschen.' Als die Alte das gesagt hatte, verschwand sie vor ihren Augen. Es knatterte ein wenig in den Wänden, und als sie sich umsahen, war das Häuschen in einen prächtigen Palast verwandelt, und eine königliche Tafel war gedeckt, und die Bedienten liefen hin und her. Die Geschichte geht noch weiter, aber meiner Großmutter, die sie mir erzählt hat, war das Gedächtnis schwach geworden, sie hatte das übrige vergessen. Ich glaube immer, die schöne Königstochter ist mit dem Grafen vermählt worden, und sie sind zusammen in dem Schloß geblieben, und haben da in aller Glückseligkeit gelebt so lange Gott wollte. Ob die schneeweißen Gänse, durch die Angst, in der ihr gelebt habt, hinlänglich gestraft.’ Dann gieng sie an die Kammer, und rief ‘komm heraus, mein Töchterchen.’ Da gieng die Thüre auf, und die Königstochter trat heraus in ihrem seidenen Gewand mit ihren goldenen Haaren und ihren leuchtenden Augen, und es war als ob ein Engel vom Himmel käme. Sie gieng auf ihren Vater und ihre Mutter zu, fiel ihnen um den Hals, und küßte sie; es war nicht anders, sie mußten alle vor Freude weinen. Der junge Graf stand neben ihnen, und als sie ihn erblickte, ward sie so roth im Gesicht wie eine Mosrose; sie wußte selbst nicht warum. Der König sprach ‘liebes Kind, mein Königreich habe ich verschenkt, was soll ich dir geben?’ ‘Sie braucht nichts,’ sagte die Alte, ‘ich schenke ihr die Thränen, die sie um euch geweint hat, das sind lauter Perlen, schöner als sie im Meer gefunden werden, und sind mehr werth als euer ganzes Königreich. Und zum Lohn für ihre Dienste gebe ich ihr mein Häuschen.’ Als die Alte das gesagt hatte, verschwand sie vor ihren Augen. Es knatterte ein wenig in den Wänden, und als sie sich umsahen, war das Häuschen in einen prächtigen Palast verwandelt, und eine königliche Tafel war gedeckt, und die Bedienten liefen hin und her. Die Geschichte geht noch weiter, aber meiner Großmutter, die sie mir erzählt hat, war das Gedächtnis schwach geworden, sie hatte das übrige vergessen. Ich glaube immer, die schöne Königstochter ist mit dem Grafen vermählt worden, und sie sind zusammen in dem Schloß geblieben, und haben da in aller Glückseligkeit gelebt so lange Gott wollte. Ob die schneeweißen Gänse, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0430" n="420"/> durch die Angst, in der ihr gelebt habt, hinlänglich gestraft.’ Dann gieng sie an die Kammer, und rief ‘komm heraus, mein Töchterchen.’ Da gieng die Thüre auf, und die Königstochter trat heraus in ihrem seidenen Gewand mit ihren goldenen Haaren und ihren leuchtenden Augen, und es war als ob ein Engel vom Himmel käme.</p><lb/> <p>Sie gieng auf ihren Vater und ihre Mutter zu, fiel ihnen um den Hals, und küßte sie; es war nicht anders, sie mußten alle vor Freude weinen. Der junge Graf stand neben ihnen, und als sie ihn erblickte, ward sie so roth im Gesicht wie eine Mosrose; sie wußte selbst nicht warum. Der König sprach ‘liebes Kind, mein Königreich habe ich verschenkt, was soll ich dir geben?’ ‘Sie braucht nichts,’ sagte die Alte, ‘ich schenke ihr die Thränen, die sie um euch geweint hat, das sind lauter Perlen, schöner als sie im Meer gefunden werden, und sind mehr werth als euer ganzes Königreich. Und zum Lohn für ihre Dienste gebe ich ihr mein Häuschen.’ Als die Alte das gesagt hatte, verschwand sie vor ihren Augen. Es knatterte ein wenig in den Wänden, und als sie sich umsahen, war das Häuschen in einen prächtigen Palast verwandelt, und eine königliche Tafel war gedeckt, und die Bedienten liefen hin und her.</p><lb/> <p>Die Geschichte geht noch weiter, aber meiner Großmutter, die sie mir erzählt hat, war das Gedächtnis schwach geworden, sie hatte das übrige vergessen. Ich glaube immer, die schöne Königstochter ist mit dem Grafen vermählt worden, und sie sind zusammen in dem Schloß geblieben, und haben da in aller Glückseligkeit gelebt so lange Gott wollte. Ob die schneeweißen Gänse, </p> </div> </body> </text> </TEI> [420/0430]
durch die Angst, in der ihr gelebt habt, hinlänglich gestraft.’ Dann gieng sie an die Kammer, und rief ‘komm heraus, mein Töchterchen.’ Da gieng die Thüre auf, und die Königstochter trat heraus in ihrem seidenen Gewand mit ihren goldenen Haaren und ihren leuchtenden Augen, und es war als ob ein Engel vom Himmel käme.
Sie gieng auf ihren Vater und ihre Mutter zu, fiel ihnen um den Hals, und küßte sie; es war nicht anders, sie mußten alle vor Freude weinen. Der junge Graf stand neben ihnen, und als sie ihn erblickte, ward sie so roth im Gesicht wie eine Mosrose; sie wußte selbst nicht warum. Der König sprach ‘liebes Kind, mein Königreich habe ich verschenkt, was soll ich dir geben?’ ‘Sie braucht nichts,’ sagte die Alte, ‘ich schenke ihr die Thränen, die sie um euch geweint hat, das sind lauter Perlen, schöner als sie im Meer gefunden werden, und sind mehr werth als euer ganzes Königreich. Und zum Lohn für ihre Dienste gebe ich ihr mein Häuschen.’ Als die Alte das gesagt hatte, verschwand sie vor ihren Augen. Es knatterte ein wenig in den Wänden, und als sie sich umsahen, war das Häuschen in einen prächtigen Palast verwandelt, und eine königliche Tafel war gedeckt, und die Bedienten liefen hin und her.
Die Geschichte geht noch weiter, aber meiner Großmutter, die sie mir erzählt hat, war das Gedächtnis schwach geworden, sie hatte das übrige vergessen. Ich glaube immer, die schöne Königstochter ist mit dem Grafen vermählt worden, und sie sind zusammen in dem Schloß geblieben, und haben da in aller Glückseligkeit gelebt so lange Gott wollte. Ob die schneeweißen Gänse,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-01T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |