Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie stellten den Krug auf ein Brett, das oben an der Wand in ihrer Schlafkammer befestigt war, und weil sie fürchteten es könnte ihnen gestohlen werden, oder die Mäuse könnten darüber gerathen, so holte Trine einen starken Haselstock herbei, und legte ihn neben ihr Bett, damit sie ihn, ohne unnötigerweise aufzustehen, mit der Hand erreichen, und die ungebetenen Gäste von dem Bette aus verjagen könnte.

Der faule Heinz verließ das Bett nicht gerne vor Mittag: 'wer früh aufsteht,' sprach er, 'sein Gut verzehrt.' Eines Morgens als er so am hellen Tage noch in den Federn lag, und von dem langen Schlaf ausruhte, sprach er zu seiner Frau 'die Weiber lieben die Süßigkeit, und du naschest von dem Honig, es ist besser, ehe er von dir allein ausgegessen wird, daß wir dafür eine Gans mit einem jungen Gänslein erhandeln.' 'Aber nicht eher,' erwiederte Trine, 'als bis wir ein Kind haben, das sie hütet. Soll ich mich etwa mit den jungen Gänsen plagen, und meine Kräfte unnöthigerweise dabei zusetzen?' 'Meinst du,' sagte Heinz, 'der Junge werde Gänse hüten? heutzutage gehorchen die Kinder nicht mehr: sie thun nach ihrem eigenen Willen, weil sie sich klüger dünken als die Eltern, gerade wie jener Knecht, der die Kuh suchen sollte, und drei Amseln nachjagte.' 'O,' antwortete Trine, 'dem soll es schlecht bekommen, wenn er nicht thut was ich sage. Einen Stock will ich nehmen, und mit ungezählten Schlägen ihm die Haut gerben. Siehst du, Heinz,' rief sie in ihrem Eifer, und faßte den Stock, mit dem sie die Mäuse verjagen wollte, siehst du, so will ich auf ihn losschlagen.' Sie

Sie stellten den Krug auf ein Brett, das oben an der Wand in ihrer Schlafkammer befestigt war, und weil sie fürchteten es könnte ihnen gestohlen werden, oder die Mäuse könnten darüber gerathen, so holte Trine einen starken Haselstock herbei, und legte ihn neben ihr Bett, damit sie ihn, ohne unnötigerweise aufzustehen, mit der Hand erreichen, und die ungebetenen Gäste von dem Bette aus verjagen könnte.

Der faule Heinz verließ das Bett nicht gerne vor Mittag: ‘wer früh aufsteht,’ sprach er, ‘sein Gut verzehrt.’ Eines Morgens als er so am hellen Tage noch in den Federn lag, und von dem langen Schlaf ausruhte, sprach er zu seiner Frau ‘die Weiber lieben die Süßigkeit, und du naschest von dem Honig, es ist besser, ehe er von dir allein ausgegessen wird, daß wir dafür eine Gans mit einem jungen Gänslein erhandeln.’ ‘Aber nicht eher,’ erwiederte Trine, ‘als bis wir ein Kind haben, das sie hütet. Soll ich mich etwa mit den jungen Gänsen plagen, und meine Kräfte unnöthigerweise dabei zusetzen?’ ‘Meinst du,’ sagte Heinz, ‘der Junge werde Gänse hüten? heutzutage gehorchen die Kinder nicht mehr: sie thun nach ihrem eigenen Willen, weil sie sich klüger dünken als die Eltern, gerade wie jener Knecht, der die Kuh suchen sollte, und drei Amseln nachjagte.’ ‘O,’ antwortete Trine, ‘dem soll es schlecht bekommen, wenn er nicht thut was ich sage. Einen Stock will ich nehmen, und mit ungezählten Schlägen ihm die Haut gerben. Siehst du, Heinz,’ rief sie in ihrem Eifer, und faßte den Stock, mit dem sie die Mäuse verjagen wollte, siehst du, so will ich auf ihn losschlagen.’ Sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0365" n="344"/>
        <p> Sie stellten den Krug auf ein Brett, das oben an der Wand in ihrer Schlafkammer befestigt war, und weil sie fürchteten es könnte ihnen gestohlen werden, oder die Mäuse könnten darüber gerathen, so holte Trine einen starken Haselstock herbei, und legte ihn neben ihr Bett, damit sie ihn, ohne unnötigerweise aufzustehen, mit der Hand erreichen, und die ungebetenen Gäste von dem Bette aus verjagen könnte.</p><lb/>
        <p>Der faule Heinz verließ das Bett nicht gerne vor Mittag: &#x2018;wer früh aufsteht,&#x2019; sprach er, &#x2018;sein Gut verzehrt.&#x2019; Eines Morgens als er so am hellen Tage noch in den Federn lag, und von dem langen Schlaf ausruhte, sprach er zu seiner Frau &#x2018;die Weiber lieben die Süßigkeit, und du naschest von dem Honig, es ist besser, ehe er von dir allein ausgegessen wird, daß wir dafür eine Gans mit einem jungen Gänslein erhandeln.&#x2019; &#x2018;Aber nicht eher,&#x2019; erwiederte Trine, &#x2018;als bis wir ein Kind haben, das sie hütet. Soll ich mich etwa mit den jungen Gänsen plagen, und meine Kräfte unnöthigerweise dabei zusetzen?&#x2019; &#x2018;Meinst du,&#x2019; sagte Heinz, &#x2018;der Junge werde Gänse hüten? heutzutage gehorchen die Kinder nicht mehr: sie thun nach ihrem eigenen Willen, weil sie sich klüger dünken als die Eltern, gerade wie jener Knecht, der die Kuh suchen sollte, und drei Amseln nachjagte.&#x2019; &#x2018;O,&#x2019; antwortete Trine, &#x2018;dem soll es schlecht bekommen, wenn er nicht thut was ich sage. Einen Stock will ich nehmen, und mit ungezählten Schlägen ihm die Haut gerben. Siehst du, Heinz,&#x2019; rief sie in ihrem Eifer, und faßte den Stock, mit dem sie die Mäuse verjagen wollte, siehst du, so will ich auf ihn losschlagen.&#x2019; Sie
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[344/0365] Sie stellten den Krug auf ein Brett, das oben an der Wand in ihrer Schlafkammer befestigt war, und weil sie fürchteten es könnte ihnen gestohlen werden, oder die Mäuse könnten darüber gerathen, so holte Trine einen starken Haselstock herbei, und legte ihn neben ihr Bett, damit sie ihn, ohne unnötigerweise aufzustehen, mit der Hand erreichen, und die ungebetenen Gäste von dem Bette aus verjagen könnte. Der faule Heinz verließ das Bett nicht gerne vor Mittag: ‘wer früh aufsteht,’ sprach er, ‘sein Gut verzehrt.’ Eines Morgens als er so am hellen Tage noch in den Federn lag, und von dem langen Schlaf ausruhte, sprach er zu seiner Frau ‘die Weiber lieben die Süßigkeit, und du naschest von dem Honig, es ist besser, ehe er von dir allein ausgegessen wird, daß wir dafür eine Gans mit einem jungen Gänslein erhandeln.’ ‘Aber nicht eher,’ erwiederte Trine, ‘als bis wir ein Kind haben, das sie hütet. Soll ich mich etwa mit den jungen Gänsen plagen, und meine Kräfte unnöthigerweise dabei zusetzen?’ ‘Meinst du,’ sagte Heinz, ‘der Junge werde Gänse hüten? heutzutage gehorchen die Kinder nicht mehr: sie thun nach ihrem eigenen Willen, weil sie sich klüger dünken als die Eltern, gerade wie jener Knecht, der die Kuh suchen sollte, und drei Amseln nachjagte.’ ‘O,’ antwortete Trine, ‘dem soll es schlecht bekommen, wenn er nicht thut was ich sage. Einen Stock will ich nehmen, und mit ungezählten Schlägen ihm die Haut gerben. Siehst du, Heinz,’ rief sie in ihrem Eifer, und faßte den Stock, mit dem sie die Mäuse verjagen wollte, siehst du, so will ich auf ihn losschlagen.’ Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-05-27T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1840/365
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1840, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1840/365>, abgerufen am 24.11.2024.