Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.130. Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein. Es war eine Frau, die hatte drei Töchter, davon hieß die älteste Einäuglein, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirn hatte, und die mittelste Zweiäuglein, weil sie zwei Augen hatte, wie andere Menschen, und die jüngste Dreiäuglein, weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirne. Darum aber, daß Zweiäuglein nicht anders aussah, als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden, und sie sprachen zu ihm 'du siehst mit deinen zwei Augen nicht besser aus als das gemeine Volk, du gehörst nicht zu uns;' und stießen es herum, und warfen ihm schlechte alte Kleider hin, und gaben ihm nicht mehr zu essen als was sie übrig ließen, und thaten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten. Es trug sich zu, daß Zweiäuglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege hüten mußte, und noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es sich auf einen Rain, und fieng an zu weinen, und so zu weinen, daß zwei Bächlein aus seinen Augen herabflossen. Und wie es einmal aufsah, stand eine Frau neben ihm, die 130. Einaͤuglein, Zweiaͤuglein und Dreiaͤuglein. Es war eine Frau, die hatte drei Toͤchter, davon hieß die aͤlteste Einaͤuglein, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirn hatte, und die mittelste Zweiaͤuglein, weil sie zwei Augen hatte, wie andere Menschen, und die juͤngste Dreiaͤuglein, weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirne. Darum aber, daß Zweiaͤuglein nicht anders aussah, als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden, und sie sprachen zu ihm ‘du siehst mit deinen zwei Augen nicht besser aus als das gemeine Volk, du gehoͤrst nicht zu uns;’ und stießen es herum, und warfen ihm schlechte alte Kleider hin, und gaben ihm nicht mehr zu essen als was sie uͤbrig ließen, und thaten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten. Es trug sich zu, daß Zweiaͤuglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege huͤten mußte, und noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es sich auf einen Rain, und fieng an zu weinen, und so zu weinen, daß zwei Baͤchlein aus seinen Augen herabflossen. Und wie es einmal aufsah, stand eine Frau neben ihm, die <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0249" n="233"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">130.<lb/> Einaͤuglein, Zweiaͤuglein und Dreiaͤuglein.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>s war eine Frau, die hatte drei Toͤchter, davon hieß die aͤlteste <hi rendition="#g">Einaͤuglein</hi>, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirn hatte, und die mittelste <hi rendition="#g">Zweiaͤuglein</hi>, weil sie zwei Augen hatte, wie andere Menschen, und die juͤngste <hi rendition="#g">Dreiaͤuglein</hi>, weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirne. Darum aber, daß Zweiaͤuglein nicht anders aussah, als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden, und sie sprachen zu ihm ‘du siehst mit deinen zwei Augen nicht besser aus als das gemeine Volk, du gehoͤrst nicht zu uns;’ und stießen es herum, und warfen ihm schlechte alte Kleider hin, und gaben ihm nicht mehr zu essen als was sie uͤbrig ließen, und thaten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten.</p><lb/> <p>Es trug sich zu, daß Zweiaͤuglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege huͤten mußte, und noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es sich auf einen Rain, und fieng an zu weinen, und so zu weinen, daß zwei Baͤchlein aus seinen Augen herabflossen. Und wie es einmal aufsah, stand eine Frau neben ihm, die </p> </div> </body> </text> </TEI> [233/0249]
130.
Einaͤuglein, Zweiaͤuglein und Dreiaͤuglein.
Es war eine Frau, die hatte drei Toͤchter, davon hieß die aͤlteste Einaͤuglein, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirn hatte, und die mittelste Zweiaͤuglein, weil sie zwei Augen hatte, wie andere Menschen, und die juͤngste Dreiaͤuglein, weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirne. Darum aber, daß Zweiaͤuglein nicht anders aussah, als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden, und sie sprachen zu ihm ‘du siehst mit deinen zwei Augen nicht besser aus als das gemeine Volk, du gehoͤrst nicht zu uns;’ und stießen es herum, und warfen ihm schlechte alte Kleider hin, und gaben ihm nicht mehr zu essen als was sie uͤbrig ließen, und thaten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten.
Es trug sich zu, daß Zweiaͤuglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege huͤten mußte, und noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es sich auf einen Rain, und fieng an zu weinen, und so zu weinen, daß zwei Baͤchlein aus seinen Augen herabflossen. Und wie es einmal aufsah, stand eine Frau neben ihm, die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/249 |
Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/249>, abgerufen am 16.02.2025. |