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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

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ein Loch, da lauerte ihr der alte König zu und vernahm ihr Schicksal von Wort zu Wort. Da war's gut und Königskleider wurden ihr alsbald angethan und es schien ein Wunder, wie sie so schön war; der alte König rief seinen Sohn und offenbarte ihm, daß er die falsche Braut hätte, die wäre bloß ein Kammermädchen, die wahre aber stände hier, als die gewesene Gänsemagd. Der junge König aber war herzensfroh, als er ihre Schönheit und Tugend erblickte und ein großes Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde gebeten wurden, obenan saß der Bräutigam, die Königstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet und erkannte jene nicht mehr in dem glänzenden Schmuck. Als sie nun gegessen und getrunken hatten und gutes Muths waren, gab der alte König der Kammerfrau ein Räthsel auf: was eine solche werth wäre, die den Herrn so und so betrogen hätte, erzählte damit den ganzen Verlauf und fragte: "welches Urtheils ist diese würdig?" Da sprach die falsche Braut: "die ist nichts bessers werth, als splinternackt ausgezogen in ein Faß inwendig mit spitzen Nägeln beschlagen geworfen zu werden, und zwei weiße Pferde davor gespannt müssen sie Gaß auf Gaß ab zu Tode schleifen!" "Das bist du, sprach der alte König, und dein eigen Urtheil hast du gefunden und darnach soll dir widerfahren," welches auch vollzogen wurde; der junge König vermählte sich aber mit seiner rechten Gemahlin und beide beherrschten ihr Reich in Frieden und Seligkeit.




ein Loch, da lauerte ihr der alte Koͤnig zu und vernahm ihr Schicksal von Wort zu Wort. Da war’s gut und Koͤnigskleider wurden ihr alsbald angethan und es schien ein Wunder, wie sie so schoͤn war; der alte Koͤnig rief seinen Sohn und offenbarte ihm, daß er die falsche Braut haͤtte, die waͤre bloß ein Kammermaͤdchen, die wahre aber staͤnde hier, als die gewesene Gaͤnsemagd. Der junge Koͤnig aber war herzensfroh, als er ihre Schoͤnheit und Tugend erblickte und ein großes Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde gebeten wurden, obenan saß der Braͤutigam, die Koͤnigstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet und erkannte jene nicht mehr in dem glaͤnzenden Schmuck. Als sie nun gegessen und getrunken hatten und gutes Muths waren, gab der alte Koͤnig der Kammerfrau ein Raͤthsel auf: was eine solche werth waͤre, die den Herrn so und so betrogen haͤtte, erzaͤhlte damit den ganzen Verlauf und fragte: „welches Urtheils ist diese wuͤrdig?“ Da sprach die falsche Braut: „die ist nichts bessers werth, als splinternackt ausgezogen in ein Faß inwendig mit spitzen Naͤgeln beschlagen geworfen zu werden, und zwei weiße Pferde davor gespannt muͤssen sie Gaß auf Gaß ab zu Tode schleifen!“ „Das bist du, sprach der alte Koͤnig, und dein eigen Urtheil hast du gefunden und darnach soll dir widerfahren,“ welches auch vollzogen wurde; der junge Koͤnig vermaͤhlte sich aber mit seiner rechten Gemahlin und beide beherrschten ihr Reich in Frieden und Seligkeit.




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[21/0099] ein Loch, da lauerte ihr der alte Koͤnig zu und vernahm ihr Schicksal von Wort zu Wort. Da war’s gut und Koͤnigskleider wurden ihr alsbald angethan und es schien ein Wunder, wie sie so schoͤn war; der alte Koͤnig rief seinen Sohn und offenbarte ihm, daß er die falsche Braut haͤtte, die waͤre bloß ein Kammermaͤdchen, die wahre aber staͤnde hier, als die gewesene Gaͤnsemagd. Der junge Koͤnig aber war herzensfroh, als er ihre Schoͤnheit und Tugend erblickte und ein großes Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde gebeten wurden, obenan saß der Braͤutigam, die Koͤnigstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet und erkannte jene nicht mehr in dem glaͤnzenden Schmuck. Als sie nun gegessen und getrunken hatten und gutes Muths waren, gab der alte Koͤnig der Kammerfrau ein Raͤthsel auf: was eine solche werth waͤre, die den Herrn so und so betrogen haͤtte, erzaͤhlte damit den ganzen Verlauf und fragte: „welches Urtheils ist diese wuͤrdig?“ Da sprach die falsche Braut: „die ist nichts bessers werth, als splinternackt ausgezogen in ein Faß inwendig mit spitzen Naͤgeln beschlagen geworfen zu werden, und zwei weiße Pferde davor gespannt muͤssen sie Gaß auf Gaß ab zu Tode schleifen!“ „Das bist du, sprach der alte Koͤnig, und dein eigen Urtheil hast du gefunden und darnach soll dir widerfahren,“ welches auch vollzogen wurde; der junge Koͤnig vermaͤhlte sich aber mit seiner rechten Gemahlin und beide beherrschten ihr Reich in Frieden und Seligkeit.

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/99>, abgerufen am 02.05.2024.