Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.warum es nicht essen wollte, und sprach 'ich war draußen eingeschlafen.' Am andern Tag sprach die Mutter zu Dreiäuglein 'geh du mit hinaus, und hab Acht ob Zweiäuglein draußen ißt, und ob ihm jemand Essen und Trinken bringt, denn essen und trinken muß es heimlich.' Da trat Dreiäuglein zum Zweiäuglein, und sprach 'ich will mitgehen, und sehen ob auch die Ziege recht gehütet und ins Futter getrieben wird.' Aber Zweiäuglein merkte was Dreiäuglein im Sinne hatte, und trieb die Ziege hinaus ins hohe Gras, und sprach 'wir wollen uns dahin setzen, Dreiäuglein, ich will dir was vorsingen.' Dreiäuglein setzte sich, und war müde von dem Weg und der Sonnenhitze, und Zweiäuglein hub wieder das vorige Liedlein an, und sang 'Dreiäuglein, wachst du?' aber statt daß es nun singen mußte 'Dreiäuglein, schläfst du?' sang es aus Unbedachtsamkeit 'Zweiäuglein, schläfst du?' und sang immer 'Dreiäuglein, wachst du? Zweiäuglein, schläfst du?' Da fielen dem Dreiäuglein seine zwei Augen zu, und schliefen, aber das dritte, das von dem Sprüchlein nicht angeredet wurde, schlief nicht ein: zwar that es Dreiäuglein zu, aber aus List, gleich als schlief es damit, doch blinzelte es, und konnte warum es nicht essen wollte, und sprach ‘ich war draußen eingeschlafen.’ Am andern Tag sprach die Mutter zu Dreiaͤuglein ‘geh du mit hinaus, und hab Acht ob Zweiaͤuglein draußen ißt, und ob ihm jemand Essen und Trinken bringt, denn essen und trinken muß es heimlich.’ Da trat Dreiaͤuglein zum Zweiaͤuglein, und sprach ‘ich will mitgehen, und sehen ob auch die Ziege recht gehuͤtet und ins Futter getrieben wird.’ Aber Zweiaͤuglein merkte was Dreiaͤuglein im Sinne hatte, und trieb die Ziege hinaus ins hohe Gras, und sprach ‘wir wollen uns dahin setzen, Dreiaͤuglein, ich will dir was vorsingen.’ Dreiaͤuglein setzte sich, und war muͤde von dem Weg und der Sonnenhitze, und Zweiaͤuglein hub wieder das vorige Liedlein an, und sang ‘Dreiaͤuglein, wachst du?’ aber statt daß es nun singen mußte ‘Dreiaͤuglein, schlaͤfst du?’ sang es aus Unbedachtsamkeit ‘Zweiaͤuglein, schlaͤfst du?’ und sang immer ‘Dreiaͤuglein, wachst du? Zweiaͤuglein, schlaͤfst du?’ Da fielen dem Dreiaͤuglein seine zwei Augen zu, und schliefen, aber das dritte, das von dem Spruͤchlein nicht angeredet wurde, schlief nicht ein: zwar that es Dreiaͤuglein zu, aber aus List, gleich als schlief es damit, doch blinzelte es, und konnte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0253" n="237"/> warum es nicht essen wollte, und sprach ‘ich war draußen eingeschlafen.’</p><lb/> <p>Am andern Tag sprach die Mutter zu Dreiaͤuglein ‘geh du mit hinaus, und hab Acht ob Zweiaͤuglein draußen ißt, und ob ihm jemand Essen und Trinken bringt, denn essen und trinken muß es heimlich.’ Da trat Dreiaͤuglein zum Zweiaͤuglein, und sprach ‘ich will mitgehen, und sehen ob auch die Ziege recht gehuͤtet und ins Futter getrieben wird.’ Aber Zweiaͤuglein merkte was Dreiaͤuglein im Sinne hatte, und trieb die Ziege hinaus ins hohe Gras, und sprach ‘wir wollen uns dahin setzen, Dreiaͤuglein, ich will dir was vorsingen.’ Dreiaͤuglein setzte sich, und war muͤde von dem Weg und der Sonnenhitze, und Zweiaͤuglein hub wieder das vorige Liedlein an, und sang</p><lb/> <lg type="poem"> <l>‘Dreiaͤuglein, wachst du?’</l><lb/> </lg> <p>aber statt daß es nun singen mußte</p><lb/> <lg type="poem"> <l>‘Dreiaͤuglein, schlaͤfst du?’</l><lb/> </lg> <p>sang es aus Unbedachtsamkeit</p><lb/> <lg type="poem"> <l>‘<hi rendition="#g">Zweiaͤuglein</hi>, schlaͤfst du?’</l><lb/> </lg> <p>und sang immer</p><lb/> <lg type="poem"> <l>‘Dreiaͤuglein, wachst du?</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Zweiaͤuglein</hi>, schlaͤfst du?’</l><lb/> </lg> <p>Da fielen dem Dreiaͤuglein seine zwei Augen zu, und schliefen, aber das dritte, das von dem Spruͤchlein nicht angeredet wurde, schlief nicht ein: zwar that es Dreiaͤuglein zu, aber aus List, gleich als schlief es damit, doch blinzelte es, und konnte </p> </div> </body> </text> </TEI> [237/0253]
warum es nicht essen wollte, und sprach ‘ich war draußen eingeschlafen.’
Am andern Tag sprach die Mutter zu Dreiaͤuglein ‘geh du mit hinaus, und hab Acht ob Zweiaͤuglein draußen ißt, und ob ihm jemand Essen und Trinken bringt, denn essen und trinken muß es heimlich.’ Da trat Dreiaͤuglein zum Zweiaͤuglein, und sprach ‘ich will mitgehen, und sehen ob auch die Ziege recht gehuͤtet und ins Futter getrieben wird.’ Aber Zweiaͤuglein merkte was Dreiaͤuglein im Sinne hatte, und trieb die Ziege hinaus ins hohe Gras, und sprach ‘wir wollen uns dahin setzen, Dreiaͤuglein, ich will dir was vorsingen.’ Dreiaͤuglein setzte sich, und war muͤde von dem Weg und der Sonnenhitze, und Zweiaͤuglein hub wieder das vorige Liedlein an, und sang
‘Dreiaͤuglein, wachst du?’
aber statt daß es nun singen mußte
‘Dreiaͤuglein, schlaͤfst du?’
sang es aus Unbedachtsamkeit
‘Zweiaͤuglein, schlaͤfst du?’
und sang immer
‘Dreiaͤuglein, wachst du?
Zweiaͤuglein, schlaͤfst du?’
Da fielen dem Dreiaͤuglein seine zwei Augen zu, und schliefen, aber das dritte, das von dem Spruͤchlein nicht angeredet wurde, schlief nicht ein: zwar that es Dreiaͤuglein zu, aber aus List, gleich als schlief es damit, doch blinzelte es, und konnte
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/253>, abgerufen am 16.02.2025. |