Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.sie aufgehen, und ein großer Nußbaum aus dem Wasser hervorwachsen, auf dem sich der Greif ausruht, und könnte er nicht ruhen, so wäre er nicht stark genug euch hinüber zu tragen, und wenn du vergißt die Nuß herab zu werfen, so läßt er euch ins Meer fallen.' Da gieng sie hin, und fand alles wie der Nachtwind gesagt hatte. Sie zählte die Ruthen am Meer, und schnitt die eilfte ab, damit schlug sie den Lindwurm, und der Löwe bezwang ihn, alsbald hatten beide ihren menschlichen Leib wieder. Aber wie die Königstochter, die vorher ein Lindwurm gewesen war, vom Zauber frei war, nahm sie den Jüngling in den Arm, setzte sich auf den Vogel Greif, und führte ihn mit sich fort. Da stand die arme weitgewanderte, und war wieder verlassen, und setzte sich nieder und weinte; endlich aber ermuthigte sie sich, und sprach 'ich will noch so weit gehen als der Wind weht, und so lange als der Hahn kräht, bis ich ihn finde.' Und gieng fort, lange lange Wege, bis sie endlich zu dem Schloß kam, wo beide zusammen lebten, da hörte sie daß bald ein Fest wäre, wo sie Hochzeit mit einander machen wollten. Sie sprach aber 'Gott hilft mir noch,' und nahm das Kästchen, das ihr die Sonne gegeben hatte, da lag ein Kleid darin, so glänzend wie die Sonne selber. Da nahm sie es heraus, und zog es an, und gieng hinauf in das Schloß, und alle Leute, und die Braut selber, sahen sie mit Verwunderung an; und das Kleid gefiel der Braut so gut, daß sie dachte es könnte ihr Hochzeitskleid geben, und fragte ob es nicht feil wäre? 'Nicht für Geld und Gut,' antwortete sie, 'aber für Fleisch und Blut.' Die Braut fragte was sie damit meinte? Da sagte sie 'laßt sie aufgehen, und ein großer Nußbaum aus dem Wasser hervorwachsen, auf dem sich der Greif ausruht, und könnte er nicht ruhen, so wäre er nicht stark genug euch hinüber zu tragen, und wenn du vergißt die Nuß herab zu werfen, so läßt er euch ins Meer fallen.’ Da gieng sie hin, und fand alles wie der Nachtwind gesagt hatte. Sie zählte die Ruthen am Meer, und schnitt die eilfte ab, damit schlug sie den Lindwurm, und der Löwe bezwang ihn, alsbald hatten beide ihren menschlichen Leib wieder. Aber wie die Königstochter, die vorher ein Lindwurm gewesen war, vom Zauber frei war, nahm sie den Jüngling in den Arm, setzte sich auf den Vogel Greif, und führte ihn mit sich fort. Da stand die arme weitgewanderte, und war wieder verlassen, und setzte sich nieder und weinte; endlich aber ermuthigte sie sich, und sprach ‘ich will noch so weit gehen als der Wind weht, und so lange als der Hahn kräht, bis ich ihn finde.’ Und gieng fort, lange lange Wege, bis sie endlich zu dem Schloß kam, wo beide zusammen lebten, da hörte sie daß bald ein Fest wäre, wo sie Hochzeit mit einander machen wollten. Sie sprach aber ‘Gott hilft mir noch,’ und nahm das Kästchen, das ihr die Sonne gegeben hatte, da lag ein Kleid darin, so glänzend wie die Sonne selber. Da nahm sie es heraus, und zog es an, und gieng hinauf in das Schloß, und alle Leute, und die Braut selber, sahen sie mit Verwunderung an; und das Kleid gefiel der Braut so gut, daß sie dachte es könnte ihr Hochzeitskleid geben, und fragte ob es nicht feil wäre? ‘Nicht für Geld und Gut,’ antwortete sie, ‘aber für Fleisch und Blut.’ Die Braut fragte was sie damit meinte? Da sagte sie ‘laßt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0022" n="12"/> sie aufgehen, und ein großer Nußbaum aus dem Wasser hervorwachsen, auf dem sich der Greif ausruht, und könnte er nicht ruhen, so wäre er nicht stark genug euch hinüber zu tragen, und wenn du vergißt die Nuß herab zu werfen, so läßt er euch ins Meer fallen.’</p><lb/> <p>Da gieng sie hin, und fand alles wie der Nachtwind gesagt hatte. Sie zählte die Ruthen am Meer, und schnitt die eilfte ab, damit schlug sie den Lindwurm, und der Löwe bezwang ihn, alsbald hatten beide ihren menschlichen Leib wieder. Aber wie die Königstochter, die vorher ein Lindwurm gewesen war, vom Zauber frei war, nahm sie den Jüngling in den Arm, setzte sich auf den Vogel Greif, und führte ihn mit sich fort. Da stand die arme weitgewanderte, und war wieder verlassen, und setzte sich nieder und weinte; endlich aber ermuthigte sie sich, und sprach ‘ich will noch so weit gehen als der Wind weht, und so lange als der Hahn kräht, bis ich ihn finde.’ Und gieng fort, lange lange Wege, bis sie endlich zu dem Schloß kam, wo beide zusammen lebten, da hörte sie daß bald ein Fest wäre, wo sie Hochzeit mit einander machen wollten. Sie sprach aber ‘Gott hilft mir noch,’ und nahm das Kästchen, das ihr die Sonne gegeben hatte, da lag ein Kleid darin, so glänzend wie die Sonne selber. Da nahm sie es heraus, und zog es an, und gieng hinauf in das Schloß, und alle Leute, und die Braut selber, sahen sie mit Verwunderung an; und das Kleid gefiel der Braut so gut, daß sie dachte es könnte ihr Hochzeitskleid geben, und fragte ob es nicht feil wäre? ‘Nicht für Geld und Gut,’ antwortete sie, ‘aber für Fleisch und Blut.’ Die Braut fragte was sie damit meinte? Da sagte sie ‘laßt </p> </div> </body> </text> </TEI> [12/0022]
sie aufgehen, und ein großer Nußbaum aus dem Wasser hervorwachsen, auf dem sich der Greif ausruht, und könnte er nicht ruhen, so wäre er nicht stark genug euch hinüber zu tragen, und wenn du vergißt die Nuß herab zu werfen, so läßt er euch ins Meer fallen.’
Da gieng sie hin, und fand alles wie der Nachtwind gesagt hatte. Sie zählte die Ruthen am Meer, und schnitt die eilfte ab, damit schlug sie den Lindwurm, und der Löwe bezwang ihn, alsbald hatten beide ihren menschlichen Leib wieder. Aber wie die Königstochter, die vorher ein Lindwurm gewesen war, vom Zauber frei war, nahm sie den Jüngling in den Arm, setzte sich auf den Vogel Greif, und führte ihn mit sich fort. Da stand die arme weitgewanderte, und war wieder verlassen, und setzte sich nieder und weinte; endlich aber ermuthigte sie sich, und sprach ‘ich will noch so weit gehen als der Wind weht, und so lange als der Hahn kräht, bis ich ihn finde.’ Und gieng fort, lange lange Wege, bis sie endlich zu dem Schloß kam, wo beide zusammen lebten, da hörte sie daß bald ein Fest wäre, wo sie Hochzeit mit einander machen wollten. Sie sprach aber ‘Gott hilft mir noch,’ und nahm das Kästchen, das ihr die Sonne gegeben hatte, da lag ein Kleid darin, so glänzend wie die Sonne selber. Da nahm sie es heraus, und zog es an, und gieng hinauf in das Schloß, und alle Leute, und die Braut selber, sahen sie mit Verwunderung an; und das Kleid gefiel der Braut so gut, daß sie dachte es könnte ihr Hochzeitskleid geben, und fragte ob es nicht feil wäre? ‘Nicht für Geld und Gut,’ antwortete sie, ‘aber für Fleisch und Blut.’ Die Braut fragte was sie damit meinte? Da sagte sie ‘laßt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-01T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |